Kaum zwei Monate im Amt als SPD-Chef, steht Lars Klingbeil nicht vor, sondern mitten in einer Bewährungsprobe, wie sie heftiger kaum ausfallen könnte. Es geht um den Russland-Kurs seiner Partei und damit um nicht weniger, als die Glaubwürdigkeit Deutschlands als Bündnispartner. Für den 43-Jährigen betrifft der Streit darüber, wie entschlossen die Reaktion gegen Aggressionen aus Moskau ausfallen sollte, auch sein ganz persönliches Verhältnis zu dem Mann, der als sein politischen Ziehvater gilt: Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Für dessen Hannoveraner Wahlkreisbüro arbeitete Klingbeil schon als Student. Seither gelten beide als eng verbunden, auch privat. Das wird nun zum Problem, denn Schröder ist der wichtigste Lobbyist von Russlands Präsident Wladimir Putin, mit dem ihn eine langjährige Männerfreundschaft verbindet.
In der Russland-Ukraine-Krise steht Schröder weiter treu an Putins Seite, warnte etwa vor "Säbelrasseln" - die Ukrainer, wohlgemerkt. Dabei sind es mehr als 100.000 russische Soldaten, die seit Wochen schwer bewaffnet an der Grenze zur Ukraine stehen. Angesichts einer drohenden Invasion wünschen sich die Ukraine, die USA und die Partner im Verteidigungsbündnis Nato von Deutschland einen klaren Kurs gegen die Drohgebärden aus Moskau. Doch die SPD, die mit Olaf Scholz den Kanzler stellt, tut sich damit schwer. Sympathien für Russland sind in der Partei weit verbreitet, was nicht weiter problematisch wäre, würden sie nicht häufig mit einer merkwürdigen Kritiklosigkeit gegenüber russischer Aggression einhergehen.
Nord Stream 2 steht in der Kritik
Wenn diskutiert wird, welche Maßnahmen Moskau zum Einlenken bewegen könnte, geht es immer auch um die Gasröhre Nord Stream 2. Altkanzler Schröder ist Vorsitzender des Gesellschafterausschusses der Nord Stream AG und Präsident des Verwaltungsrats bei der Nord Stream 2 AG. Außerdem ist der frühere Kanzler Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft. Am Freitag wurde bekannt, dass seine Verbindungen zu den russischen Bas-Multis noch enger werden. Er ist für den Aufsichtsrat des Staatskonzerns Gazprom nominiert, teilte der Energieriese in einer Pressemeldung mit. Die Hauptversammlung ist für den 30. Juni geplant. Schröder soll anstelle von Timur Kulibajew antreten, ein Schwiegersohn des im Zuge der Unruhen vom Januar entmachteten kasachischen Ex-Präsidenten Nursultan Nasarbajew.
Doch Schröder mag der prominenteste Verteidiger des Nord Stream-Projekts sein, an dem die Bundesregierung stets festhielt, obwohl Russland 2014 die Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektierte und im ukrainischen Donezk-Becken einen Schattenkrieg anzettelte - der einzige ist er nicht. Auch Manuela Schwesig, als Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern eine der beliebtesten Genossinnen, verteidigt mit Klauen und Zähnen die Pipeline, die fertiggestellt, aber im Moment noch nicht in Betrieb genommen worden ist.
Doch längst nicht mehr alle in der SPD teilen die alte Überzeugung, dass es bei Gasgeschäften mit Russland nicht ums große Geld, sondern vor allem um Frieden geht. Außenpolitiker wie Michael Roth oder Niels Schmid, auch Heiko Maas, als er noch Außenminister war, haben längst deutlich kritischere Töne gegenüber Russland angeschlagen. Mitten drin in dem Konflikt steht Klingbeil, der groß gewachsene Turnschuhträger, der eigentlich irgendwie mit allen kann in der Partei, aber eher keiner ist, der einmal ein Machtwort spricht. Das wünschen sich aber jetzt viele von ihm, nicht nur in den eigenen Reihen, sondern auch bei den Koalitionspartnern der Ampel-Regierung, den Grünen und der FDP. So bat Klingbeil Anfang der Woche 20 führende Sozialdemokraten zum Gespräch. Anschließend betonte er, Russland müsse mit einer "harten und konsequenten" Antwort des Westens rechnen, wenn es die Grenzen der Ukraine verletzt. Die Spitze seiner Partei, die er zusammen mit Saskia Esken führt, sei in dieser Frage geschlossen.
Scholz reist bald nach Moskau
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich in der Angelegenheit bisher äußerst zurückhaltend geäußert, in den kommenden beiden Wochen reist er zunächst in die USA, dann in die Ukraine und anschließend nach Russland. Scholz überlässt es weitgehend Parteichef Klingbeil, die Eckpunkte der offiziellen SPD-Position immer wieder zu betonen: Dass die Aggression von Russland ausgeht, das mit harten Sanktionen rechnen müsse, und dass jetzt vor allem Diplomatie gefragt sei. Doch Nord Stream 2 kommt in den Stellungnahmen nicht vor, wenngleich Scholz betont hatte, im Falle eines Angriffs lägen "alle Optionen auf dem Tisch". Kritik an Altkanzler Schröder äußert Klingbeil nur insoweit, als er betont, dass diese Position "für die gesamte SPD" gelte.
Gerichtet ist diese Spitze aber auch an einen anderen seiner Vorgänger an der Parteispitze: Sigmar Gabriel. Lange selbst Teil der Riege der Russland-Versteher in der SPD, forderte Gabriel zuletzt eine offene Diskussion über Waffenlieferungen an die Ukraine. Die sind für die SPD-Spitze bislang absolut tabu. Klingbeil, der in der Partei als einer derjenigen gilt, die nach der desaströsen Bundestagswahl 2017 die völlig zerstrittenen Flügel wieder versöhnt und damit die Grundlage für den Wahlsieg von Olaf Scholz geschaffen haben, wird erneut viel Fingerspitzen brauchen. Ob er verhindern kann, dass sich die Gräben, die sich in der Russland-Ukraine-Frage in der SPD auftun, weiter vertiefen, ist offen. Sicher ist nur: Querschüsse vom eigenen Ziehvater Schröder und anderen Altvorderen machen es dem jungen Parteichef gewiss nicht leichter.