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SPD-Parteitag: Klingbeil macht schon mal den Scholz

SPD-Parteitag

Klingbeil macht schon mal den Scholz

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    Lars Klingbeil ist erneut zum SPD-Chef gewählt worden.
    Lars Klingbeil ist erneut zum SPD-Chef gewählt worden. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Es ist zehn vor zwei Uhr, Olaf Scholz geht durch die Reihen der Delegierten, entschlossenen Schrittes, ein kurzes Nicken an die Genossin links, ein schmales Lächeln für den Genossen rechts. Einen sozialdemokratischen Parteitagsgast aus dem Ausland, der gern ein Selfie mit ihm, dem deutschen Kanzler, gemacht hätte, lässt er stehen. Während er die große Halle des Berliner Messewürfels verlässt, knöpft er sich das Sakko zu, er muss jetzt wieder zurück in sein Kanzleramt, regieren. 

    Auf der Bühne dümpelt die Debatte gerade hin, der Kanzler hat seinen großen, mit Spannung erwarteten Auftritt erst an diesem Samstag. In schweren Zeiten braucht die älteste Partei Mut und Zuversicht. Wie das gelingen kann, zeigt am Freitagmorgen Parteichef Lars Klingbeil. Doch erst einmal erteilt ihm keiner das Wort, es holpert bei der SPD, im Großen wie im Kleinen. Klingbeil lächelt darüber hinweg und versteht es in den folgenden Minuten, die aktuelle Schwäche als vorübergehenden, kurzen Ausreißer in einer 160 Jahre währenden, stolzen Geschichte des Erfolgs umzudeuten. "Keine andere Partei hat dieses Land stärker geprägt als die SPD", sagt er, "wir haben uns nie klein gemacht, sondern immer Verantwortung übernommen, die SPD ist immer wieder aufgestanden, wenn sie am Boden lag." Das ist er, der Balsam, nach dem es die 600 Delegierten verlangt. 

    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht bei einer Regierungserklärung zur Haushaltslage im Bundestag.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht bei einer Regierungserklärung zur Haushaltslage im Bundestag. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Für die SPD-Genossen ist die Lage bitterernst

    Denn die Lage ist bitterernst, zuletzt kam die Kanzlerpartei in Umfragen nur noch auf Werte zwischen 14 und 17 Prozent – weit entfernt vom Wahlergebnis von 25,7 Prozent, das 2021 zum Sieg reichte. Die Resultate in Bayern und Hessen im Oktober waren mager ausgefallen, in Hessen hatte es nur zu einer Regierungsbeteiligung gereicht, weil die CDU den bisherigen grünen Koalitionspartner hinausgeworfen hat. Im kommenden Jahr könnte es für die Genossen noch schlimmer kommen. In Sachsen, wo im September gewählt wird, sind sie laut einer Umfrage auf sieben Prozent Zustimmung gefallen. Geht es weiter abwärts, droht ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde, es wäre bundesweit das erste Mal, dass der Einzug in einen Landtag verpasst wird. Auf einen Kanzlerbonus kann die SPD offenbar nicht hoffen, mit der Arbeit von Olaf Scholz sind nur noch 20 Prozent der für den ARD-Deutschlandtrend Befragten zufrieden. 

    In Klingbeils Argumentation liegt das alles nur an der "politischen Umbruchphase", in der sich das Land befinde. "Es gibt einen riesigen Investitionsstau, den arbeiten wir ab", sagt er. Soll heißen: Schuld an der Misere sind die früheren Regierungen. Dass an den letzten beiden davor die SPD beteiligt war, lässt er unerwähnt. CDU-Chef Friedrich Merz stehe für eine Wirtschaftspolitik der Neunzigerjahre, und er habe mit der Klage der Union zur Haushaltsführung der Ampel die aktuelle Finanzmisere verursacht. "Friedrich von Gestern wird niemals die Zukunft des Landes sein", ätzt Klingbeil. Im Streit um die fehlenden Milliarden werde die SPD nicht zulassen, dass wichtige Anliegen auf der Strecke bleiben: "Es darf kein Abwägen geben zwischen der Unterstützung der Ukraine, der sozialen Gerechtigkeit und dem Klimaschutz." 

    Klingbeil bringt die Delegierten auf dem SPD-Parteitag auf Temperatur

    Die Delegierten sind jetzt auf Betriebstemperatur, die Rede von Klingbeils Mit-Parteivorsitzende Saskia Esken, mit erkältungsbedingt wegbrechender Stimme, hatte sie zuvor weitgehend kaltgelassen. Am meisten punktet Esken noch mit ihren Vorwürfen an die Opposition: "CDU und CSU hetzen im Chor mit der AfD gegen die Ampel." Doch es ist Klingbeil, der umreißt, wie die einstige Volkspartei das enttäuschte Volk wieder zurückgewinnen will. "Ein Bollwerk gegen die Polarisierung der Gesellschaft" müsse die SPD sein, gegen die "Schreihälse, die die Wut anstacheln, gegen die Politik, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte, gegen Arbeitslose, gegen Autos oder gegen Windräder". 

    Die SPD kämpfe für einen klimaneutralen Umbau der Wirtschaft, der zum "Jobmotor" werden könne. Doch dafür seien Investitionen nötig. "Die Schuldenbremse ist ein Wohlstandsrisiko geworden, deshalb müssen wir sie verändern, damit mehr Investitionen möglich sind." Damit ist das Programm formuliert, mit dem die SPD in den Wahlkampf ziehen und die Kehrtwende schaffen will – wie vor der letzten Wahl, als es in Umfragen noch schlechter aussah. 

    Klingbeil beschwört Geschlossenheit, doch dass es in der Partei tiefe Konflikte gibt, bleibt beim dreitägigen Treffen nicht verborgen. Viele in der SPD wollen etwa nicht mittragen, dass ihr Kanzler und ihre Minister die illegale Zuwanderung begrenzen wollen, die die Kommunen an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit bringt. Doch der linke Flügel und der Parteinachwuchs kämpfen erbittert gegen jede Verschärfung des Asylrechts. Das machen die Jusos an ihrem Stand deutlich, auf dem ein Plakat Olaf Scholz' Forderung "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben" umdeutet. Die Jungsozialisten wollen lieber im großen Stil "Umverteilen". 

    Die Schuldenbremse unter Dauerfeuer

    Eine offene Konfrontation zum Asylthema bleibt zumindest am ersten Tag aus, die Parteispitze hat die Wogen wohl noch rechtzeitig glätten können. Als Juso-Chef Philipp Türmer ans rote Rednerpult tritt, nimmt er nämlich nicht die Migrationspolitik des Kanzlers ins Visier, sondern, wie viele andere Redner vor und nach ihm, die Regeln gegen überbordende Staatsausgaben, die 2009 der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück eingeführt hatte. "Diese Schuldenbremse wurde einst geschaffen, angeblich, um unsere Generation zu schützen. Was ein wahnsinniger Unsinn – nichts bedroht die Zukunft unserer Generation mehr als diese vermaledeite Schuldenbremse", schimpft Türmer.

    Eine weitere Forderung, die in zahlreichen weiteren Beiträgen auftaucht: höhere Steuern für Reiche. Darauf können sich alle einigen. Und auch die Wiederwahl der Doppelspitze gerät nicht zum befürchteten Denkzettel: Esken und Klingbeil werden mit unauffälligen Ergebnissen bestätigt. Auch Olaf Scholz dürfte erleichtert sein vor seinem großen Auftritt am Samstag: Auf Krawall stehen die Zeichen bei diesem Parteitag nicht.

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