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Sterbehilfe: Wie weit geht das Recht auf einen selbstbestimmten Tod?

Sterbehilfe

Wie weit geht das Recht auf einen selbstbestimmten Tod?

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    Es wird davon ausgegangen, dass bis zu 950 Menschen pro Jahr Sterbehilfe beantragen könnten.
    Es wird davon ausgegangen, dass bis zu 950 Menschen pro Jahr Sterbehilfe beantragen könnten. Foto: Sebastian Kahnert, dpa (Symbolbild)

    Unter welchen Voraussetzungen darf ein Mensch freiwillig aus dem Leben scheiden? Die Diskussion über diese Frage gewinnt sowohl an Fahrt als auch an Schärfe. Mehrere Sterbehilfevereine wenden sich nun gegen Vorstöße aus der Politik, die aus ihrer Sicht eine Kriminalisierung der assistierten Selbsttötung darstellen. Der Staat, so ihr Tenor, sollte sich möglichst komplett heraushalten, wenn Menschen sich entscheiden, ihr Leben zu beenden - und zwar unabhängig davon, ob dieser Wunsch aufgrund schwerer Krankheit besteht oder wegen "Lebenssattheit". Beratungspflichten oder Wartezeiten, Schutzkonzepte oder neue Strafbarkeiten lehnen die Organisationen entschieden ab.

    Verfassungsgericht kippte Sterbehilfe-Verbot

    Zwei Jahre nachdem das Bundesverfassungsgericht in einem aufsehenerregenden Urteil das Verbot der sogenannten "geschäftsmäßigen Sterbehilfe" gekippt hat, zeichnet sich damit ab, wie schwierig es für den Bundestag werden dürfte, die geforderte Nachfolgeregelung zu finden. Anfang 2020 erklärten die Karlsruher Richter das zuvor geltende Verbot der Hilfe zur Selbsttötung für verfassungswidrig und damit nichtig. Es gehöre zur menschlichen Selbstbestimmung, sein Leben nach eigenem freien Willen zu beenden, hieß es in dem Urteil. Seither ist die Arbeit von Sterbehilfevereinen wie der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Dignitas-Deutschland oder dem Verein Sterbehilfelegal. Sie helfen auf Wunsch und in der Regel gegen eine Gebühr, die mehrere tausend Euro betragen kann, etwa bei der Beschaffung tödlicher Medikamente, und vermitteln ärztlichen und juristischen Beistand.

    Das Bundesverfassungsgericht hatte das Sterbehilfe-Verbot gekippt.
    Das Bundesverfassungsgericht hatte das Sterbehilfe-Verbot gekippt. Foto: Uli Deck, dpa

    Recht auf Sterbehilfe: Neuer Vorstoß im Bundestag

    Für das Recht auf Sterbehilfe setzt sich seit Jahren die humanistische Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) ein, die am Montag in Berlin von der früheren FDP- und SPD-Politikerin sowie Ex-KfW-Bankmanagerin Ingrid Matthäus-Maier vertreten wurde. Gewohnt streitbar sagte sie: "Das Karlsruher Urteil betont das Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das Recht, sich das Leben zu nehmen und das Recht, sich von Dritten dabei helfen zu lassen." Politik und Kirchen sollten sich aus dem Thema so weit wie möglich heraushalten. Matthäus-Maier kritisierte insbesondere den jüngsten Vorschlag zur Reform der Sterbehilfe.

    Den hatten vor wenigen Wochen Abgeordnete aus allen Bundestagsfraktionen mit Ausnahme der AfD vorgelegt. Sterbehilfe solle demnach unter strengen Voraussetzungen straffrei bleiben. Gleichzeitig ist eine starke Ausweitung der Beratungsangebote für Menschen, die sich mit Selbstmordgedanken tragen, vorgesehen. Zweimal und im Abstand mehrerer Wochen etwa sollten Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen, mithilfe eines Arztes aus dem Leben zu scheiden, zum Psychiater gehen. Dies sei ein "unmögliches Verfahren", sagte Matthäus-Maier. Es sei eine klare Anforderung des Karlsruher Urteils, den Zugang zum Suizid zu ermöglichen.

    Ergebnisoffene Beratung sollen kurzentschlossene Selbstmorde verhindern

    Der Rechtsanwalt Robert Rossbruch von der DGHS sagte: "Es braucht kein normatives Schutzkonzept." Die Suizidberatung solle "ergebnisoffen" sein, "kurzentschlossene Selbstmorde verhindern, wohlüberlegte dagegen ermöglichen." 120 assistierte Selbstmorde habe seine Organisation im vergangenen Jahr vermittelt. Die Gründe seien schwere Leiden wie Krebs oder neurologische Erkrankungen, gerade bei Hochbetagten auch "Lebenssattheit". Zudem bestehe bei manchen Ehepaaren der Wunsch, "gemeinsam zu gehen".

    Ähnliches berichteten Sandra Martino vom Verein Dignitas, der seine Wurzeln in der Schweiz hat, und Jakub Jaros vom Verein Sterbehilfe. Martino sagte, dass es neben 9000 Selbstmorden geschätzte 180.000 Selbstmordversuche gebe, welche die Betroffenen oft "körperlich und seelisch schwer verletzt überleben". Das Thema Selbstmord dürfe nicht länger ein Tabu sein. "Das Wissen um die Möglichkeit eines selbstbestimmten Todes schafft bei vielen Sicherheit und ermöglicht ihnen wieder Kontrolle über das Leben." Alle drei Sterbehilfeorganisationen kündigten an, gegen jede mögliche neue Verschärfung der Regeln zur Sterbehilfe durch den Gesetzgeber mit Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht vorzugehen. Stattdessen müssten verbleibende Hürden wie der eingeschränkte Zugang zu tödlichen Medikamenten abgebaut werden.

    Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie darüber! Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten. Hier finden Sie eine Übersicht.

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