Ein Attentat auf eine Kindergartengruppe, die Wirtschaft bröckelt, der politische Streit ist zermürbend: Die Stimmung in Deutschland lässt sich aktuell eher als Verstimmung beschreiben. Verlustgefühle, Sorgen und Enttäuschung prägen das Klima im Land, wie eine tiefenpsychologische Studie des Kölner Rheingold-Instituts ergeben hat. „Das Land steckt in einem grundlegenden Problemstau“, diagnostiziert Institutsleiter Stephan Grünewald. Anders als in früheren Jahren, gelinge es den Menschen in Deutschland kaum mehr, sich durch den Rückzug ins Private vor der Krisenstimmung abzuschirmen. Das Gefühl, persönlich von den allgemeinen Problemen des Landes betroffen zu sein, greift um sich – mit Folgen für Gesellschaft und Politik. Das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz sinke, der Wunsch nach einem „Macher“, der Dinge einfach ändert, wachse.
Die Untersuchung basiert auf ausführlichen Interviews mit 50 Wählerinnen und Wählern vom 13. bis zum 23. Januar. Die Befragten waren zwischen 20 und 65 Jahren alt. Repräsentativ ist die Studie damit nicht, sie soll vielmehr in die Tiefe gehen. Immer wieder hätten die Studienleiter zu hören bekommen, dass der Eindruck, dass das eigene Land nicht mehr funktioniert, weit um sich greift. „Vieles verdichtet sich zu einem Gefühl: Aus ,made in Germany‘ ist ,marode in Germany‘ geworden“, sagt Grünewald. Manche Probleme, die der Staat seinen Bürgern hinterlässt, würden geradezu als Sabotage des eigenen Alltags begriffen, etwa die Mangelverwaltung an Schulen oder die Schwierigkeiten in der Kita-Betreuung. Der Frust und die Ratlosigkeit hätten ein Niveau erreicht, wie man es lange nicht gesehen habe.
Ampel-Koalition hat Frust verstärkt
Denn selbst wenn Krisen immer wieder auftauchen, gehörte es für viele Deutsche zur Grundüberzeugung, selbst auf einer Art Insel der Glückseligen zu leben. Diese Zeiten scheinen vorbei. Verursacht habe dies auch die Regierung. Angesichts des Bergs von Problemen hatten viele Wählerinnen und Wähler eigentlich große Erwartungen in die Ampel-Koalition gesetzt. „Doch statt einer väterlichen Schutzmacht haben wir einen steten Bruderzwist erlebt“, sagt Grünewald. „Der Dauerzank in Berlin hat im Land das Gefühl erzeugt, dass man verwaist ist und allein gelassen mit den Problemen.“ Die Zuversicht, dass sich mit einer neuen Regierung etwas ändert, sei gleichwohl gering. Von einer Aufbruchstimmung mit Blick auf mögliche Koalitionen sei bei dieser Wahl nichts zu spüren. Vielmehr herrsche ein Gefühl der Ausweglosigkeit.
Das ebnet den Weg für jene, die genau dieses Gefühl aufgreifen. „Die gefühlte Ausweglosigkeit in der festgefahrenen Situation verstärkt eine latente Sehnsucht, den Problemstau entschieden oder radikal aufzulösen“, so das Ergebnis der Studie. „Angesichts der riesigen Probleme erscheinen Stillstand und ein bloßes ,Weiter so‘ zunehmend bedrohlich.“ Zwar werde auch der Kurs von US-Präsident Donald Trump als beängstigend empfunden, gleichzeitig übe er eine gewisse Faszination aus. „In Deutschland hingegen gibt es gerade weder eine Vision noch einen Kandidaten, von dem die Wähler überzeugt sind“, sagt Grünewald. Die größte Veränderungskraft werde noch der AfD zugeschrieben, vor allem CDU-Anhänger glaubten, dass die Rechtspartei zumindest die richtigen Fragen anspreche. Insgesamt lasse sich beobachten, dass die gesellschaftliche Spaltung zu immer tieferen Rissen führe. Mitunter habe man in den Tiefeninterviews den Eindruck, dass die Befragten in komplett unterschiedlichen Wirklichkeiten leben und die Welt vollkommen anders wahrnehmen. Der Psychologe Grünewald warnt: „Wenn es in der nächsten Regierung erneut so dicke Luft wie in der Ampel geben sollte, dann führt dies zur Erstickung der Demokratie.“
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Und die Verlustängste haben noch einen anderen Nebeneffekt: Sie sind ein Brandbeschleuniger für Verteilungskämpfe innerhalb der Gesellschaft. Selbst die Unterstützung der Ukraine, die lange von einem großen und scheinbar stabilen gesellschaftlichen Konsens getragen wurde, werde inzwischen von vielen Menschen infrage gestellt.
Sorge um die eigene Sicherheit wächst
Insgesamt, das zeigt eine andere Studie, die am Donnerstag vom Allensbach-Institut (IfD) vorgestellt wurde, ist die Verunsicherung groß. Auch das Sicherheitsgefühl der Deutschen hat nämlich einen neuen Tiefpunkt erreicht. „Das Thema Sicherheit gewinnt immer mehr an Bedeutung“, sagt IfD-Chefin Renate Köcher. Die Zahl derer, die sich im Alltag nicht mehr sicher fühlen, wächst. Laut Umfrage sank der Anteil der Bevölkerung, der sich in Deutschland sicher fühlt, im Vergleich zu 2024 zwar nur um einen Prozentpunkt auf 60 Prozent. In den Jahren 2019 bis 2022 hatte der Wert allerdings stets zwischen 71 und 82 Prozent gelegen. Die Sorge, als Unbeteiligter Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, stieg von 14 Prozent im Jahr 2022 auf nunmehr 30 Prozent an.
Ein sehr zutreffender Kommentar. Nur scheinbar haben unsere Politikerinnen und Politiker die Situation noch in keiner Weise erfasst.
"Das Gefühl, persönlich von den allgemeinen Problemen des Landes betroffen zu sein, greift um sich..." - Das ist nicht nur Gefühl, sondern meist klare Analyse und Gewissheit. Zunehmende Unerschwinglichkeit von Wohnraum, Inflation bei Lebenshaltung und Urlaub, Rezession = Rückgang der Wirtschaftsleistung (ist eine wissenschaftliche Tatsache), teurer Strom mit den den teuersten Wärmepumpen Europas - das erschwert den Rückzug ins Private. Die Wohlstandsverluste sind real und haben mit "Verlustängsten" nichts zu tun. Wenn zusätzlich die öffentliche Sicherheit abbaut und der Diskurs darüber behindert wird, erlebt man halt Deutschland 2025.
Diese Diagnose ist vollkommen richtig und ausgesprochen treffend. Sie trifft genau so 1:1 auf die USA und auch auf Frankreich zu.
1. Kann ich nicht behaupten, daß der Wunsch ins Private nicht funktioniert - ich kann abschalten. Daß man überhaupt über eine Befragung von 50(!!) als Artikelgrundlage nimmt, ist mehr als fragwürdig. 2. Der Wunsch nach "radikaler Veränderung", wie Frau Hufnagel schreibt - in vielen anderen Ländern "ja", aber nicht in Deutschland. Bei kleinsten Änderungen, egal woran, geht es nicht ohne Aufschrei der Betroffenen. Und additiv noch: das Wahlverhalten der Deutschen wird zeigen, daß es es keine radikalen Änderungen wünscht.
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