Im Hintergrund ertönt der Partyhit „L’amour Toujours“ von Gigi D’Agostino. Das Bild schwenkt durch den Außenbereich des Sylter Klubs „Pony“ – und die Gäste skandieren lauthals „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Ein Beteiligter tanzt dazu mit einer Gestik, die dem Hitlergruß ähnelt – und hält gleichzeitig zwei Finger an die Oberlippe. Gemeinhin wird damit der Hitlerbart imitiert. Das Video aus Sylt zieht eine bundesweite Welle der Empörung nach sich.
Jürgen Trittin lästert über "Prosecco-Nazis"
Sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilte am Sonntag die ausländerfeindlichen Exzesse, die sich bereits eine Woche zuvor am Pfingstwochenende zugetragen haben, aber erst jetzt durch Videoaufnahmen im Internet publik wurden. Denn die Bilder wirkten neben den Hetzparolen um so verstörender: Das Neonazigegröle stammt von schickimickimäßig herausgeputztem jungen Partyvolk, das den Eindruck machen will, aus gut betuchten Kreisen zu stammen. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin lästerte prompt über „Prosecco-Nazis“. Das Sylter „Pony“ gilt als Promiklub. „Kult, Glamour, Nightlife“, heißt es auf der Internetseite, wo laut Speisekarte eine Currywurst mit Pommes 16 Euro kostet und man sechs Austern für 30 Euro ordern kann.
Eine der Neonaziparolen grölenden jungen Frauen wird im Internet schnell als Fotomodel identifiziert. Auch die für viele internationale Großkunden arbeitende Werbeagentur Serviceplan entdeckt einen Mitarbeiter ihrer Gruppe und feuerte ihn fristlos, wie das Unternehmen auf Instagram mitteilte. Laut Medienberichten sollen zwei weitere Firmen ähnlich gehandelt haben, auch die Hochschule der jungen Frau verurteilte das Verhalten.
Naziparolen: Einer der Sylter Partygäste stammt aus Kempten
Einer der betroffenen Männer stammt aus Kempten im Allgäu. Sein Vater verweigerte, auch im Namen seines Sohnes, auf Anfrage unserer Redaktion eine Stellungnahme: „Ich möchte keinen Kommentar abgeben, wir bitten um Verständnis.“ Seit Donnerstagabend wird der kurze Clip, der an Pfingsten in Kampen entstand, tausendfach in den sozialen Medien geteilt.
Der Betreiber der bekannten Bar, in der die Party stattfand, distanziert sich offiziell von den Vorgängen. „Hätten wir von diesem Vorfall gewusst, hätten wir die betreffenden Gäste selbstverständlich des Hauses verwiesen“, erklärte Geschäftsführer Tim Becker. „Wenn dann hundert Leute zu Gigi D’Agostino singen und ein paar davon Naziparolen grölen, bekommt das einfach keiner mit“, sagte er dem Spiegel. Man habe die Namen der fünf Beteiligten sowie die Aufnahme der Überwachungskamera der Polizei übermittelt. Auch wolle man Gäste und Personal sensibilisieren, solche Vorfälle dem Sicherheitsdienst zu melden.
Wie die Polizei in Flensburg mitteilte, ermittelt nun der Staatsschutz – wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen. Das Video sei der Polizei zugespielt worden. "Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Flensburg und der Polizei richten sich zunächst gegen die Personen, die auf dem Video offensichtlich die oben genannten Äußerungen mitsingen." Es sei nicht auszuschließen, „dass im Rahmen der Ermittlungen weitere Tatverdächtige hinzukommen, die auf diesem Video nicht abgebildet worden sind.“
Wie Neonazis den Partyhit „L’amour Toujours“ in Beschlag nahmen
Bislang kannte man ähnliche Vorfälle aus Diskotheken in ganz Deutschland , bei denen die Naziparolen über die Melodie des Partyhits gegrölt wurden. Und bei Volksfesten, unter anderem – wie der Bayerische Rundfunk berichtete - in Landsberg am Lech, in Weiden in der Oberpfalz und in Greding im Altmühltal, wo Mitglieder und Landtagsabgeordnete der AfD und ihrer Jugendorganisation „Junge Alternative“ beteiligt gewesen sein sollen. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt gegen vier Verdächtige, die bei dem Discobesuch nach einem AfD-Parteitag am 13. Januar dabei gewesen sein sollen.
Auch beim Erlanger Bergkirchweih-Fest kam es am Freitagabend zu einem weiteren Vorfall mit dem missbrauchten Partyhit, als zwei Besucher dazu rassistische Parolen skandierten. Zwei Polizisten aus Essen, die das Fest privat besuchten, hatten den Sicherheitsdienst verständigt und ihre Kollegen gerufen, als sie die „Ausländer raus“–Gesänge mitbekamen. Der Staatsschutz ermittelt nun gegen die 21 und 26 Jahre alten Verdächtigen. Sie erhielten ein Betretungsverbot für das Volksfest.
Der NDR hatte bereits im Januar berichtet, dass der abgeänderte über 20 Jahre alte Popsong des italienischen DJ zu einer rechtsextremistischen Hymne geworden sei. Verbreitet worden sei sie vor allem über Algorithmen des Netzwerks Tiktok: Ausgangspunkt war offenbar ein Video von Oktober 2023, bei dem junge Männer bei einem Erntedank-Dorf in Mecklenburg-Vorpommern wohl das erste Mal die Neonaziparolen zu der Melodie brüllten. (mit dpa)