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Sudan-Konflikt: Der Krieg hat ihm sein Leben gestohlen: Tagebuch einer Flucht aus dem Sudan

Sudan-Konflikt

Der Krieg hat ihm sein Leben gestohlen: Tagebuch einer Flucht aus dem Sudan

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    Osman Moniem (vorne) und seine Familie schafften es in einen spanischen Evakuierungsflug.
    Osman Moniem (vorne) und seine Familie schafften es in einen spanischen Evakuierungsflug. Foto: Osman Moniem

    15. April, Tag 1: "Als mich um acht Uhr morgens der Krach der ersten Explosionen weckt, da habe ich nur einen Gedanken: Wo ist Sofia, meine elfjährige Tochter? Es ist Samstag, da hat sie eigentlich schulfrei. Aber sie wollte ja früh rüber in die Schule, die ist nur ein paar hundert Meter von uns entfernt, ein Projekt vorbereiten. Ich stürze aus dem Haus, noch sind Menschen auf den Straßen, keiner hat diese Eskalation kommen sehen. Ich springe ins Auto, finde Sofia unversehrt.

    Auf WhatsApp kommen jetzt Dutzende Nachrichten, manche hoffen, dass die Kämpfe nur einige Stunden dauern werden. Aber das hier ist zu laut, zu brutal. Ich weiß, wie schwere Waffen klingen, habe einst im Südsudan bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges ein Catering-Unternehmen betrieben. Ich ahne, dass bis zum völligen Chaos noch eine, vielleicht zwei Stunden bleiben. Ich setze Sofia zu Hause ab, greife mir all unser Bargeld, 72.000 Sudanesische Pfund (110 Euro, d.Red.), fahre zum Supermarkt, schmeiße Reis, Linsen, Milch, Fleisch, Früchte und Gemüse in den Einkaufswagen. Aus Khartum, das ist mir klar, wird es so schnell kein Entkommen geben.

    Gestern habe ich noch ganz normal in meinem Restaurant gearbeitet. Es war Alltag. Das ist vorbei."

    Ein Bild aus besseren Zeiten: Familie Moniem.
    Ein Bild aus besseren Zeiten: Familie Moniem. Foto: Osman Moniem

    Dass Osman Moniems bisheriges Leben Geschichte ist, liegt an einem Konflikt, der in der Berichterstattung der letzten Wochen manchmal sogar den Krieg in der Ukraine überlagerte. Jahrelang haben sich im Sudan die Armee und die RSF-Miliz die Macht an der Spitze der Militärdiktatur geteilt. Die Integration der RSF in die Armee ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Einführung der Demokratie, für die das Volk des Sudans seit Jahren so tapfer und friedlich kämpft. Doch eine Einigung gelingt nicht, RSF-Anführer Mohamed Hamdan Dagalo beschließt Mitte April, mit seinen 100.000 Kämpfern selbst nach der Macht zu greifen. Die ersten Kämpfe beginnen nach ungenehmigten RSF-Truppenbewegungen – beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, den ersten Schuss abgefeuert zu haben.

    17. April, Tag 3: "Am Anfang hatten wir die Explosionen nur gehört, jetzt fliegen die Militärjets der Armee über unser Haus, werfen Bomben auf die verfeindeten Truppen der paramilitärischen RSF-Miliz ab. Die feuern mit Flugabwehrraketen. Lautes Pfeifen der Geschosse überall. Erst sieht man die Explosion inmitten der Wohngebiete, dann hört man sie. Wir haben die Matratzen in die Mitte der Wohnung gelegt, ins Wohnzimmer. Auch die Fenster haben wir mit Matratzen verbarrikadiert, sie sind dabei leicht geöffnet. Das sorgt bei einer Druckwelle für weniger Splitter."

    Die EU fordert nach den ersten Angriffen ohne Erfolg einen Waffenstillstand, in den ersten beiden Tagen gibt es bereits über 200 getötete Zivilisten. In den vergangenen Jahrzehnten ist – mit Ausnahme von Mogadischu in Somalia – nie so brutal in einer afrikanischen Hauptstadt gekämpft worden. Die RSF wurde von Ex-Diktator Omar al-Bashir einst gestärkt, um ein Gegengewicht zur Armee zu schaffen. Al-Bashir fragmentierte die Sicherheitskräfte, um so die Gefahr eines Umsturzes zu vermeiden. Doch als der Druck des Volkes bei der Revolution 2019 zu groß wurde, wendeten sich Armee und RSF gemeinsam gegen al-Bashir, bildeten seitdem zusammen den Sicherheitsapparat.

