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SPD-Parteitag: Koalitionsverhandlungen: Gabriel kommt voran

SPD-Parteitag

Koalitionsverhandlungen: Gabriel kommt voran

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    SPD-Vorsitzender Gabriel: Der kleine Parteitag der SPD stimmte mit großer Mehrheit für Koalitionsverhandlungen.
    SPD-Vorsitzender Gabriel: Der kleine Parteitag der SPD stimmte mit großer Mehrheit für Koalitionsverhandlungen. Foto: Hannibal (dpa)

    Ein wenig erschöpft sieht er aus, aber zufrieden. Als der kleine Parteitag der SPD am Sonntagnachmittag zu Ende geht, hat Sigmar Gabriel erreicht, was er wollte – ein klares Votum für Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU. Von den 229 Delegierten stimmen nur 31 mit Nein, zwei weitere enthalten sich. Macht, wie Gabriel flugs ausgerechnet hat, eine Zustimmung von 85 Prozent: „Eine sehr, sehr große und breite Mehrheit“.

    Der Weg für eine große Koalition ist geebnet

    Berlin, Willy-Brandt-Haus. Vier Wochen nach der Wahl hat die SPD sich endgültig von ihren Phantomschmerzen befreit und den Weg für eine Große Koalition geebnet. Natürlich könne es noch „unüberbrückbare Differenzen“ geben, unkt Gabriel. Wer solche Verhandlungen jedoch beginne, habe auch das Ziel, sie erfolgreich zu Ende zu bringen. Bis Weihnachten, lässt er durchblicken, soll das neue Bündnis stehen, schließlich bräuchten auch Politiker noch etwas Zeit, um Geschenke zu kaufen. Unter „künstlichen Zeitdruck“ werde sich die SPD aber nicht setzen lassen.

    Sondierungsgespräche: Wer mit wem?

    SCHWARZ-ROT: Bei der Suche nach einem Koalitionspartner ist die SPD für die Wahlsieger von CDU und CSU erste Wahl. Die Schnittmengen wären bei einer großen Koalition am größten. Ein Risikofaktor ist aber die SPD-Basis, in der es große Vorbehalte gegen eine große Koalition gibt. Die SPD-Mitglieder müssen am Ende Ja zu einem Koalitionsvertrag sagen.

    SCHWARZ-GRÜN: Für die Union ist das die zweitbeste Lösung. Auch die Grünen halten nicht viel davon. Trotzdem soll es in der nächsten Woche ernsthafte Gespräche darüber geben. Die dürften aber nur dann eine realistische Erfolgschance haben, wenn es zwischen SPD und Union ganz erheblich hakt.

    ROT-ROT-GRÜN: SPD, Grüne und Linke haben zusammen eine Mehrheit im Bundestag. Die Linke hat deswegen Sondierungsgespräche auch über eine rot-rot-grüne Koalition gefordert. Bei den Grünen gibt es gewisse Sympathien dafür. Die SPD hat solche Gespräche aber schon vor der Wahl strikt ausgeschlossen - und bereut das inzwischen ein wenig. Bei der nächsten Wahl soll es keine «Ausschließeritis» mehr geben.

    MINDERHEITSREGIERUNG: Der Union fehlen mindestens fünf, möglicherweise sechs Stimmen zu einer absoluten Mehrheit im Bundestag. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) könnte daher auch eine Minderheitsregierung bilden und sich dann für jede Einzelentscheidung wechselnde Bündnispartner suchen. Das hat es auf Bundesebene aber in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum noch nicht gegeben und gilt auch jetzt als nahezu ausgeschlossen.

    NEUWAHL: Wenn gar nichts geht, wird neu gewählt. Auch das hat es nach einer Wahl noch nie gegeben. Dem Wähler wäre nur schwer zu erklären, warum er noch einmal zu Urne schreiten soll. Und auch dem Ansehen Deutschlands im Ausland wäre eine lange Hängepartie bei der Regierungsbildung nicht gerade zuträglich.

