Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

SPD: Wie Olaf Scholz auf die Eroberung des Kanzleramts hingearbeitet hat

SPD

Wie Olaf Scholz auf die Eroberung des Kanzleramts hingearbeitet hat

    • |
    "Wer bei mir Führung bestellt, der kriegt sie auch", sagt der künftige Bundeskanzler Olaf Scholz über sich selbst.
    "Wer bei mir Führung bestellt, der kriegt sie auch", sagt der künftige Bundeskanzler Olaf Scholz über sich selbst. Foto: Markus Schreiber, dpa

    Die Macht. Olaf Scholz erreicht nun ihren Gipfel. Der liegt im siebten Stock des Gebäudes, das die Berliner wegen seines riesigen, kreisförmig verglasten Ausschnitts „Waschmaschine“ nennen. In dieser Etage, mit Blick auf das Reichstagsgebäude und seine imposante Glaskuppel, befindet sich das 140 Quadratmeter große Amtszimmer des Chefs der deutschen Regierung. An diesem Mittwoch – Scholz wird dann bereits vom Bundestag zum Kanzler gewählt und in Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vereidigt sein – zieht er dort ein. Die bisherige Bewohnerin wird ihn, so will es der Brauch, zu einem kurzen Plausch empfangen, bevor sie ihn mit Raum und Regierungsgewalt zurücklässt.

    Vielleicht schenkt Angela Merkel dem 63-Jährigen noch einmal aus der glänzenden Thermoskanne ein, wie bei vielen Treffen zuvor. Der Übergang der Macht, er dürfte in warmer Atmosphäre vollzogen werden. Nach 16 Jahren an der Spitze geht die CDU-Kanzlerin aus freiem Willen. Scholz hat sie nicht vom Thron gestoßen, im Gegenteil.

    Fast immer in den vergangenen vier Jahren herrscht bestes Einvernehmen zwischen der Kanzlerin und ihrem Vize. Gerade in den schweren Zeiten der Corona-Pandemie ziehen sie am selben Strang. Beide verbindet viel, die Akribie, mit der sie sich in Themen einarbeiten, der bedingungslose Ehrgeiz, die unaufgeregte, unverbindliche, manchmal ins Nichtssagende übergehende Art zu reden. Oder der Umstand, dass sie ihr Privatleben völlig der Politik unterordnen. Mit ihren jeweiligen Ehepartnern leben sie kinderlos in Etagenwohnungen, sie in Berlin-Mitte, er in Potsdam. Britta Ernst, die Ehefrau von Olaf Scholz, ist Bildungsministerin in Brandenburg. Sie habe ihn zu einem besseren Menschen gemacht, sagt Scholz einmal in einem der ganz seltenen Momente, in denen er kleine Einblicke in sein Privatleben gewährt.

    Zumindest zu einem anderen Menschen hat ihn auch Merkel gemacht. Scholz gewinnt die Bundestagswahl auch, weil er die Kanzlerin in vielem kopiert. Das Programm „Sie kennen mich“ übernimmt der SPD-Mann eins zu eins von der CDU-Frau. Sodass am Ende vielen Deutschen Scholz als der logische Merkel-Kronprinz erscheint. Und nicht deren CDU-Parteifreund Armin Laschet. Den eben außerhalb von Nordrhein-Westfalen anfangs kaum einer kennt. Den selbst in der eigenen Partei und erst recht bei der Unionsschwester CSU viele nur für die zweite Wahl hinter dem Bayern Markus Söder halten. Der dann auch noch im Flutkatastrophengebiet völlig unpassenderweise lacht.

    Der künftige Kanzler Olaf Scholz ist ein Meister der Selbstkontrolle

    Kaum denkbar, dass Scholz, dem Meister der Selbstkontrolle, so etwas passiert. Auch Annalena Baerbock, die 40-jährige grüne Kanzlerkandidatin, deren frischer Auftritt anfangs so gut ankommt, stellt sich selbst ein Bein. Eine Schummel-Affäre um ein schnell zusammenkopiertes Buch? Das lässt Scholz umso seriöser wirken.