    Während Moniem sein Haus verschanzt, erklärt die Armee die RSF zur Rebellengruppe, die es unter allen Umständen aufzulösen gilt.

    Konflikt im Sudan: Menschen sind verschollen, der Strom wird knapp

    18. April, Tag 4: "Ich muss raus, mir bleibt keine Wahl. Meine Schwester steckt allein im besonders umkämpften Al-Amarat-Viertel fest, hat kaum noch Trinkwasser, kaum Essen. Ich weiß, dass ich an Checkpoints der RSF-Miliz vorbeimuss, nehme nur mein altes Handy mit, weil sie mir vielleicht alles abnehmen werden.

    Ich sehe die Granate aus dem Augenwinkel, dann schlägt sie in dem Fahrzeug vor mir ein. Meine Stoßstange bricht von der Wucht ab. Schüsse, Feuer, keine Chance zu helfen. Wenn ich sterbe, was wird aus meiner Familie inmitten dieses Krieges? Ich muss umkehren. Sofort.

    19. April, Tag 5: "Drei Bomben explodieren in der Nähe. Auf dem Balkon finde ich Patronenhülsen. Wir kippen nun das Sofa um und legen unsere Köpfe beim Schlafen unter das Gestell. Alle sind krank vor Sorge. Um Verwandte, Freunde, meine 27 Angestellten, wir erreichen nur wenige. Es gibt kaum noch Strom.

    Diese Patronenhülsen fand Moniem im Sudan vor seinem Haus.
    Diese Patronenhülsen fand Moniem im Sudan vor seinem Haus. Foto: Osman Moniem

    Und Sofia weint wegen der Tiere. Wir kümmern uns um sieben Straßenhunde, haben sie geimpft, gefüttert. Ich weiß, dass wir die Hunde zurücklassen müssen - wenn uns die Flucht denn überhaupt gelingen sollte. Erst einmal bin ich schon froh, dass wir noch eine Unterkunft haben. Die RSF-Truppen haben Freunde aus ihren Häusern vertrieben, um Scharfschützen auf dem Dach zu platzieren."

    Erste Evakuierungsversuche westlicher Staaten – darunter Deutschland – scheitern. Zu vehement wird in Khartum gekämpft. Bei vielen in der umkämpften Stadt werden die Lebensmittel knapp. Derweil sind zehntausende Sudanesen auf dem gefährlichen Weg über Land, um in den Nachbarländern Zuflucht zu suchen

    21. April, Tag 7: "Bisher sind zwei Waffenstillstände gescheitert, aber heute gibt es endlich weniger Gefechte. Sicherer ist es deshalb kaum. Die Gefängnisse der Stadt haben die Inhaftierten freigelassen. Polizei, die bei Plünderungen oder Vergewaltigungen eingreifen könnte, gibt es nicht mehr. Ich glaube, die Armee lässt sie absichtlich gewähren. Damit sie später, nach dem Krieg, sagen können: Vergesst das mit der Demokratie. Nur wenn wir alles fest im Griff haben, seid ihr sicher.

    Vielen Menschen im Sudan bleibt keine Chance als die zu fliehen - wie dieser Frau und ihrem Kind.
    Vielen Menschen im Sudan bleibt keine Chance als die zu fliehen - wie dieser Frau und ihrem Kind. Foto: Amr Nabil, AP/dpa

    Ich muss jetzt endlich meine Schwester holen. Am Telefon schreit sie mich an: „Komm nicht.“ Meine Frau hat Angst, ich auch, aber die Feuerpause ist vielleicht die letzte Chance. Und diesmal erreiche ich ihre Wohnung. Ich bringe meine Schwester zu ihrem Verlobten in einen anderen Stadtteil. Sie hatten sich nur eine Woche vor Beginn der Kämpfe verlobt. Eigentlich sollte sie gerade ihre Hochzeit vorbereiten. Das ist alles nur ein paar Tage her. Wie weit entfernt dieses alte Leben jetzt scheint.

