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Sterbehilfe: Wer sind die Menschen, die um Sterbehilfe bitten?

Sterbehilfe

Wer sind die Menschen, die um Sterbehilfe bitten?

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    In Deutschland hat jeder das Recht, sich für einen Freitod Hilfe zu suchen. Doch es bestehen rechtliche Grauzonen bei der passiven Sterbehilfe.
    In Deutschland hat jeder das Recht, sich für einen Freitod Hilfe zu suchen. Doch es bestehen rechtliche Grauzonen bei der passiven Sterbehilfe. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Eine noch ziemlich junge Frau von 36 Jahren setzt ihrem Leben ein Ende – eine heimtückische Muskelkrankheit hat es ihr zur Hölle gemacht. Ein Mann von 101 Jahren setzt seinem Leben ein Ende – er hatte es satt. In dieser Spanne spielen die Geschichten von Leben und Tod, die Robert Roßbruch begegnen. Der Mann ist Vorsitzender der Gesellschaft für Humanes Sterben. Und er ist Jurist. 

    Sein Beruf ist kein Nachteil in dieser delikaten Sache, im Gegenteil. Wer sich in Deutschland selbst töten will und dabei Hilfe sucht, der betritt juristisch schwankendes Terrain. Riskant werden kann es vor allem für die Ärzte, die bei dem Suizid assistieren. In Berlin steht derzeit deshalb ein Mediziner vor Gericht, in Essen wurde kürzlich ein Arzt zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen Totschlags verurteilt. Gegen die Entscheidung ist Revision eingelegt worden. 

    Sie kommen wegen Krebs, anderen Krankheiten oder wollen einfach nicht mehr

    Robert Roßbruch will nicht, dass die Menschen aus Deutschland zum Sterben in die Schweiz fahren müssen, wo die Sterbehilfe sehr liberal geregelt ist. Seine Organisation unterstützt Menschen, die sanft aus dem Leben scheiden wollen. Vergangenes Jahr waren es 419, im Jahr davor 229. Es sind also fast doppelt so viele zu Roßbruch gekommen. 

    Robert Roßbruch ist Präsident der Gesellschaft für Humanes Sterben und Rechtsanwalt. Er erwartet, dass in den nächsten Jahr wegen der Alterung der Gesellschaft mehr Menschen um passive Strebehilfe bitten werden.
    Robert Roßbruch ist Präsident der Gesellschaft für Humanes Sterben und Rechtsanwalt. Er erwartet, dass in den nächsten Jahr wegen der Alterung der Gesellschaft mehr Menschen um passive Strebehilfe bitten werden. Foto: Guido Kirchner, dpa

    Über 80 Prozent waren älter als 70 Jahre. Sie leiden häufig an Krebs, werden geplagt von verschiedenen anderen Krankheiten, oder wollen einfach nicht mehr. Zum Vergleich: Insgesamt bringen sich in Deutschland pro Jahr rund 10.000 Menschen auf die verschiedensten Arten um. Neben der Gesellschaft für Humanes Sterben begleiten außerdem der Verein Sterbehilfe und Dignitas Deutschland Menschen in den Tod. Roßbruch schätzt, dass sie zusammen auf 1000 Fälle kommen. Weil die Gesellschaft altert, rechnet er damit, dass es in den nächsten Jahren mehr werden. 

    Die Gesellschaft für Humanes Sterben vermittelt den Hilfesuchenden Ärzte und Juristen für den letzten Gang, es sind 30 Teams in ganz Deutschland. Dafür muss man der Gesellschaft beitreten, 60 Euro kostet der Mitgliedsbeitrag pro Jahr. Vor dem begleitenden Suizid muss der freie Wille desjenigen festgestellt werden, der den Tod sucht. Das tun die Juristen. Die Ärzte beraten über Therapien, über Alternativen zum Suizid. Sie schreiben medizinische Gutachten oder holen diese von Kollegen ein. 

