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Studie: "Weniger Vertrauen als Parteien": Bittere Wahrheiten für die Kirchen

Studie

"Weniger Vertrauen als Parteien": Bittere Wahrheiten für die Kirchen

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    Ökumenisches Martinsfest in Erfurt: Die überwältigende Mehrheit der Befragten meint, dass evangelische und katholische Kirche mehr zusammenarbeiten sollten.
    Ökumenisches Martinsfest in Erfurt: Die überwältigende Mehrheit der Befragten meint, dass evangelische und katholische Kirche mehr zusammenarbeiten sollten. Foto: Martin Schutt, dpa

    Als dann diese Sätze fallen, setzt eine Art Raunen ein. "Die katholische Kirche hat weniger Vertrauen als politische Parteien, die ja meistens genannt werden für extrem niedrige Vertrauenswerte. In der Tat ist es so, dass die katholische Kirche und der Islam beide auf den letzten Rängen des Vertrauens sind." Bemerkenswert sei, dass katholische Kirchenmitglieder mehr Vertrauen in die evangelische Kirche haben als in ihre eigene Kirche. Christopher Jacobi vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) referiert am Dienstagvormittag in Ulm im Rahmen der EKD-Synode noch viele weitere Ergebnisse einer umfassenden, repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Sie enthält jede Menge bittere Wahrheiten für die beiden großen christlichen Kirchen und ein paar wenige Hoffnungszeichen. 

    Es trete eine "postkonfessionelle Situation" ein, haben Forschende festgestellt

    Seit 1972 lässt die EKD etwa alle zehn Jahre Daten zur Kirchenmitgliedschaft erheben, nun wurden erstmals auch katholische Kirchenmitglieder und die Gesamtbevölkerung befragt. Mehr als 5000 Personen ab 14, mehr als 500 Fragen, Durchführungszeitraum vom vergangenen Oktober bis Dezember. Damit bietet die aktuell sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung einen tiefen Einblick in das Verhältnis der deutschsprachigen Bevölkerung zu Kirche und Religion. Und das befindet sich in einem epochalen Wandel. Noch zum Ende dieses Jahrzehnts werden demnach Konfessionslose eine absolute Mehrheit in unserer Gesellschaft darstellen, Christen eine – rein zahlenmäßig große – Minderheit sein. Das Zahlenverhältnis liegt momentan bei 23 Prozent evangelisch, 25 Prozent katholisch und 43 Prozent konfessionslos.

    Noch bis zu diesem Mittwoch findet in Ulm die "4. Tagung der 13. Synode der EKD" statt. Die Synode ist eines der drei Leitungsorgane der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
    Noch bis zu diesem Mittwoch findet in Ulm die "4. Tagung der 13. Synode der EKD" statt. Die Synode ist eines der drei Leitungsorgane der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Foto: Stefan Puchner, dpa

    Daran werde sich, so die Forschenden, nichts positiv für die Kirchen ändern: Denn einmal konfessionslos bedeute immer konfessionslos. Denn es gehe nicht bloß die Kirchenbindung zurück, sondern auch die Religiosität. Denn es verschwänden konfessionelle Profile und es trete eine "postkonfessionelle Situation" ein. Heißt: Evangelische und katholische Kirchenmitglieder unterscheiden sich nicht oder kaum noch, und zwar in vielen Bereichen – von ihrer täglichen Gebetspraxis bis hin zu ihren allgemeinen Werteorientierungen. Fast logisch schließt sich die überwältigende Mehrheitsmeinung unter den Befragten an, dass evangelische und katholische Kirche mehr zusammenarbeiten sollten. 

    Interessant, da dem vielfach beschriebenen Trend zu spirituellen oder esoterischen Angeboten widersprechend: Diese Angebote ersetzen eine kirchlich-gebundene Religiosität nicht.

    Der Reformdruck in beiden großen christlichen Kirchen ist enorm hoch

    Für Kirchenverantwortliche sind das besorgniserregende Zahlen. Über die evangelische Kirche heißt es in der Studie: "Die Kirche scheint jetzt an einem Kipppunkt angelangt zu sein, der schon in den nächsten Jahren in erhebliche Instabilitäten und disruptive Abbrüche hineinführen kann." Für die katholische Kirche gilt das ebenfalls. Nur sechs Prozent der befragten evangelischen Kirchenmitglieder bezeichnen sich als gläubig und der Kirche eng verbunden, bei den katholischen Kirchenmitgliedern sind es vier Prozent. Lediglich 35 Prozent der Evangelischen und lediglich 27 Prozent der Katholischen schließen heute einen Kirchenaustritt für sich selbst aus. Zu den meistgenannten Gründen für einen Austritt zählen die kirchlichen Skandale, vor allem die Missbrauchsskandale und ihre Vertuschung. Die Auffassung, auch ohne Kirche christlich sein zu können. Oder der Ärger über kirchliche Stellungnahmen. Die Kirchensteuer spielt demnach nicht die entscheidende Rolle für einen Austritt. Was Menschen von diesem Schritt abhalten könnte? 70 Prozent der befragten evangelischen und 82 Prozent der befragten katholischen Personen sagen: Die Kirche müsse "deutlicher bekennen, wie viel Schuld sie auf sich geladen hat".