    So sind am Ende nicht die beiden Mitbewerber im Kanzler-Dreikampf die größten Hindernisse auf dem Weg des Hamburgers zur Macht. Noch weit unwahrscheinlicher als der Wahlsieg, für den 25,7 Prozent der Stimmen reichen, ist der Umstand, dass er überhaupt antreten darf. Denn Scholz’ Verhältnis zu seiner Partei ist so stürmisch und wechselhaft wie das Wetter in seiner Heimat

    In Osnabrück geboren, wächst Olaf Scholz in der Hansestadt auf, tritt als 17-jähriger Gymnasiast dem SPD-Nachwuchs bei. Das Herz des Jungsozialisten mit der eindrucksvollen Lockenmähne schlägt zunächst stramm links. Die laut SWR erste Spur in den Rundfunkarchiven hinterlässt er in der DDR. Als westdeutscher Vertreter der Friedensbewegung auf einem Kongress der SED-nahen Freien Deutschen Jugend in Wittenberg fordert er einen atomwaffenfreien Korridor in Europa. „Frieden kann heute und in dieser Welt nicht mehr militärisch erreicht werden“, sagt er damals.

    1998 in einer seiner ersten Reden im Bundestag.
    1998 in einer seiner ersten Reden im Bundestag. Foto: Axel Heimken, dpa

    Als Jurist, in der SPD und der Hamburger Kommunalpolitik macht Scholz schnell Karriere. Gerhard Schröder, dem Parteichef und nach Willy Brandt und Helmut Schmidt dritten SPD-Kanzler, arbeitet Scholz als Generalsekretär zu, verteidigt treu dessen Reformkurs gegen die Kritik aus den eigenen Reihen. Doch weil der Groll über Hartz IV immer heftiger wird, muss er 2004, nach nur 18 Monaten, zurücktreten. Auf dem linken Parteiflügel fortan geschmäht als Vertreter einer zu wirtschaftsnahen Schröder-SPD, muss sich Scholz mühsam zurückkämpfen.

    Mit seinem nüchternen Stil kam Scholz in Hamburg gut an

    2007, dann schon unter Angela Merkel, wird er Arbeitsminister, 2011 Erster Hamburger Bürgermeister. Mit seinem nüchternen Stil kommt er bei den Hanseaten gut an, doch die Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels kann er nicht verhindern. Auch ein Finanzskandal um die Cum-Ex-Geschäfte der feinen Hamburger Warburg-Bank fällt teils in seine Amtszeit. 2018, wiederum unter Merkel, wird er Bundesfinanzminister und Vizekanzler.

    Während die Kanzlerin und ihr Stellvertreter prächtig harmonieren, knirscht es zwischen Scholz und der SPD heftig. Nach der mit Martin Schulz krachend gescheiterten Wahl 2017 will sich die Sozialdemokratie auf ihre linken Wurzeln besinnen. Es kommt zu einer Phase des Richtungsstreits und der Selbstzerfleischung. Als Andrea Nahles, eine Scholz-Vertraute, entnervt als Parteichefin hinwirft, soll die Basis die Nachfolge klären. Gesucht wird eine Doppelspitze. Scholz tritt nach anfänglichem Zögern zusammen mit der Brandenburgerin Klara Geywitz an. Doch das linke Lager, angeführt von Juso-Chef Kevin Kühnert, will raus aus der verhassten Koalition mit der Union, macht massiv Stimmung gegen ihn, den einstigen Schröder-Gefolgsmann.

    Am 30. November 2019, einem Sonntag, steht Olaf Scholz niedergeschlagen im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale in Berlin-Kreuzberg. Der Mann, der so selten Gefühle zeigt, wirkt zutiefst angefasst. Gerade ist bekannt geworden, dass das linke Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die SPD-Spitze übernimmt. Verschmäht von der eigenen Partei, scheint Olaf Scholz politisch am Ende. Denn der Vorsitz wäre für ihn Zwischenstation auf dem Weg nach ganz oben. Sein Biograf, der Hamburger Journalist Lars Haider, sagt, dass Scholz das Ziel, Bundeskanzler zu werden, schon seit Jahren verfolgt und stets fest an seinen Erfolg geglaubt hat. Doch in diesem Moment muss er annehmen, dass er gescheitert ist.