    Drinnen, im Parteikonvent, hat Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ihm zuvor unter großem Beifall für die umsichtige Art gedankt, mit der er seit Wochen agiert. Die Diskussion, berichten Teilnehmer, sei sehr sachlich geführt worden, früh schon sei absehbar gewesen, dass der Konvent Verhandlungen bejahen werde. Ob die SPD sich tatsächlich auf eine Koalition einlässt, werden am Ende aber ihre 470 000 Mitglieder entscheiden, vermutlich per Briefwahl.

    SPD diskutiert Zehn-Punkte-Plan als Basis

    Bereits am Vormittag hat der 35-köpfige SPD-Vorstand einen Zehn-Punkte-Plan diskutiert, auf dessen Basis die Partei jetzt mit der Union verhandelt und der von den Delegierten des Konvents nur noch geringfügig verändert wird. Wörtlich heißt es darin: „Wir wollen, dass sich in Deutschland Arbeit wieder für alle lohnt.“ Dazu fordern die Sozialdemokraten einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, eine wirksame Bekämpfung des Missbrauchs von Leih- und Zeitarbeit sowie strengere Regeln für das Befristen von Arbeitsverträgen.

    Außerdem auf der Wunschliste der SPD: eine Transaktionssteuer auf Finanzgeschäfte, eine stärkere Bekämpfung von Steuerbetrug, mehr Geld für Kommunen sowie eine „auskömmliche Rente“ für langjährige Beitragszahler. Auf Steuererhöhungen besteht die Partei nicht ausdrücklich, auch von der Bürgerversicherung redet sie kaum noch. Beim Betreuungsgeld will die SPD zwar „Änderungen“ prüfen, es aber offenbar nicht mehr ganz abschaffen. Der Mindestlohn dagegen, sagt der saarländische Landesvorsitzende Heiko Maas, „ist für uns nicht verhandelbar“. Aber das, ergänzt Gabriel, „weiß die Union auch“.

    Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün: Gemeinsamkeiten und Gegensätze

    STEUERERHÖHUNGEN: Die Union hat sich festgelegt: Steuererhöhungen kommen für sie nicht in Frage. Sowohl SPD als auch Grüne hatten im Wahlkampf dagegen für höhere Steuern geworben - und die Mehreinnahmen unter anderem für Schuldenabbau, Bildung und Infrastruktur vorgesehen. Inzwischen stellte SPD-Chef Sigmar Gabriel klar, Steuererhöhungen seien für seine Partei «kein Selbstzweck». Auch bei den Grünen wird die Steuererhöhungsforderung nach dem enttäuschenden Wahlergebnis inzwischen teilweise in Frage gestellt. Allerdings erwarten sowohl die Sozialdemokraten wie auch die Grünen von der Union Finanzierungsvorschläge. Insofern birgt das Thema für beide Konstellationen Sprengstoff.

    MINDESTLOHN: Hier ist die Ausgangslage in etwa gleich: Grüne und SPD wollen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. CDU und CSU halten dagegen nichts von gesetzlichen Vorgaben - und setzen auf eine von den Tarifpartnern nach Branchen und Regionen ausgehandelte Lohnuntergrenze. Ein Kompromiss scheint hier aber möglich, wenn beispielsweise Mindestlöhne nicht vom Staat, sondern durch eine Kommission festgesetzt werden.

    RENTEN: Die Rente mit 67 hatten Union und SPD gemeinsam eingeführt. Allerdings fordert die SPD inzwischen deren Aussetzung, solange nicht mindestens die Hälfte aller 60- bis 64-Jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Hier hätte die Union mit den Grünen weniger Probleme: Diese wollen die Rente mit 67 derzeit nicht antasten. Die Union will zudem unbedingt eine Verbesserung der Rente für ältere Mütter durchsetzen und dies aus der Rentenkasse finanzieren.

