Der Kläger spricht nur ganz leise, bewegen kann er sich kaum. Durch die Multiple Sklerose ist Harald Mayer nahezu komplett gelähmt. Er braucht rund um die Uhr Betreuung, selbst das Schlucken fällt dem Kläger schwer und bereitet ihm Schmerzen. Mit einem Betäubungsmittel möchte Mayer schon 2017 seinem Leben ein Ende setzen - und landet damit sechs Jahre später vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Heute verhandelte das Gericht über den Zugang zu einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel für Sterbewillige. Zwei schwerkranke Menschen, darunter Mayer, klagen gegen das Bundesinstitut Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn, das ihren Antrag für den Kauf des Medikaments abgelehnt hat. In den Vorinstanzen hatten die Kläger keinen Erfolg. Das Bundesgericht will eine Entscheidung am 7. November verkünden (Az.: BVerwG 3 C 8.22 und BVerwG 3 C 9.22).
Die Klage
Die beiden Patienten aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen verlangen vom BfArM die Erlaubnis, eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital erwerben zu dürfen. Damit wollen sie sich selbst töten. Das Bundesinstitut hat die Anträge abgelehnt. Es beruft sich dabei auf das Betäubungsmittelgesetz, das den Zugang zu einem Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung nicht zulässt.
Andere Möglichkeiten der Sterbehilfe - etwa durch einen Arzt oder mit Hilfe einer Organisation - kommen für die beiden Kläger nicht in Frage. "Die Kläger wollen alleine im Kreise ihrer Familie sterben", erklärte Rechtsanwalt Robert Roßbruch. Dafür gehen die Sterbewilligen lange Gerichtswege. "Es ist mittlerweile zu meinem Lebensinhalt geworden", so Mayer. Die Kläger führten auch an, dass es äußerst schwierig sei, einen Arzt zu finden, der Mittel zur Selbsttötung verschreibt.
Das Bundesinstitut sieht einen nicht von Ärzten begleiteten Suizid generell kritisch. Es gebe erhebliche Risiken - sowohl für die Patienten selbst als auch für Dritte, etwa wenn eine tödliche Dosis Betäubungsmittel zu Hause aufbewahrt wird.
Die vorherige Entscheidung
Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat die Klagen abgewiesen. Die Erteilung einer Erlaubnis sei unmöglich. Das Betäubungsmittelgesetz habe den Zweck, die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu sichern und dem Schutz der menschlichen Gesundheit zu dienen.
Das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben werde dadurch nicht verletzt. Es gebe dafür andere Möglichkeiten - etwa mit Hilfe eines Arztes oder einer Organisation, die zur Suizidhilfe bereit sind. Gegen dieses OVG-Urteil haben die Kläger Revision eingelegt.
Grundrechtsprobleme und Betäubungsmittelgesetz
In der mündlichen Verhandlung in Leipzig wurde ausführlich diskutiert, ob die verwehrte Erlaubnis das Recht der Kläger auf ein einen selbstbestimmten Tod verletzt. Eine Tendenz ließen die Bundesrichter nicht erkennen.
Sollte ein Grundrechtsverstoß festgestellt werden, stehe die Frage im Raum, ob man den Fall dem Bundesverfassungsgericht vorlegt, erklärte die Vorsitzende Richterin. Die Karlsruher Richter sollten dann prüfen, ob der Abschnitt im Betäubungsmittelgesetz, der eine Erlaubnis unmöglich macht, verfassungsgemäß ist. "Die Vorlage wäre ein Zeitproblem: Das werden meine Mandanten nicht mehr erleben", sagte Kläger-Anwalt Roßbruch.
Anträge auf tödliche Medikamente
Seit 2017 sind beim BfArM 244 Anträge auf die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital gestellt worden. In keinem Fall sei ein Antrag bewilligt worden, teilte das Bundesinstitut mit. Ein Großteil sei abgelehnt worden, acht Anträge seien zurückgezogen worden, etliche Verfahren seien noch offen. In 36 Fällen seien die Antragsteller gestorben.
Sterbehilfe in Deutschland
Grundlegend ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020. Es postuliert das Recht des Einzelnen auf ein selbstbestimmtes Sterben. Mit der Entscheidung wurde damals das Verbot der organisierten Sterbehilfe in Deutschland gekippt. Seither wird allerdings um konkrete Regelungen für die Sterbehilfe gestritten - bisher ohne Ergebnis.
Im Sommer bekamen zwei Gesetzentwürfe nicht die nötige Mehrheit im Bundestag. Im Bundesverwaltungsgericht wurde auch deutlich, dass es wegen der fehlenden Regeln in der Ärzteschaft nach wie vor eine große Unsicherheit bei dem Thema gibt.
(Von Patricia Bartos und Birgit Zimmermann, dpa)