Krieg, Hunger, Vertreibung sind Alltag in Gaza, seitdem die israelische Armee mit militärischer Gewalt auf das terroristische Massaker der Hamas und weiterer Gruppen vom 7. Oktober reagiert hat. Doch wie blicken die Palästinenser auf die Hamas?Trotzt der chaotischen Situation hat die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zusammen mit dem Palestinian Center for Policy and Survey Research (PCPSR) ihre regelmäßigen Erhebungen unter der Bevölkerung in Gaza und im Westjordanland fortgeführt. Das Ergebnis ist in Teilen verstörend. Unter den Palästinensern im Gazastreifen und im Westjordanland gibt es eine breite Unterstützung für den Angriff der Hamas auf Israel im Herbst 2023. Allerdings sind 90 Prozent davon überzeugt, dass es dabei nicht zu Verbrechen an Zivilisten gekommen ist.
Der Hass sitzt tief. 71 Prozent der Befragten stimmten der Formulierung zu, dass die Attacke auf Israel „korrekt“ gewesen sei. Die Zahlen wurden zwischen dem 22. November und dem 2. Dezember erhoben. In dieser Zeit konzentrierte sich die Militäroperation der israelischen Streitkräfte auf den Norden und das Zentrum des Küstenstreifens. Ausgewählt wurden 75 Orte um Rafah, Deir al-Balah und Mawasi Khan Younis. Der Leiter des KAS-Büros in Ramallah, Simon Engelkes, verweist auf die große emotionale Belastung der Palästinenser dort: "In den aktuellen Umfragen geben 80 Prozent der Menschen in Gaza an, in diesem Krieg innerhalb ihrer Familie Todesopfer oder Verletzte beklagt zu haben", sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Im Süden des Küstenstreifens drängen sich bis zu 1,5 Millionen Menschen
Die Zustimmung zu den Gewalttaten der Hamas hat nach Ansicht Engelkes auch damit zu tun, dass „75 Prozent der Palästinenser glauben, dass der Angriff vom 7. Oktober den Nahostkonflikt nach Jahren wieder ins Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit gebracht hat und dass sich dadurch die Chance auf eine Lösung des Konflikts erhöht habe“. Viele der Befragten hätten angegeben, die Bilder vom 7. Oktober gar nicht gesehen zu haben. Engelkes: "Unter denen, die sich die Videos angeschaut haben, ist die Überzeugung fast um ein Zehnfaches größer, dass die Hamas Gräueltaten begangen hat.“
Aktuell blickt die Welt auf den Süden Gazas. Dort leben bis zu 1,5 Millionen Menschen auf engstem Raum unter humanitär katastrophalen Bedingungen. Hilfsgüter werden per Flugzeug abgeworfen. Eine nachhaltige Versorgung der Zivilbevölkerung ist allerdings nur über Lastwagen möglich. Während mittlerweile viele westliche Regierungen – darunter die USA und Deutschland – kritisieren, dass die israelischen Behörden die Konvois an der Weiterfahrt in das Notstandsgebiet hindern würden, verweist das israelische Kriegskabinett darauf, dass es in Gaza kriminelle Banden geben würde, die die Hilfsgüter abfangen und für teures Geld verkaufen.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bleibt dabei, dass sein Ziel die „totale Vernichtung“ der Terrororganisation Hamas sei. Eine Aussage, die auch unter engen Verbündeten zunehmend kritisch gesehen wird. So hat das kanadische Parlament beschlossen, Waffenlieferungen an Israel auszusetzen. US-Präsident Joe Biden warnte Netanjahu vor einer Militäraktion in der völlig überfüllten Region an der Grenze zu Ägypten.
Im Westjordanland hat die Hamas mehr Anhänger als in Gaza
Interessanterweise ist die Unterstützung für die Hamas im Westjordanland deutlich größer als unter den Menschen in Gaza. Während in Gaza 57 Prozent der Befragten erklärten, dass es die richtige Entscheidung der Hamas gewesen sei, Israel zu überfallen, waren es im Westjordanland 82 Prozent. Die Frage ist, über welche Quellen sich die Palästinenser informieren. Eine Mehrheit der Frauen und Männer, die für die Studie befragt wurden, bestreitet generell, dass die Terrorgruppe Verbrechen an israelischen Zivilisten begangen hat.
Die Macher der Studie warnen jedoch davor, die Zahlen als Vertrauensbeweis für die Hamas zu werten. Zwar sei die Popularität der Gruppe nach den Massakern vom 7. Oktober gewachsen, dennoch unterstützt nur eine Minderheit im Gazastreifen überhaupt die Hamas. Blickt man auf frühere der regelmäßigen Befragungen, wird ein Muster deutlich: Die Unterstützung für die Gruppe steigt immer dann an, wenn es militärische Auseinandersetzungen mit den israelischen Streitkräften gibt. Danach jedoch pegelte sich der Anteil derjenigen, die der Hamas grundsätzlich positiv gegenüberstehen, bei 35 bis 40 Prozent ein. Hintergrund ist, dass auch den Palästinensern in Gaza keineswegs verborgen bleibt, dass die Hamas für Korruption und Vetternwirtschaft steht.
Die Fatah kann von dem Misstrauen gegen Hamas nicht profitieren
Die Fatah, die von Ramallah Teile des Westjordanlands verwaltet, kann davon nicht profitieren. Auf die Frage, welche Partei sie unterstützen, votierten 43 Prozent für die Hamas, gefolgt von der Fatah (17 Prozent). Im Gazastreifen liegt die Unterstützung für die Hamas aktuell bei 42 Prozent – gegenüber 38 Prozent vor drei Monaten und bei 18 Prozent für die Fatah (gegenüber 25 Prozent Ende 2023). Auf die Frage, wer nach dem Ende des Krieges die Kontrolle über den Gazastreifen übernehmen soll, würden nur 38 Prozent der Bewohner des Küstenstreifens die Hamas bevorzugen. Ein nachhaltiger Vertrauensbeweis ist das keineswegs.
Der Westen wird von einer großen Mehrheit der Palästinenser negativ bewertet: 87 Prozent werfen den USA, Europa und auch Deutschland vor, zu wenig gegen die aus ihrer Sicht völkerrechtswidrigen israelischen Bombardierungen zu tun. Der Leiter des Centers for Policy and Survey Research, Khalil Shikaki, sagte im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass der „Westen jegliche moralische Autorität bei den Palästinensern verloren“ habe. Viele fühlen sich auch angesichts der schleppenden Hilfe im Stich gelassen. Gering ist die Hoffnung, dass ein Friedensprozess erfolgreich sein könnte. Trotz aller Skepsis sehen viele Palästinenser das Friedensmodell des Westens als mögliche Grundlage einer Lösung des Dauerkonfliktes an: „Interessant ist, dass die Zustimmung für eine Zwei-Staaten-Lösung im Vergleich zu den letzten Umfragen gerade im Gazastreifen substanziell angestiegen ist“, sagt Simon Engelkes. Waren es vor drei Monaten noch 34 Prozent, stieg die Quote auf aktuell 45 Prozent.