    Zugleich ist der Reformdruck immens hoch. 80 Prozent der befragten evangelischen und 96 Prozent der katholischen Christen (darunter 92 Prozent der befragten "religiösen Katholischen") stimmen der These zu, dass sich ihre jeweils eigene Kirche grundlegend verändern müsse, wenn sie eine Zukunft haben wolle. Auf katholischer Seite wird das als breite Unterstützung des Reformprozesses "Synodaler Weg" und dessen Fortführung interpretiert. Aus Sicht von gut der Hälfte der katholischen Befragten gehen die Veränderungen, die es in den letzten Jahren in ihrer Kirche gab, allerdings (noch) nicht in die richtige Richtung.

    Als Hoffnungszeichen weist die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung vor allem drei Ergebnisse für beide große christlichen Kirchen aus: "Pfarrpersonen" und Seelsorger der eigenen Gemeinde genießen eine hohe Bekanntheit, das soziale Engagement der Kirchen – verkörpert vor allem in den Wohlfahrtsorganisationen Diakonie (evangelisch) und Caritas (katholisch) – kommt selbst unter Konfessionslosen auf beachtliche Vertrauenswerte. Sowie: Die Kirchen haben eine Schlüsselrolle für ehrenamtliches Engagement inne. 49 Prozent der katholischen und 46 Prozent der evangelischen Befragten engagieren sich ehrenamtlich, aber lediglich 32 Prozent der konfessionslosen Befragten. Somit stärken die Kirchen, so die Forschenden, den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt.

    Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sagte mit Blick auf die aktuelle Studie in Ulm, dass es nichts schönzureden gebe.
    Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sagte mit Blick auf die aktuelle Studie in Ulm, dass es nichts schönzureden gebe. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Welche Schlüsse aus all dem zu ziehen sind? Glaube müsse sichtbar werden, sagte Synoden-Präses Anna-Nicole Heinrich, man müsse "raus aus der Bubble". Und: Es brauche nun Mut zu Veränderung. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus meinte, die Studie sei ein "kritischer Spiegel". Die Menschen würden erwarten, dass man sie in bestimmten Situationen berate, dass man für Geflüchtete und für Klimaschutz eintrete. Vor allem sei es wichtig, besonderes Augenmerk auf die jüngste Generation zu legen. Hier wirke Kirche prägend, etwa bei der Konfirmation. Auf Nachfrage eines Journalisten sagte Kurschus, dass es nichts schönzureden gebe. Die Hoffnung aufrechtzuerhalten, das sei der Motor aller notwendigen Reformprozesse.

    Der katholische Bischof von Mainz, Peter Kohlgraf, sprach am Nachmittag vor Journalistinnen und Journalisten von einem "ungeschminkten Bild" der aktuellen Lage von Religion und Kirche. "Wir würden uns in die Tasche lügen, wenn wir davon ausgehen, dass wir uns einfach nur besser auf die Menschen einstellen müssen und dann wieder alles in Ordnung sein wird." Es gehe um mehr als um die Vertrauenskrise in eine Institution, so Kohlgraf. "Folglich reicht es auch nicht aus, an ein paar institutionellen Stellschrauben zu drehen, in der Hoffnung oder Erwartung, dass dann alles wieder besser würde." Auf die Frage unserer Redaktion, wie die katholische Kirche in Deutschland im Jahr 2040 aussehen werde, antwortete er: "Die Kirche wird kleiner sein. Ich hoffe aber, dass wir einen Weg finden in den Bistümern und auch in der Kirche in Deutschland, uns den auch in der Studie angesprochenen Themen seriös zu stellen. Und dass wir dann eine Form von Kirche entwickeln, die sich nicht schmollend in die Ecke zurückzieht, sondern die sagt: Wir können auch als kleinere Kirche eine Strahlkraft entfalten, ohne zu einer Sekte zu verkommen, die im Grunde nur noch unterscheidet zwischen der bösen Welt draußen und den guten Christinnen und Christen innen."

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