    22. April, Tag 8: Ich bin Sudanese. Aber meine Frau hat neben der irischen auch die mexikanische Staatsbürgerschaft. Beide Länder haben keine eigene Botschaft im Sudan. Sie bekommt einen Anruf, Spanien wird mexikanischen Familien bei der Evakuierung helfen, die mexikanischen Botschaften in Madrid und Kairo haben tolle Arbeit geleistet. Wir sollen morgen Vormittag um sieben zur Residenz des spanischen Botschafters kommen. Nur mit dem Nötigsten. Wir packen den Laptop ein, Geburtszertifikate, Pässe, Registrierungsurkunden meiner Firma, Familienfotos, ein bisschen Kleidung. Ich stecke 1700 US-Dollar in eine Tüte, klebe sie an meine Unterhose, vielleicht werden die Scheine so an Checkpoints nicht gefunden. Mein Sohn, er ist 13, fragt vorsichtig, ob er die Playstation mitnehmen darf. Äh, nein… Meine Tochter packt ihre Tagebücher ein. Dazu ein Stofftier, einen Hund."

    Die UN haben ihre Mitarbeiter angewiesen, per Konvoy den 800 Kilometer weiten Weg in die Hafenstadt Port Sudan anzutreten. Während es endlich Fortschritte bei der Planung einer Luftevakuierung gibt, machen sich Tausende in Autos auf den Weg aus der Stadt. Für Sudanesen wird die Flucht dagegen immer schwieriger. Busse nach Ägypten kosten plötzlich das Zehnfache. Wer kann, bezahlt trotzdem.

    23. April, Tag 9: "In der Dunkelheit erreichen wir die Residenz. Während der Fahrt fragen die Kinder, warum es so stinkt. Es sind tote Soldaten, die in den Straßen liegen, aber ich sage, dass die Müllabfuhr nicht kommen konnte. Im Konvoi zum Flughafen sitzt dann ein argentinischer Pastor neben mir. Wir halten uns durchgehend an der Hand, er Christ, ich Muslim.

    Die Spanier sichern mir zu, mich mitzunehmen, weil ich mit einer Mexikanerin verheiratet bin. Sudans Armee sieht das anders. Soldaten rufen am Checkpoint aggressiv, dass nur Ausländer raus dürfen, wollen meinen Pass sehen. Ich sage, dass ich nur die Ausländer zur Militärbasis bringe, danach das Auto nach Khartum zurückbringen soll. Sie lassen auch mich durch. Wir fahren zu einem Militärflughafen außerhalb Khartums. Die spanischen Spezialkräfte und Diplomaten sind da, die für uns für immer Helden sein werden. Mit Hunderten steigen wir in den Bauch des spanischen Militärflugzeugs. Das Flugzeug hebt ab – und ich fühle Erleichterung. Weil wir leben. Und Schuld. Weil Freunde, Verwandte, Kollegen zurückbleiben."

    Wann er in den Sudan zurückkehrt? Er weiß es nicht

    Seit einigen Tagen gilt ein Waffenstillstand, doch zumindest in Khartum kommt es weiterhin zu Kämpfen. Die USA und die Vereinten Nationen (UN) versuchen, zwischen den Generälen zu vermitteln, die nicht nur politisch, sondern auch persönlich als verfeindet gelten. Das Thema hat höchste Priorität bei der Afrikanischen Union und den Golfstaaten, schließlich droht die Krise im Sudan die ohnehin fragile Region weiter zu destabilisieren. 

    28. April, Tag 14: "Seit vier Tagen sind wir jetzt in Madrid. Zwei Stunden dauerte der Evakuierungsflug nach Dschibuti, der nach Spanien acht. Die Unterstützung hier ist schlicht überwältigend. Man trifft selbst auf den schwersten Pfaden Engel. Eine Freundin eines Freundes hat uns aufgenommen, versorgt uns rührend, auch mit Klamotten. Meine Frau könnte als Irin sofort nach Großbritannien, auch die Kinder. Ich hoffe, dass ich bald die nötigen Unterlagen bekomme, hoffentlich dort arbeiten kann, als Taxifahrer, Pizza-Bäcker, ist mir ganz egal. Ich möchte einfach für niemanden eine Bürde sein."

    Eines Tages werden wir in den Sudan zurückkehren, da glaube ich fest dran. Nur wann, das weiß ich nicht.

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