    UMWELT UND ENERGIE: Die Kluft zwischen Union und Grünen ist hier tiefer: Die Umweltpartei formuliert ehrgeizige Ziele für die Energiewende und will bis 2030 den Ökostrom-Anteil so weit steigern, dass ein Ausstieg aus der Kohle möglich ist. Die Union hingegen will die Förderung der erneuerbaren Energien zugunsten geringerer Strompreise beschneiden. Die SPD hat wie die CDU/CSU auch die Interessen der Industrie im Blick: Zur Absicherung der Energieversorgung will auch sie neue Kohlekraftwerke bauen. Allerdings will die SPD die Stromsteuer senken, was die Union ablehnt.

    FAMILIE: Das Betreuungsgeld wollen Sozialdemokraten und Grüne gleichermaßen abschaffen. Vor allem die CSU aber will daran nicht rütteln. Vielleicht ließe die SPD sich überzeugen, wenn im Gegenzug für ein Beibehalten der Familienleistung mehr Geld in die von ihr geforderte Ganztagsbetreuung flösse. Auch die Grünen verweisen darauf, dass am Ende die «Gesamtmischung» stimmen müsse. Allerdings trennt sie auch in anderen gesellschaftspolitischen Fragen viel von der Union.

    FRAUEN, HOMOSEXUELLE, DOPPELTE STAATSBÜRGERSCHAFT: Die Grünen fordern eine Frauenquote von 50 Prozent in Aufsichtsräten, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften und doppelte Staatsbürgerschaften für hierzulande geborene Kinder ausländischer Eltern. Mit der SPD würde es allerdings nicht wesentlich leichter für die wertkonservativen Vertreter in der Union: Frauenquote, Homo-Gleichstellung und doppelte Staatsbürgerschaft stehen auch in deren Programm.

    VERKEHR: Der Streit um die Pkw-Maut wird vor allem von CSU und CDU geführt. Die aus Bayern geforderte Abgabe wollen aber auch SPD und Grüne nicht. Für schwarz-grünen Zwist gibt es in der Verkehrspolitik darüber hinaus genügend Anlass: Der von der Union geplante Ausbau von Autobahnen stößt bei den Grünen auf Widerstand; sie setzen statt Neubau auf Erhalt des bestehenden Straßennetzes sowie ein Umsteuern hin zur Bahn und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln.

    GESUNDHEIT: Hier ist weder mit Schwarz-Rot noch mit Schwarz-Grün viel Bewegung zu erwarten: Mit einer Bürgerversicherung für alle wollen Grüne und SPD das «Zweiklassen-System» in der Gesundheitsversorgung ablösen. Die Union will am Nebeneinander von privaten und gesetzlichen Kassen festhalten. Einig sind sich SPD und Union zumindest darin, dass die Beiträge zur Pflegeversicherung leicht steigen sollen.

    Mit Ausnahme der Passage über den Mindestlohn sind die Eckpunkte so vage gehalten, dass sie durchaus Raum für Kompromisse lassen. In einem Fall, bei den höheren Beiträgen zu den Pflegekassen, hat die Kanzlerin ihr Entgegenkommen sogar schon angedeutet. Umgekehrt ist die SPD dem Vernehmen nach bereit, die von der Union geplanten Verbesserungen bei der Mütterrente mitzutragen – Frauen, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, sind hier bisher klar im Nachteil. Dafür verlangt die SPD von der Union größere Anstrengungen in der Bildungspolitik. „Wenn wir keine Fachkräfte mehr haben“, warnt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, „werden wir nicht mehr wettbewerbsfähig sein.“

    Wie diese Anstrengungen aussehen sollen, ist noch unklar – wie so vieles im Moment. Nur noch wenige Spitzengenossen klingen so ablehnend wie der Berliner Landesvorsitzende Jan Stöß, ein strammer Linker. Für ihn sind die zehn Punkte „absolute Minimalforderungen“. Darunter, soll das heißen, darf es die SPD nicht machen. Das Häuflein Demonstranten, das vor der Parteizentrale gegen eine Große Koalition demonstriert, löst sich allerdings schneller wieder auf, als es einem wie Stöß lieb sein kann. Nur eine Frau hält kurz vor Ende des Konvents noch tapfer ein Schild in die Höhe: „Macht Euch nicht lächerlich. Seht endlich Rot-Rot-Grün.“

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