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Spitzenkandidatur in Hessen: Christine Lambrecht bringt Nancy Faeser in Nöte

Spitzenkandidatur in Hessen

Christine Lambrecht bringt Nancy Faeser in Nöte

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    Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht wird am Flughafen in Gao von Oberst Peter Küpper, dem Kontingentführer des deutschen Einsatzkontingents bei der UN-Mission Minusma, begrüßt.
    Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht wird am Flughafen in Gao von Oberst Peter Küpper, dem Kontingentführer des deutschen Einsatzkontingents bei der UN-Mission Minusma, begrüßt. Foto: Kay Nietfeld/dpa

    Als "Null-Bock-Ministerin" steht Christine Lambrecht seit Wochen in der Kritik, ihr werden verschleppte Waffenlieferungen in die Ukraine, Lustlosigkeit im Amt und Unwissenheit in Sachen Bundeswehr vorgeworfen. Dann sorgte auch noch der Mitflug ihres erwachsenen Sohnes im Dienst-Heli für Aufregung. Trotzdem genießt die Bundesverteidigungsministerin noch das Vertrauen von Bundeskanzler Olaf Scholz und ihrer Partei, der SPD. Doch jetzt wird der Unmut über die 56-Jährige auch in den eigenen Reihen immer größer. Denn Lambrecht hat, so sehen es viele Genossen, einer Kabinettskollegin und der ganzen SPD einen absoluten Bärendienst erwiesen.

    Völlig ohne Not befeuerte sie Spekulationen über die politische Zukunft von Parteifreundin Nancy Faeser. Die Innenministerin, 51, hätte es freilich vorgezogen, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Dank Lambrecht befindet sie sich nun in akuter Erklärungsnot. Dem Nachrichtenportal t-online hatte Lambrecht nämlich gesagt: “Ich setze darauf, dass Nancy Faeser nicht nur Spitzenkandidatin wird, sondern auch die erste Ministerpräsidentin in Hessen." Lambrecht, die ebenfalls dem hessischen Landesverband entstammt, hat Faeser damit praktisch eigenmächtig zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im kommenden Jahr erklärt.

    Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
    Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Lambrechts unprovozierter Fehler ärgert die Genossen

    In der SPD ist die Aufregung darüber auch Tage danach noch riesengroß. Von einem "unforced Error" ist die Rede, so nennt man im Tennis einen unprovozierten Fehler, ein Geschenk an den Gegner. Denn der neue Wirbel gibt zwei alten Gerüchten Nahrung, die in der Hauptstadt gleich nach dem Start der Ampel-Koalition aufgekommen sind. Das erste lautet: Christine Lambrecht hätte eigentlich viel lieber Innenministerin als Verteidigungsministerin werden wollen. Als Lambrecht im Dezember von Olaf Scholz per Telefon von ihrer Berufung zur Verteidigungsministerin erfahren habe, sei sie ebenso überrascht wie enttäuscht gewesen. Denn Wehrangelegenheiten hätten sie bislang kaum interessiert.

    Monate vor Beginn der Ukraine-Krise schien das Thema Bundeswehr auch eher von nachrangiger Bedeutung. Das hat sich am 24. Februar mit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine schlagartig geändert. Lambrecht steht plötzlich im Zentrum der nationalen, ja sogar weltweiten Aufmerksamkeit. Doch es ist nicht die Art von Aufmerksamkeit, die Politikerinnen und Politiker schätzen. Lambrecht steht für ihre Amtsführung unter Dauerfeuer, die Union fordert ihren Rücktritt. Lambrecht weist das energisch zurück. Umso mehr, so heißt es, träume sie davon, bald doch noch ins Innenministerium zu wechseln.

    Läuft sich Faeser in Berlin nur für Wiesbaden warm?

    An dieser Stelle kommt das zweite Gerücht ins Spiel, in seinem Mittelpunkt steht Nancy Faeser. Auch ihre Ernennung zur Innenministerin überraschte das politische Berlin, mehr noch sogar als die Berufung Lambrechts in den Bendler-Block. Im SPD-Lager machte allerdings schnell folgende Erklärung die Runde: Die zuvor weitgehend unbekannte hessische Landespolitikerin Faeser solle im Berliner Rampenlicht zur geschätzten Bundespolitikerin reifen. Um dann mit dem Nimbus eines Regierungsmitglieds als Spitzenkandidatin bei der hessischen Landtagswahl im Herbst 2023 anzutreten. So könnte sie sich beste Chancen ausrechnen, Ministerpräsidentin zu werden.

