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Streit um Biosprit: Darf Getreide trotz Ukraine-Krieg im Tank statt auf Tellern landen?

Streit um Biosprit

Darf Getreide trotz Ukraine-Krieg im Tank statt auf Tellern landen?

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    Getreide im Benzin, Raps- und Palmöl im Diesel: Die Beimischung von pflanzlichen Kraftstoffen ist nicht erst seit dem Ukraine-Krieg umstritten
    Getreide im Benzin, Raps- und Palmöl im Diesel: Die Beimischung von pflanzlichen Kraftstoffen ist nicht erst seit dem Ukraine-Krieg umstritten Foto: David Ebener, dpa

    Es gibt nicht wenige Menschen in Deutschland, die um Produkte mit Palmöl im Supermarktregal am liebsten einen Bogen machen. Das flüssige Fett aus den Fruchtkernen der Ölpalme genießt vor allem aus Klimaschutzgründen keinen guten Ruf, nachdem laut Umweltschützern noch immer wertvolle Regenwaldflächen für neue Plantagen gerodet werden. Die wenigsten Diesel-Autofahrer wissen aber, dass sie mit dem normalen Treibstoff an der Tankstelle meist auch einen guten Schuss

    Laut Gesetzesvorgaben müssen sieben Prozent pro Liter Diesel aus sogenanntem Biokraftstoff bestehen. Beim Diesel gilt Palmöl neben Rapsöl und altem Frittieröl als wichtigste Quelle. Auch Besitzer von Benzinern tanken fünf bis zehn Prozent beigemischten Biosprit, wie die Bezeichnungen E5 und E10 am Tankrüssel verraten. Hergestellt wird der Benzin-Zusatz vor allem aus Getreide und Zuckerrüben.

    Der Sinn von Biosprit ist seit Jahren umstritten

    Über den Umwelt-Nutzen des Auto- und Lkw-Sprits aus nachwachsenden Rohstoffen herrscht seit vielen Jahren ein erbitterter Expertenstreit. Doch seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Weltkornkammer Ukraine wird nicht nur das moralische Dilemma, wenn Nahrungsmittel im Tank statt auf dem Teller landen, noch größer. Auch die Kosten der Kraftstoffzusätze könnten explodieren und den Sprit weiter verteuern. Getreide aus der

    „Pflanzen anzubauen, um sie in Autos zu verbrennen, ist ein massives Problem“, kritisiert Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch. Der Umweltschützer will angesichts ökologisch wie sozial fragwürdiger Aspekte beim landwirtschaftlich erzeugten Sprit auch nicht von „Bio“ sprechen, redet lieber von Agrokraftstoff.

    Jürgen Resch ist Chef der Deutschen Umwelthilfe: „Pflanzen anzubauen, um sie in Autos zu verbrennen, ist ein massives Problem“
    Jürgen Resch ist Chef der Deutschen Umwelthilfe: „Pflanzen anzubauen, um sie in Autos zu verbrennen, ist ein massives Problem“ Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    „Allein für die in Deutschland getankten Agrokraftstoffe sind weltweit etwa 1,9 Millionen Hektar Agrarland belegt – eine Fläche größer als Sachsen“, sagt Resch. Dieses Land stehe der Landwirtschaft nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion oder andere Zwecke zur Verfügung. „Unterbrochene Lieferketten aufgrund des Ukrainekriegs führen zu steigenden Preisen von Rohstoffen wie Weizen, Mais oder Speiseölen – ein Problem vor allem für Länder in Westafrika und dem Nahen Osten“, warnt Resch.

    Der Krieg in der Ukraine verschärft das Biosprit-Dilemma

    Laut den Vereinten Nationen treibt der Krieg in der wichtigen Kornkammer Ukraine durch wegbrechende Lieferungen bereits jetzt Millionen Menschen in den Hunger. Und der Krieg setzt eine verhängnisvolle weltweite Kettenreaktion in Gang, die längst auch Staaten wie Indonesien und Malaysia erreicht hat. Die beiden Staaten zählen zu den weltweit größten Produzenten von Palmöl. Nachdem die Ukraine als wichtiger Produzent von Raps- und Sonnenblumenölsaaten ausfällt, stoppte jetzt Indonesiens Präsident Joko Widodo den Export von Palmöl ins Ausland und reagierte damit auf Proteste der Bevölkerung gegen stark steigende Lebensmittelpreise. Die Regierung von

    Palmöl-Plantagen in Indonesien. Mit einem Exportstopp für Palmöl will Indonesien als weltgrößter Produzent des begehrten pflanzlichen Rohstoffes Knappheit und steigende Preise im eigenen Land bekämpfen.
    Palmöl-Plantagen in Indonesien. Mit einem Exportstopp für Palmöl will Indonesien als weltgrößter Produzent des begehrten pflanzlichen Rohstoffes Knappheit und steigende Preise im eigenen Land bekämpfen. Foto: Bagus Indahono, dpa

    Umwelthilfe-Chef Resch warnt vor negativen Folgen, die wiederum der Einbruch der Palmölexporte in anderen Staaten auslösen könnte, wenn der Verbrauch weiter so hoch bleibe: „Sollte Palmöl auf dem globalen Markt in großem Stil durch andere Speiseöle ersetzt werden, hat das gravierende Auswirkungen auf den Flächenverbrauch“, erklärt der Experte. „Denn Palmöl erzeugt pro Fläche fünf- bis achtmal mehr Öl als andere Ölpflanzen.“ Deshalb müsse nun der Verbrauch an geeigneten Stellen reduziert werden. „Die bisherige Verschwendung von Speiseölen als Agrokraftstoff bietet hierfür einen guten Ansatzpunkt“, betont Resch. „Die Deutsche Umwelthilfe fordert die Bundesregierung auf, Agrokraftstoffe mit sofortiger Wirkung vollständig und dauerhaft aus der Förderung zu nehmen“, erklärt er.

    Bundesregierung will Produktion von Biosprit einschränken

    Tatsächlich steht das Thema in Berlin auf der Tagesordnung: Bundesumweltministerin Steffi Lemke spricht sich dafür aus, weniger Getreide und Pflanzenöl für Biosprit zu verwenden. „Agrokraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen sind keine sinnvolle Option“, sagt die Ministerin im Gespräch mit unserer Redaktion. „Agrarflächen sind weltweit begrenzt, wir brauchen sie dringend für die Ernährung, das führt uns der Krieg in der Ukraine dramatisch vor Augen“, betont die Grünen-Politikerin.

    Umweltministerin Steffi Lemke. will den Verbrauch von Lebensmittelpflanzen für Biosprit reduzieren
    Umweltministerin Steffi Lemke. will den Verbrauch von Lebensmittelpflanzen für Biosprit reduzieren Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Gerade die Menschen im globalen Süden litten besonders unter den Folgen der Krise und der fehlenden Verfügbarkeit von Getreide und weiteren Grundnahrungsmitteln. „Daher liegt es in unserer Verantwortung als großer Industriestaat, dass Agrarflächen für die Produktion von Nahrungsmitteln und nicht für den Tank genutzt werden“, sagt Lemke. „Bereits ab 2023 gibt es ein Aus für Palmöl im Tank“, verweist sie auf das bereits von der Großen Koalition beschlossene Ende der Förderung des umstrittenen Spritzusatzes, der in EU bis 2030 erlaubt bleibt. „Ich will jetzt den nächsten Schritt gehen und auch den Einsatz von Agrokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen weiter reduzieren“, kündigte sie an. Die Details würden derzeit zwischen ihrem Ressort und dem Bundeslandwirtschaftsministerium besprochen.

    Streit um Beimischungs-Quoten von Biokraftstoff

    Offen ist, ob die Mindestquoten zur gesamten Biospritbeimischung für die Mineralölbranche bei Benzin und Diesel gesenkt oder gar ausgesetzt werden. Landwirtschaftsverbände und die Opposition warnen vor radikalen Einschnitten. Der Verband der Biokraftstoffindustrie betont, dass die Produktion von pflanzlichen Sprits wegen der hohen Erzeugerpreise bereits gesunken sei. „Der Markt reagiert und mehr Agrarrohstoffe gehen in den Nahrungsmittelmarkt“, sagt Geschäftsführer Elmar Baumann. „Deshalb gibt es aktuell keinen Grund, weshalb die Biokraftstoffquoten abgesenkt werden sollten.“

    Auch der Energieexperte der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Andreas Lenz, verweist darauf, dass die Biokraftstoffe zur Einsparung von jährlich über zehn Millionen Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases CO2 führten. „Biokraftstoffe verringern den Bedarf an fossilen Kraftstoffen deutlich und leisten damit einen Beitrag zur Versorgungssicherheit und weniger Abhängigkeiten“, fügt der Ebersberger CSU-Abgeordnete hinzu. „Wir leben doch in einer Zeit, wo klar wird, dass weder die Versorgungssicherheit bei der Ernährung noch bei der Energie gottgegeben sind“, mahnt er. Zudem entstünden bei der Biokraftstoff-Herstellung wichtige Nebenprodukte für die Lebens- und Futtermittelbranche.

    Mineralölbranche setzt auf E-Auto-Fahrer mit THQ-Prämien

    Lenz warnt alle Seiten davor, die Krise für eigene politische Lieblingsprojekte zu instrumentalisieren und dabei andere Potenziale verstreichen zu lassen. So wirft der CSU-Politiker den Grünen vor, bewusst nicht die Ausnahmeerlaubnis der EU zu nutzen, ökologische Vorrangflächen der Landwirtschaft für den Nahrungsmittelanbau freizugeben. „Deutschland hat davon keinen Gebrauch gemacht und damit wertvolle Flächen etwa für den Anbau von Getreide verschenkt“, kritisiert er. „Demgegenüber haben etwa Österreich, Frankreich, Polen, Spanien und Italien diese Möglichkeit genutzt. Das wäre auch ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Welternährung gewesen.“

    Seit Beginn des Jahres versucht die Mineralölwirtschaft nun mit unkonventionellen Methoden, ihre gesetzlich vorgeschriebene „Treibhausgasminderungsquote“ auch anders als vor allem mit der Beimischung von Biokraftstoffen zu erfüllen: Im Internet ist ein regelrechter Boom von Maklerfirmen entstanden, die Besitzern von reinen Elektroautos Prämien von über 300 Euro pro Jahr anbieten, wenn sie ihre rechnerische CO2-Einsparung gegenüber Verbrennerfahrzeugen der Wirtschaft überschreiben.

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