Am Eingang zum Alten Gasometer verteilt die SPD Sachsen Fliegenklatschen. Rot natürlich, mit dem Aufdruck „S’ gladschd glei!“. Die Wahl dieses Mitbringsels ist mutig. Am 1. September wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt, den Umfragen zufolge müssen die Sozialdemokraten fürchten, nicht mehr im nächsten Landesparlament vertreten zu sein. Es könnte vielleicht gerade so reichen, in Umfragen steht die Partei zwischen fünf und sieben Prozent. Die Sache kann aber auch daneben gehen, weil die SPD an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. „Es klatscht gleich“, ist da womöglich kein mit Weisheit gewähltes Motto.
Damit es nicht zur Klatsche kommt, ist die SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping auf ihrer Wahlkampftour nach Zwickau gekommen. Sie hat sich den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil eingeladen. Der SPD-Politiker ist beliebt, er kann mit den Leuten, wirkt nicht so gestelzt wie Kanzler Olaf Scholz. Weil bestellt erst mal ein Bier und freut sich mächtig, als es ihm auf den Tisch gestellt wird. Ein Teilnehmer der Veranstaltung ist Gewerkschaftsmitglied, Weil auch, man duzt sich.
Weil ätzt gegen Habeck: Heizungsgesetz war Schlüsselfehler
Als die vielleicht vier Dutzend Gäste ihre Plätze eingenommen haben, drückt sich in fast jeder Frage an die beiden Politiker auf dem Podium das Gefühl aus, in Berlin werde an den Menschen vorbei regiert. Beispiel Volkswagen: Das VW-Werk in Zwickau ist der wichtigste Arbeitgeber für die 88.000 Einwohner zählende Stadt, muss aber Stellen abbauen. Grund ist zum einen die schleppende Nachfrage nach E-Autos. Außerdem streicht, beklagt ein Gast aus dem Publikum, die Ampel in Berlin die Forschungsmittel für Lithium-Ionen-Batterien zusammen, die den Saft für diese Autos speichern. Seinen Sohn habe das schon den Job gekostet, sagt der Mann.
Weils Niedersachsen ist ebenfalls VW-Land, er weiß nicht nur um die Probleme, sondern auch um den Verursacher: Die Regierung in Berlin. Der E-Auto-Absatz sei unter anderem deshalb rückläufig, weil die Ladesäuleninfrastruktur fehle. Was die betreffe, sagt Weil und verzieht das Gesicht, „kann ich Ihnen nur sagen: Ohne politische Fehler würde es wesentlich besser gehen.“
Der erfahrene SPD-Politiker kennt die Triggerpunkte. „Stichwort Heizungsgesetz. Das war eigentlich der Schlüsselfehler des Ganzen“, feuert er eine Breitseite gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen. Das sei „so gnadenlos schiefgegangen“, kritisiert Weil und ätzt ironisch, dass es an der Sache auch was Gutes gebe: „Niemand ist zu nichts nutze, er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen.“ Es wäre eigentlich der Job der Opposition, auf „die da in Berlin“ zu schimpfen. Dass die eigenen Genossen es tun, zeigt ein wenig die Ratlosigkeit der Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer vor Ort. Mit Inhalten gegen das Ampel-Chaos anzukommen, ist schwierig. Polemik kann da eher helfen. Die Menschen im Gasometer klatschen laut Beifall.
Angst vor der AfD-Hochburg
Petra Köpping hört aufmerksam zu. Sie ist seit 2014 Landesministerin, zunächst für Gleichstellung und Integration, heute für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Mutter von drei Kindern kommt aus der Kommunalpolitik, sie kennt hier vieles und fast jeden, auch zu VW kann sie etwas sagen. Oder zum Gesundheitswesen, das in ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Die 66-Jährige hat ein enormes Wahlkampfprogramm absolviert, fährt das gesamte Bundesland auf und ab, eigentlich müsste sie mit den Kräften am Ende sein. Aber Köpping ist eine Getriebene, sie kann nicht anders, als immer weiterzumachen. Sie will nicht tatenlos zusehen, wie ihr Sachsen in der blauen Welle untergeht.