    Olaf Scholz am Dienstag in Berlin bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags.
    Olaf Scholz am Dienstag in Berlin bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Menschen, die Scholz seit langem kennen, sagen, dass er in den Tagen nach seiner Wahlschlappe überlegt, alles hinzuwerfen. Weihnachten verbringt er zurückgezogen mit seiner Frau. Zum Fest, das hat Scholz einmal verraten, isst das Paar meist Phô Bo, eine kräftigende vietnamesische Rinderbrühe mit Reisnudeln und Koriander. Nach

    Als die SPD hoffnungslos im Umfragekeller dümpelte

    Das Finanzministerium in der Berliner Wilhelmstraße ist im ehemaligen Reichsluftfahrtministerium von Hermann Göring untergebracht, einem einschüchternden Bau von 1935, der nationalsozialistische Macht ausdrücken sollte. Scholz macht als Schatzmeister der Nation nie einen Hehl daraus, dass er mit seiner Wirkungsstätte hadert.

    Wie ein stetiges Symbol, dass er raus will aus den Räumen, die später auch ein Zentrum der DDR-Macht bildeten, hängen an den Wänden seines nüchtern eingerichteten Büros Fotos eines luftig-lichten Gebäudes. Es ist der deutsche Pavillon auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel, kühn und zugleich streng entworfen von Egon Eiermann und Sep Ruf, architektonisches Symbol eines neuen, geläuterten Deutschlands. Das helle, sonnendurchflutete Kanzleramt dürfte Scholz also gefallen. Repräsentieren soll es durchaus, das Selbstbewusstsein der wiedervereinigten Nation verkörpern, doch eben auch für Weltoffenheit und Transparenz stehen.

    Das ist der Werdegang des künftigen Bundeskanzlers

    Geboren am 14. Juni 1958 in Osnabrück, aufgewachsen in Hamburg, wohnt in Potsdam, seit 1998 verheiratet mit Britta Ernst, Bildungsministerin in Brandenburg, keine Kinder

    1975 Eintritt in die SPD

    1977 Abitur in Hamburg, 1978 bis 1984 Jura-Studium in Hamburg, seit 1985 Rechtsanwalt

    1998 bis 2001, 2002 bis 2011 und seit September 2021 Mitglied des Bundestages

    2001 Innensenator in Hamburg

    2002 bis 2004 SPD-Generalsekretär unter Parteichef Gerhard Schröder

    2007 bis 2009 Bundesminister für Arbeit und Soziales in einer Koalition mit CDU/CSU

    2009 bis 2019 stellvertretender SPD-Vorsitzender

    2011 bis 2018 Erster Bürgermeister in Hamburg

    2018 bis 2021 Bundesfinanzminister und Vizekanzler in einer Regierung mit CDU/CSU

    2019 erfolglose Kandidatur für SPD-Vorsitz

    2021 Kanzlerkandidat der SPD und Wahlsieg. Wahl zum Bundeskanzler an diesem Mittwoch

    Dass Scholz seinen alten Amtssitz am Donnerstag an den künftigen Finanzminister Christian Lindner von der FDP abtreten kann, scheint noch im vergangenen Sommer undenkbar. Denn die SPD dümpelt vermeintlich hoffnungslos im Umfragekeller, weit abgeschlagen hinter Union und Grünen. Dabei hatte die SPD den Vizekanzler unerwartet früh schon im August 2020 zum Kanzlerkandidaten gekürt. Noch aber können sich so wenige Bürger wie nie vorstellen, ihre Stimme der SPD zu geben. Dabei hat das neue Führungsduo die Partei inzwischen befriedet, die Basis mit einem deutlich linkeren Kurs versöhnt.

    Zum Wahlerfolg, diese Erkenntnis hatte sich schließlich selbst bei Scholz’ einstigem Albtraum Kevin Kühnert durchgesetzt, brauchte es einen Kandidaten, der in der breiten Öffentlichkeit bekannt und geschätzt wird. In der Pandemie öffnet der zuvor so sparsame Finanzminister zudem die Schatullen weit, um die wirtschaftlichen Corona-Folgen mit der „Bazooka“ zu bekämpfen. Das besänftigt selbst die schärfsten internen Kritiker.

