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Foto: Kay Nietfeld, dpa
Foto: Kay Nietfeld, dpa

Doppelpack: Finanzminister Christian Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz stellen den neuen Energie-Abwehrschirm vor. Nicht im Bild: Wirtschaftsminister Robert Habeck. Wegen einer Corona-Erkrankung war Scholz zugeschaltet.

Energiekosten
30.09.2022

Mit "Doppel-Wumms" bekämpft die Regierung die Energiekrise

Von Christian Grimm und Bernhard Junginger

Die Bundesregierung mobilisiert 200 Milliarden Euro auf Pump, um Gas- und Strompreise zu senken. Die Gasumlage wird unmittelbar vor Inkrafttreten gestrichen.

In der Energiekrise schaltet die Bundesregierung rhetorisch in den Kriegsmodus. „Wir befinden uns in einem Energiekrieg“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Donnerstag bei der Vorstellung des neuen Krisenplans der Ampel-Koalition.

Wer sich im Krieg wähnt, kann alle Mittel mobilisieren. Im Falle der Bundesregierung sind das 200 Milliarden Euro, die sie an neuen Schulden aufnimmt. Mit dem Geld sollen die enorm gestiegen Strom- und Gaspreise gesenkt werden, die Verbraucher und Unternehmen plagen. Die Mittel dienen auch dazu, die großen Gasimporteure zu stützen, die derzeit teuer Ersatz für ausbleibendes russisches Gas beschaffen. "Die Preise müssen runter", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Strompreisbremse: Der Basisverbrauch wird subventioniert

Im Gegenzug verzichtet die Regierung in letzter Minute auf die Gasumlage, die eigentlich ab Samstag greifen sollte. Die beschlossene Mehrwertsteuersenkung auf Gas bleibt dennoch bestehen. „Man kann sagen, das ist hier Doppel-Wumms“, meinte der Kanzler und bezog sich damit auf die Hilfspakete aus der Corona-Pandemie.

Das Instrument der Strompreisbremse soll folgendermaßen funktionieren: Der Staat subventioniert einen Basisverbrauch der privaten Verbraucher und Unternehmen. Den Energieversorgern zahlt die Regierung die Differenz zu den höheren Marktpreisen. Der über dem Basisverbrauch liegende Bedarf wird nicht verbilligt, um Firmen und Haushalte zum Energiesparen anzureizen. Für die Gaspreisbremse hat die Regierung noch kein fertiges Konzept. Eine Expertenkommission soll dieses schnell erarbeiten. „Die Energiekrise droht sich zu einer Wirtschafts- und sozialen Krise auszuwachsen“, erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei der Präsentation des Abwehrschirms. Der sei die Antwort auf Putins Angriff gegen die deutsche Volkswirtschaft.

Lindners Beharren auf die Schuldenbremse hatte eine Einigung der Ampel lange schwierig gestaltet

In den vergangenen Tagen hatten Habeck, Scholz und Lindner hektisch nach einem Ausweg aus der Sackgasse der Gasumlage gesucht. Der Ausweg war lange verstellt, weil Lindner im nächsten Jahr die Schuldenbremse wieder einhalten will. Die Bundesregierung bediente sich dafür des Buchungstricks, den sie schon zweimal angewendet hat. Wie beim Sondervermögen für die Bundeswehr und dem Klimafonds nimmt sie dieses Jahr das dritte Mal vorsorglich enorme Summen auf, um die großen Aufgaben der nächsten Jahre zu finanzieren.

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Praktisch für Lindner ist, dass in diesem Jahr die Schuldenbremse wegen Corona ausgesetzt ist. „Das Verfahren ist nicht riskant“, kommentierte der FDP-Vorsitzende das Auftürmen neuer Verbindlichkeiten. Allerdings klagt die Unionsfraktion vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe gegen Lindners Finanzmanöver beim Klimafonds. Denkbar ist, dass CDU und CSU eine zweite Klage folgen lassen.

Um sich von der Energiewirtschaft einen Teil des Geldes zurückzuholen, unterstützt die Bundesregierung den EU-Vorstoß für eine Sondergewinnsteuer, die die Konzerne zahlen sollen. Die 200 Milliarden Euro sollen Unternehmen und Haushalte bis Frühjahr 2024 vor den Verwerfungen des Energiemarktes schützen.

Oppositionsführer Friedrich Merz sagte, dass zentrale Begriffe aus dem Regierungsplan wie "Schutzschirm" oder "Preisbremse" ihn an frühere Forderungen aus der Union erinnerten. Generell begrüße er aber, "dass die Bundesregierung zu Entscheidungen kommt". Die Kalkulationsgrundlage für die angekündigten 200 Milliarden Euro erschließe sich ihm allerdings nicht. Bei der abgesagten Gasumlage sei schließlich von Einnahmen von 30 Milliarden Euro ausgegangen worden. Zusammen mit bisherigen Hilfs- und Entlastungsmaßnahmen habe die Bundesregierung 360 Milliarden neue Schulden in diesem Jahr beschlossen. "Das ist fast ein kompletter Bundeshaushalt, der jetzt in Form eines Schattenhaushalts aufgetürmt wird", kritisierte Merz. Er vermisse konkrete Details zur Ausgestaltung der Preisbremse und sehe die Bundesregierung erst am "Beginn eines Gesetzgebungsmarathons".

CSU-Chef Markus Söder lobte den "Abwehrschirm"gegen die steigenden Energiekosten im Grundsatz. Er habe stets einen großen Wurf gefordert, "dies scheint der Fall zu sein", so der bayerische Ministerpräsident. Abschließend könne er die Ankündigung der Ampel-Regierung allerdings noch nicht bewerten. Das Aus für die Gasumlage und der Gaspreisdeckel seien zwei "gute und grundsätzlich richtige Signale". Dass zur Finanzierung 200 Milliarden Euro weitere Schulden aufgenommen werden, müsse den Bürgern aber ehrlich gesagt werden, so Söder.

Aus der Wirtschaft kommt Zustimmung zur Gaspreisbremse. Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, einer besonders energieintensiven Branche, sagte: „Das ist ein wichtiger Befreiungsschlag. Geklotzt und nicht gekleckert." Doch nun sei "Tempo bei den Details" nötig, "denn immer mehr Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand".

Ramona Popp, Deutschlands oberste Verbraucherschützerin, sagte: „Es ist gut, dass die Bundesregierung die Gasumlage zurückgezogen hat. Zu begrüßen ist, dass sich die Bundesregierung endlich auf eine Finanzierung von Strom- und Gaspreisbremse geeinigt hat." Nun stehe "einer schnellen Umsetzung hoffentlich nichts mehr im Weg". Denn angesichts horrender Energiepreise brauchten die Menschen rasche Hilfe.

Nach Angaben des Vergleichsportals Check 24 ist der durchschnittliche Gaspreis für Privathaushalte im September auf einen neuen Rekord geklettert. Ein Musterhaushalt - angenommen wurde eine vierköpfige Familie, die in einem Reihenhaus lebt - mit einem jährlichen Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden zahlte demnach 4731 Euro im Jahr für Gas. Im September 2021 kostete die gleiche Menge Gas noch 1316 Euro - eine Steigerung von 232 Prozent.

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