Der russische Angriff auf die Ukraine hat in Deutschland alte Ängste vor einer nuklearen Katastrophe neu entfacht. 63 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind angesichts der Gefahr einer möglichen radioaktiven Belastung durch einen Unfall in einem Atomkraftwerk "sehr beunruhigt". Doch nur 20 Prozent wissen, was sie im Fall eines nuklearen Unfalls überhaupt tun müssten. Das sind die zentralen Ergebnisse einer Studie des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS), die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurden. BfS-Präsidentin Inge Paulini sagte: "Uns haben in den ersten Wochen des Krieges viele Fragen erreicht. Oft wollten Menschen wissen, welche Schutzmaßnahmen in Deutschland bei einem Zwischenfall in der Ukraine ergriffen werden müssten."
Spätestens seit der Havarie des Atomkraftwerks Tschernobyl auf dem Gebiet der heutigen Ukraine im Jahr 1986 ist den allermeisten Menschen klar, dass radioaktive Wolken nicht vor Staatsgrenzen haltmachen. Damals verbreitete sich der strahlende Fallout über große Teile Europas. Die Berichte über Kampfhandlungen am ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja oder russische Drohungen, Nuklearwaffen einzusetzen, lösen hierzulande nun tiefe Besorgnis aus.
Die Bundesrepublik, das ist Paulinis wichtigste Botschaft, sei ausreichend vorbereitet, die Notfallpläne würden laufend angepasst und in regelmäßigen Übungen erprobt. Seit der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 habe sich die Situation noch einmal deutlich verbessert. Im gemeinsamen Lagezentrum von Bund, Ländern und Kommunen werde die Gefährdungssituation "24/7" beobachtet, also pausenlos, Tag und Nacht. Dabei würden alle Szenarien mit bedacht – auch die Möglichkeit eines russischen Einsatzes von Atomwaffen. 1700 Messstellen in Deutschland lieferten die notwendigen Informationen, darüber hinaus bestünden enge Kontakte in zahlreiche Länder - einschließlich der Ukraine. Seit Beginn des russischen Angriffs seien "dort wie hier" keine erhöhten Radioaktivitätswerte aufgetreten.
Im Ernstfall: Erst informieren, dann handeln
Sollte es zum Ernstfall kommen, ist laut Paulini die wichtigste Regel: "Zuerst informieren, dann handeln." Über Behörden, Kommunen und die Massenmedien würden geeignete Verhaltensempfehlungen verbreitet, gegebenenfalls auch zu radioaktiv belasteten Lebensmitteln. Niemand soll der BfS-Chefin zufolge etwa Jodtabletten eigenständig einnehmen, dies könne gesundheitsschädlich sein. Bei Bedarf würden die Behörden die schützenden Pillen verteilen und über die korrekte Einnahme informieren. 190 Millionen Jodtabletten stehen dem Bundesamt zufolge dafür bereit. Darüber hinaus gelte: "Wenn wirklich eine radioaktive Wolke auftritt, sollten die Menschen unbedingt in ihren Wohnungen bleiben und Fenster und Türen geschlossen halten."
Aus der Studie leitet Paulini die Forderung an Bund, Länder und Kommunen ab, "die eigenen Informationsangebote weiter zu verbessern. Zudem müsse der Katastrophenschutz stärker verzahnt werden. "Wenn der Bevölkerungsschutz nach den Erfahrungen aus der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr und der Corona-Pandemie neu aufgestellt wird, muss auch der radiologische Notfall mit gedacht werden", sagte sie.
Das eigentliche Risiko und dessen Wahrnehmung, auch das macht die BfS-Studie deutlich, klaffen mitunter weit auseinander. Tödliche Gefahren gehen demnach nicht nur von Kernkraftwerken und Atombomben aus. Wer sich zu intensiv der natürlichen UV-Strahlung aussetze, steigere etwa die Wahrscheinlichkeit erheblich, an bösartigem Hautkrebs zu erkranken. Der Studie zufolge wissen 78 Prozent der Befragten grundsätzlich um die Risiken. Vorsorge, etwa durch Sonnenschutzmittel oder lange Kleidung, könnte jeder Mensch selbst treffen, doch längst nicht jeder tut es auch, so die Erkenntnis. Nur 46 Prozent etwa cremen sich in der Sommersonne immer ein. Männer sind dabei noch weit sorgloser als Frauen.