    Kritiker werfen Olaf Scholz vor, er sei zuletzt abgetaucht

    Ein passgenau auf Scholz zugeschnittener Wahlkampf, umsichtig orchestriert von Generalsekretär Lars Klingbeil, reicht zusammen mit den Patzern der Konkurrenz für den Triumph. „Olaf, Olaf“, skandieren am Abend des 26. September Jusos in der Parteizentrale. Die ersten Hochrechnungen zeigen, dass es für eine Ampel-Regierung reicht. Ernsthaft fürchten, dass Grüne und FDP doch lieber mit der schwer geschlagenen Union koalieren, muss Scholz in den Tagen danach nicht.

    Was kaum einer erwartet: Aus den mehrwöchigen Gesprächen über das Regierungsprogramm zwischen den Ampel-Partnern dringt nichts nach außen. So, wie der wirtschaftsnahe Scholz die Befindlichkeiten des linken SPD-Flügels respektiert, gönnt er auch Grünen und FDP ihre Erfolge. Mehr Klimaschutz, wie ihn die Grünen fordern? Auf Steuererhöhungen verzichten, worauf die FDP besteht? Ja, gerne. Nichts soll ihn auf dem Weg ins Kanzleramt mehr stoppen. Eigene Positionen zu räumen, wenn es dem Machterhalt dient, auch das hat sich Scholz von seiner Vorgängerin Merkel abgeschaut.

    2018 an der Seite seiner Frau Britta Ernst.
    2018 an der Seite seiner Frau Britta Ernst. Foto: Axel Heimken, dpa

    Dass er sich in den vergangenen Wochen neben den Koalitionsverhandlungen akribisch in die neuen Aufgaben eingearbeitet hat, darf als sicher gelten. Als Vizekanzler und Finanzminister kennt er ohnehin schon die gesamte Bandbreite der Herausforderungen, die ihn erwarten. Doch bewältigen muss er sie künftig nicht mehr mit Merkel und der Union. Sondern mit neuen, keineswegs einfachen Partnern.

    Als die Corona-Krise in den vergangenen Wochen explodiert, werfen ihm manche Beobachter vor, er sei abgetaucht. Eingetaucht in die Details, in wissenschaftliche Studien und Gespräche mit Experten zur Pandemiebekämpfung, dürfte es eher treffen. Scholz entscheidet mit Sorgfalt, lässt sich mitunter Zeit bei der Abwägung. Hat er einmal eine Entscheidung getroffen, setzt er sie konsequent um. Für die Pandemiebekämpfung bedeutet das etwa, dass er für die Einführung einer Impfpflicht kämpfen wird.

    Scholz sagt: "Wer bei mir Führung bestellt, der kriegt sie auch"

    „Wer bei mir Führung bestellt, der kriegt sie auch“, lautet einer seiner bekanntesten Sprüche. Wie er sich das künftig vorstellt, zeigt er deutlich, als er am Montag den SPD-Part seines künftigen Kabinetts vorstellt. Nancy Faeser etwa, im Bund kaum bekannte Landespolitikerin aus Hessen, macht er zur mächtigen Innenministerin, eine Überraschung und Zeichen, dass er nun eben nach eigenem Gutdünken entscheiden kann.

    Bei Karl Lauterbach ist es umgekehrt. Viele rechneten damit, dass Scholz ihn trotz seiner medizinischen Expertise eher nicht als Gesundheitsminister bringt. Er tut es dann doch. Damit nimmt Scholz Kritikern den Wind aus den Segeln. In der Corona-Krise, der alles überschattenden Aufgabe seiner Kanzlerschaft, muss Lauterbach nun liefern. Mit der Ernennung von Klara Geywitz, die mit ihm vor zwei Jahren das Rennen um den SPD-Vorsitz verlor, sendet er das Signal, dass er sich auch an die Gefährtin auf dem steinigsten Teil seines Weges erinnert. Der am Ende, gegen viele Widerstände und alle Wahrscheinlichkeit, doch noch auf den Gipfel der Macht führt.

    Am Mittwochnachmittag wird Olaf Scholz in der siebten Etage des Bundeskanzleramts aus dem Fahrstuhl steigen. Er ist angekommen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden