Der Bundesrechnungshof wirft Finanzminister Christian Lindner vor, ohne Not jedes Jahr zig Milliarden Euro Steuereinnahmen liegenzulassen. Die Experten kritisieren in einem Gutachten zahlreiche Vergünstigungen und teils scheinbar willkürlich ermäßigte Mehrwertsteuersätze auf bestimmte Produkte oder Leistungen. Der FDP-Politiker hatte den umfangreichen Katalog eigentlich längst zusammenstreichen wollen. Angesichts der enger werdenden finanziellen Spielräume der Bundesregierung steigt nun der Druck auf den Minister, die Kassenlage zu verbessern. Doch die Opposition sitzt Lindner im Nacken, denn die Abschaffung von Ausnahmen käme faktisch Steuererhöhungen gleich.
Kaffee ist nicht gleich Kaffee - zumindest steuerlich
Ein besonders frappierendes Beispiel haben die Rechnungsprüfer in ihrem Bericht genannt, der dem Haushaltsausschuss des Bundestags zugeleitet wurde. Es geht um den Becher Kaffee zum Mitnehmen. Wer einen heißen Kaffee mit einem Schuss Milch bestellt, muss 19 Prozent Mehrwertsteuer bezahlen. Für eine Latte macchiato – also mehr Milch, weniger Kaffee – fallen hingegen nur sieben Prozent an. „Viel Spaß bei der Prüfung“, kommentiert Florian Köbler, Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, im Gespräch mit unserer Redaktion lakonisch.
Er hält das kaum durchdringbare Dickicht des Steuersystems allein schon aus Bürokratie-Gesichtspunkten für ein Problem. „Steuervergünstigungen bedeuten einen erheblichen Aufwand. Bei Wirtschaft, Beratern und Finanzämtern. In Zeiten von Fachkräftemangel ein absolut vermeidbares No-Go“.
Der Gewerkschaftschef glaubt auch nicht, dass staatliche Steuerrabatte der Wirtschaft tatsächlich substanziell helfen. „Erfolgreiche Unternehmer treffen Entscheidungen, die betriebswirtschaftlich Sinn ergeben. Nicht, weil eine kurzfristige steuerliche Erleichterung lockt. Die Wirtschaft funktioniert nicht nach dem Prinzip Wühltisch“, warnt Köbler. Er sieht im komplizierten deutschen Steuersystem aber auch ein Gerechtigkeitsproblem. „Am Ende profitieren nur die wenigen, die sich sehr gute Beratung leisten können.“
Bundesrechnungshof sieht Potenzial von bis zu 35 Milliarden Euro
Der Bundesrechnungshof geht davon aus, dass allein durch die ermäßigten Mehrwertsteuersätze dem Staat jährlich rund 35 Milliarden Euro an potenziellen Einnahmen entgehen. Geld, das Lindner angesichts der angespannten Haushaltslage dringend brauchen könnte. Selbst wenn nur ein kleiner Teil der Sonderregeln abgeschafft würde, kämen mehrere Milliarden zusammen.
Das Problem des Finanzministers: Privilegien inmitten einer wirtschaftlichen Flaute – und eines Superwahljahres – abzuschaffen, ist heikel und birgt politischen Sprengstoff. Er hat das bereits mit der Gastronomie erlebt, der mithilfe eines vorübergehend reduzierten Mehrwertsteuersatzes durch die Pandemie geholfen wurde. Als diese Förderung dann Anfang des Jahres plangemäß auslief, war die Empörung groß.
Bayerns Finanzminister Füracker warnt vor "Deckmantel für Steuererhöhungen"
Die bayerische Staatsregierung fordert bis heute, den reduzierten Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie dauerhaft wieder einzuführen. Bayerns Finanzminister Albert Füracker warnt auf Nachfrage davor, weitere Vergünstigungen zu streichen. Zwar stehe man zum Bürokratieabbau, sagte der CSU-Politiker. Nur: „Punktuell vereinfachende Maßnahmen im Umsatzsteuerrecht dürfen aber nicht zum Deckmantel für Steuererhöhungen werden.“ Der Freistaat werde sich „jeder Form der Steuererhöhung entgegensetzen“. Die Bürgerinnen und Bürger seien „wegen der verfehlten Wirtschaftspolitik der Ampel ohnehin stark belastet“.