    Robert Roßbruch: "Der Betroffene dreht die Infusion auf"

    In der Stunde des Todes sind sie an der Seite des Patienten. Der Mediziner legt eine Kanüle, er fragt, ob der Beutel mit dem todbringenden Präparat an den Tropf gehängt werden soll. Den finalen Schritt muss jeder allein machen. "Der Betroffene dreht die Infusion auf", erzählt Roßbruch. Nach dem Dahinscheiden wird die Kripo informiert, das vorgeschriebene Ermittlungsverfahren beginnt. 

    Den letzten Schritt muss jeder allein gehen. Das Rädchen für den Beginn der Infusion mit dem tödlichen Präparat muss der Sterbewilige selbst aufdrehen.
    Den letzten Schritt muss jeder allein gehen. Das Rädchen für den Beginn der Infusion mit dem tödlichen Präparat muss der Sterbewilige selbst aufdrehen. Foto: Arne Dedert, dpa

    Für Polizei und Staatsanwaltschaft ist entscheidend, wer das Rädchen aufgedreht hat. Denn es wäre aktive Sterbehilfe, wenn es der Mediziner machen würde. Das wäre eine Tötung auf Verlangen und die ist strafbar in Deutschland. Dennoch zeigen die beiden Prozesse gegen die Ärzte, dass sie auch bei der passiven Sterbehilfe einem Risiko ausgesetzt sind. Das liegt daran, dass die Rechtslage nicht genau definiert ist. Vor beinahe genau vier Jahren hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass sich aus dem Grundgesetz ein "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" ableite. Dieses Recht umfasst in der Herleitung der obersten deutschen Richter die "Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen". Sie erklärten das bis dato gültige weitgehende Verbot der passiven Sterbehilfe für ungültig. 

    Das Verfassungsgericht sprach dem Bundestag aber ausdrücklich die Möglichkeit zu, die Paragrafen neu zu regeln. Doch das haben die Abgeordneten bis heute nicht erreicht. Zwar erarbeiteten zwei fraktionsübergreifende Gruppen an Gesetzentwürfen, doch keiner der beiden fand eine Mehrheit im Hause. Die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr von der FDP schrieb federführend an einem Vorschlag. Sie hält es nach wie vor für nötig, dass der Bundestag aktiv wird. 

    Gibt es einen zweiten Anlauf für ein Gesetz zur Sterbehilfe?

    Noch immer mangele es an Klarheit, wer wen auf welche Weise bei einem Freitod helfen darf. "Als Gesetzgeber dürfen wir die Augen hiervor nicht verschließen", sagt die 37-Jährige unserer Redaktion. Sie hat nicht aufgegeben. Nach dem Scheitern im vergangenen Sommer hat ihre Gruppe aus Abgeordneten weiter an dem Gesetzentwurf gefeilt, um ihn für eine Mehrheit zustimmungsfähig zu machen. "Es ist unsere Verantwortung als Gesetzgeber, bestehende Grauzonen zu beseitigen", meint Helling-Plahr. 

    Der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling war seinerzeit maßgeblich an dem konkurrierenden Gesetzentwurf beteiligt, der strengere Anforderungen an die Sterbehilfe stellte. Er stehe weiter die Frage im Raum, ob das Thema ausreichend geregelt sei. "Insofern gibt es natürlich Überlegungen, einen neuen gesetzgeberischen Anlauf zu nehmen", sagt Heveling unserer Redaktion. Doch wann und ob es überhaupt dazu kommt, das können weder er noch Helling-Plahr voraussagen. 

    Robert Roßbruch hingegen meint, dass es den Bundestag in dieser Frage nicht bedürfe. "Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind eindeutig und klar", sagt er. Den beiden vor Gericht stehenden Mediziner nützt das womöglich nichts. Strittig ist vor allem, ob schwer psychisch Kranke in freiem Willen über ihr Ableben entscheiden können.

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