Wenn Kanzler Olaf Scholz am Samstag nach durchflogener Nacht in Neu-Delhi zum Staatsbesuch eintrifft, sprechen nicht nur die Temperaturen von 30 Grad für einen warmen Empfang. Deutschland und Indien sind seit Jahrzehnten eng miteinander verbunden, das südasiatische Riesenland mit seinen fast 1,4 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohnern gehörte etwa nach dem Zweiten Weltkrieg zu den ersten Staaten, die die Bundesrepublik diplomatisch anerkannten. Alt-Kanzlerin Angela Merkel reiste gerne und oft nach Indien, auf sie gehen die deutsch-indischen Regierungskonsultationen zurück. Nun also ist es an ihrem Nachfolger Olaf Scholz, die traditionell guten Beziehungen weiter zu pflegen. Die Vorzeichen jedoch haben sich geändert, plötzlich steht auch die Lieferung schwerer Waffen wieder im Raum.
„Indien hat vor allem seit dem Ukraine-Krieg international an Aufmerksamkeit gewonnen, für die Regierung ist der Krieg ein geopolitischer Moment, weil sie jetzt noch stärker umworben wird als je zuvor“, erklärt Christian Wagner. Er ist Asien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Hinzu komme die laufende G20-Präsidentschaft, die von indischer Seite genutzt werde, um das internationale Image zu verbessern.
Indien will bis 2070 klimaneutral sein
Scholz wird bei seinem vierten Zusammentreffen mit dem indischen Premierminister Narendra Modi auf viel Selbstbewusstsein stoßen. An Glauben an die eigene Stärke, an Nationalstolz hat es Indien noch nie gemangelt. Gerade in den letzten Jahren kam zur mentalen auch eine wirtschaftliche Kraft hinzu. Zwar lebt einerseits immer noch ein Zehntel der Menschen unterhalb der Armutsgrenze von 2,15 US-Dollar (2 Euro) pro Tag. Andererseits lassen sich immer mehr internationale Firmen im Land nieder, die indische Roboterindustrie beispielsweise verzeichnet enorme Zuwächse. Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins ist auch die Erklärung, bis 2070 klimaneutral sein zu wollen. Das mag man allein ob der langen Laufzeit belächeln, doch der Aufholbedarf des Landes an dieser Stelle ist ebenso riesig wie das Geschäftspotenzial für Firmen aus dem Ausland.
Scholz wird in Indien einerseits also für Solarzellen und weitere Klimatechnologie werben, der Gastgeber wiederum wird eine andere Art von Waren nachfragen. „Das Interesse gilt eher Rüstungsexporten und den großen geostrategischen Fragen als erneuerbaren Energien“, sagt SWP-Experte Wagner. Frankreich sei Deutschland da immer einen Schritt voraus. „Sie machen wirtschaftlich vielleicht nicht so viel wie wir, punkten aber bei Waffenexporten, geostrategischen Partnerschaften und der Zusammenarbeit im Nuklearbereich.“ Ein Blick zurück zeigt, was Wagner meint. Vor gut zehn Jahren wollte Indien Kampfjets kaufen, auch Deutschland war als Lieferant im Gespräch. Am Ende bestellte Neu-Delhi 36 französische Rafale-Kampfflugzeuge. In diesem Jahr könnte es sein, dass Deutschland zum Zuge kommt.
Liefert Deutschland U-Boote nach Indien?
„Indien ist ein gutes Beispiel dafür, dass man bei Rüstungsexporten immer vor Entscheidungen gestellt wird, die einen Abwägungsprozess notwendig machen“, sagte ein ranghoher deutscher Diplomat am Donnerstag in Berlin. Das Dilemma: Einerseits hänge Indien zum guten Teil von der russischen Waffenproduktion ab, „dass das so bleibt, kann nicht in unserem Interesse sein“. Wenn die Inder nun Berlin nach Ersatz für russische Waffen fragen würden, „dann haben sie ein gutes Recht, darauf eine Antwort zu erhalten, die kohärent mit der ersten Aufforderung ist“. Mit anderen Worten: Deutschland wird einen Wunsch Indiens nach schweren Waffen kaum ausschlagen können.
Aus Regierungskreisen wurde denn auch bestätigt, dass Scholz und Modi über Rüstungsexporte sprechen wollen. Konkrete Vereinbarungen oder Absichtserklärungen werden zwar nicht erwartet. Es soll aber um den „maritimen Bereich“ gehen, wie aus dem Umfeld des Kanzleramtes verlautete. Beobachter erwarten, dass die beiden Politiker die Lieferung von U-Booten thematisieren.
Indien hat Wirtschaftsbeziehungen zu Russland nicht wesentlich reduziert
Scholz wird auch mit Blick auf die europäische Konkurrenz zu Russland und China kaum Nein sagen können. Von europäischer und amerikanischer Seite sehe man, dass sich Indien die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland nicht wesentlich reduziert. „Der Westen kann Indien aber nicht sanktionieren, weil wir mit Blick auf China um das Land buhlen und umfassendere Kooperationsangebote machen“, erklärt der Indien-Kenner. Das Land sehe sich „durch dieses Werben des Westens in der Position, einfach immer noch mehr verlangen zu können“.
, sagt Asien-Experte Wagner. Gleichzeitig kaufe das Land aber sogar mehr russisches Öl und habe