    Denn es schien klar, dass Amtsinhaber Volker Bouffier, 70, von der CDU nicht mehr antreten würde. Im Rennen hätte Faeser durch die Bekanntheit als amtierende Bundesministerin bessere Karten, als ein noch kaum profilierter CDU-Bewerber. Inzwischen steht aber fest, dass Bouffier lange vor Ablauf der Legislaturperiode aufhört, nämlich Ende Mai. Sein Parteifreund, der 50-jährige Boris Rhein, bisher Landtagspräsident, soll in der kommenden Woche im Landtag von Wiesbaden zum Nachfolger gewählt werden. Rhein hat also voraussichtlich fast anderthalb Jahre Zeit, sich einen Amtsbonus zu erarbeiten.

    Rückfahrkarten sind brandgefährlich

    Was aber bedeutet das für die angeblichen Ambitionen von Nancy Faeser? Die Taktik, Bundesministerien als Sprungbretter für künftige Landeschefs zu nutzen, ist nicht neu, erst recht nicht in der SPD. Manuela Schwesig und Franziska Giffey etwa wechselten jeweils aus dem Familienministerium an die Regierungsspitzen von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Faeser war vor ihrer Berufung Oppositionsführerin im hessischen Landtag, erst kürzlich war sie von der Hessen-SPD als Landesvorsitzende bestätigt worden. "Mein Herz schlägt in Hessen", sagte sie anschließend, was viele Genossen als klaren Hinweis auf eine Spitzenkandidatur im kommenden Jahr werteten.

    Faeser bleibt nun womöglich erst recht in Berlin

    Doch offiziell darf sich Faeser natürlich nicht zu derlei taktischen Überlegungen bekennen – so sie sie denn hegt. Denn dann wäre sie eine Ministerin auf Abruf, ihr Ansehen beschädigt. Die Aussagen ihrer Kabinettskollegin Lambrecht sind für sie folglich in höchstem Maße peinlich, wenn nicht sogar politisch brandgefährlich. Umgehend dementierte Faeser die Quasi-Ernennung zur Spitzenkandidatin: „Ich habe das nicht vor,“ beteuerte sie gegenüber der Bild am Sonntag. Sie werde in ihrer jetzigen Funktion zur Fußball-Europameisterschaft 2024 fahren – der Sport gehört zum Innenressort. Lambrecht könnte mit ihrem Vorstoß sogar das Gegenteil dessen erreicht haben, was ihr ursprünglich vorgeschwebt haben mag.

    Faeser bleibt nun womöglich erst recht in Berlin und verzichtet auf eine Kandidatur in Hessen. Zumal sie im Wahlkampf versichern müsste, dass ihr Herz so sehr an der Heimat hängt, dass sie im Falle einer Niederlage selbstverständlich in die Landtags-Opposition gehe. Eine "Rückfahrkarte" nach Berlin im Falle einer gescheiterten Ministerpräsidenten-Bewerbung kommt nicht infrage. Den CDU-Politiker Norbert Röttgen, der 2012 das Rennen um die Macht in Nordrhein-Westfalen verlor, kostete die Weigerung, in die Opposition zu gehen, umgehend das Amt des Bundesumweltministers. Bundeskanzlerin Angela Merkel feuerte Röttgen, der zuvor als ihr Schützling galt, gnadenlos. Faeser steckt, was die Hessen-Wahl im kommenden Jahr betrifft, nun in einer misslichen Lage. Doch für die Kollegin, die sie völlig ohne Not da hineingebracht hat, könnte es bald so richtig unangenehm werden. Christine Lambrecht hat ihren Ruf als Pannenministerin einmal mehr bestätigt und dieses Mal auch die Strategen in der eigenen Partei gegen sich aufgebracht. So scheint nicht ausgeschlossen, dass Kanzler Olaf Scholz bald die Geduld mit ihr verliert.

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