Für viele stellen sie ein Ärgernis dar, für die Kirchen einen Teil ihrer Finanzierung neben Kirchensteuer oder Subventionen: die Staatsleistungen. Jährlich zahlten ihnen die Bundesländer zuletzt an die 600 Millionen Euro als Ausgleich für Enteignungen im Rahmen der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts. Seit mehr als 100 Jahren besteht ein Verfassungsauftrag, die Zahlungen abzulösen. Hierzu bedarf es zunächst eines "Grundsätzegesetzes", später der Verhandlungen der Kirchen mit den Ländern. Denn diese sind die Träger der Staatsleistungen.
Lars Castellucci, religionspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zeigte sich jetzt dennoch zuversichtlich, dass die Ampel umsetzen könne, was sie im Koalitionsvertrag vereinbarte – "einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen" zu schaffen. "Das Gesetzgebungsverfahren wird bis 2024 abgeschlossen sein", sagte er unserer Redaktion. Zur Zeit würden Bund, Länder, Kirchen und Wissenschaft für eine Arbeitsgruppe im Bundesinnenministerium an einen Tisch geholt.
SPD-Politiker Lars Castellucci: "Ablösung heißt, nochmals Geld in die Hand zu nehmen"
Fraglich ist, ob und wie die Länder angesichts angespannter Haushalte hohe Summen an die Kirchen zahlen wollen. Es könnte um mindestens rund elf Milliarden Euro gehen. Ebenso ungewiss ist, welche Ablöse die Kirchen akzeptieren würden. Castellucci betonte, dass es noch keine vorgegebene Berechnungsgrundlage gebe. Die Kirchen sollten jedoch "grundsätzlich in die Lage versetzt werden, selbst etwa die Mittel zu erwirtschaften, die sie derzeit jährlich erhalten". In einer Anhörung sei vorgeschlagen worden, die Höhe der Ablöse in Verbindung zur Mitgliederstärke der Kirchen zu bringen, so Castellucci. Klar sei: "Ablösung heißt, nochmals Geld in die Hand zu nehmen, deshalb wurde es wohl auch so lange aufgeschoben."
Milliarden an Steuermitteln für die Kirchen – das dürfte der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln sein. Ein Sprecher des zuständigen Bayerischen Kultusministeriums will Zahlen nicht kommentieren: "Herkunft und Grundlagen der genannten Summen sind uns nicht bekannt." Auch die Deutsche Bischofskonferenz und das Katholische Büro in Berlin halten sich bedeckt. Man befinde sich in Gesprächen, hieß es nur. Sogar der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke schweigt. Im Dezember forderte er noch eine "schnelle" Lösung: Wenn die Kirchen jetzt pokerten, stünden sie bei ihrer rasant nachlassenden gesellschaftlichen Bedeutung am Ende womöglich "ohne nennenswerte Ablöse" da.
Anne Gidion, Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der EU, sagte unserer Redaktion: "Die Kirchen pokern nicht." Entscheidend sei, dass sie weiterhin ihre seelsorglichen, sozialen und gesellschaftlichen Leistungen erbringen könnten. Zugleich stünden die Haushalte der Länder unter starkem Druck. Laut Gidion sind "viele unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten vorstellbar". Das vom Bund zu erlassende Gesetz müsse "den unterschiedlichen Situationen in den Ländern kreativen Spielraum" lassen. Gidion verwies zudem darauf, dass der Anteil der Staatsleistungen am Haushalt einzelner Landeskirchen teils 20 Prozent betrage. "Ein Wegfall dieser Einnahmen würde einzelne Regionen empfindlich treffen." Die Gelder kämen der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen oder Flüchtlingen zugute.
So viel an Staatsleistungen erhielten die Kirchen im Jahr 2022 vom Freistaat Bayern
Berechnungen zufolge haben die Bundesländer den Kirchen seit 1949 über 20 Milliarden Euro an Staatsleistungen gezahlt. In Bayern waren es im vergangenen Jahr rund 103 Millionen Euro – rund 77 Millionen an die römisch-katholische und rund 26 Millionen an die evangelisch-lutherische Kirche.