„Wir waren 1990 mal 4,7 Millionen Menschen. Wir sind heute noch vier Millionen“, sagt sie. Es wandern mehr Menschen aus Sachsen ab, als sich neu ansiedeln. „Und das macht mir Sorgen. Was sind das für Leute, die abwandern?“, fragt Köpping und gibt gleich die Antwort: Es seien ausländische Mitbürger, „weil sie sich hier nicht willkommen fühlen, weil sie hier schikaniert werden“. Außerdem gebe es viele junge Leute, „die sagen Nee, also hier ist eine AfD-Hochburg. Hier gibt es einen Stadtrat, der gegen alles ist, was wir jungen Leute wollen“.
Hass gegen Schwule und Lesben
Der Alte Gasometer ist ein Beispiel für das, was Köpping meint. Das geklinkerte Industriedenkmal wurde zu einem Ort für Konzerte, Lesungen und andere Veranstaltungen umgebaut. Vor allem ist der schmucke Bau unweit der Zwickauer Mulde eine Begegnungsstätte. Am Samstag vor der Landtagswahl etwa lädt der CSD Zwickau zur Veranstaltung „Für Respekt und Vielfalt“ ein. Wenn sich die AfD weiter breitmacht und wichtige Schaltstellen in den kommunalen Abläufen besetzt, dann könnte es mit Treffen dieser Art vorbei sein. Es werde dann nur noch „völkische Kultur“ gefördert, warnt Pia Findeiß, die frühere Oberbürgermeisterin von Zwickau.
Köpping hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Auf kleineren CSD-Veranstaltungen stünden 1000 Teilnehmenden 600 Nazis gegenüber, sagt sie. Die queeren Menschen werden fotografiert, eingeschüchtert, bedroht. Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität stiegen insbesondere die politisch rechts motivierten Straftaten an, heißt es in der jüngsten Polizeistatistik. „Dabei handelt es sich vor allem um Propagandadelikte, also beispielsweise das Anbringen von verfassungsfeindlichen Symbolen.“
Köpping wirbt um Stimmen für die SPD. Schließlich benötige die CDU im Falle eines Wahlsieges ein Regulativ an ihrer Seite, sagt sie. Doch für die Sozialdemokratin geht es um mehr, sie löst sich aus der parteipolitischen Klammer und nimmt alle Demokraten in die Pflicht. In den Umfragen steht die AfD bei 30 Prozent, sie würde damit im Vergleich zur letzten Wahl zulegen und nach der CDU zweitstärkste Kraft werden. Für Köpping gibt es einen Weg, um diese Entwicklung zu stoppen. „Wir müssen wieder zusammenhalten als Gesellschaft“, sagt sie und mahnt: „Wenn wir nicht viele sind, dann werden wir das nicht schaffen.“ Ihr Appell sei deshalb, „dass wir uns in Sachsen wirklich für die Demokratie einsetzen. Die ist in Gefahr.“
Eigentlich ist es doch einfach: Wenn man für die Masse gut regiert, dann wird man wiedergewählt. Regiert man an Mehrheitsmeinungen vorbei, wird's schwierig. Wenn z.B. unkontrollierte Migration nicht nur gefühlt ein Problem ist, sondern dieses Problem von vielen Kreisen und Kommunen (egal ob im Osten oder Westen) deutlich angesprochen wird, aber keine konkreten Lösungen in Aussicht gestellt werden, wählt man eben eine andere Partei bzw. eine Partei, die dieses Thema anfassen möchte. Ob man gewählt wird, wenn man überwiegend nur "Mauern gegen Rechts" baut, bezweifle ich...
Wenn es so einfach wäre, einfach der Mehrheitsmeinung zu folgen, um gewählt zu werden – ein schauderhafter Gedanke. Auch Hitler bekam viel Zustimmung, wir alle wissen wohin das geführt hat. Die "Mehrheitsmeinung" wäre eine Diktatur, der sich jeder Andersdenkende zu unterwerfen hätte. Wer sich aus Frust oder nationalen Beweggründen auf die rechtsextreme Seite schlägt, sollte sich genau anschauen, was diese Kräfte wollen. Denen geht es um Macht, nicht ums Volk. Lösungen für die Probleme unserer Zeit haben sie nicht. Migration kann man nicht lösen, indem man auf Menschen an der Grenze schießt oder sie irgendwo auf der Welt interniert und das Klima wird nicht tun, was die AfD will, nur weil sie den menschengemachten Klimawandel leugnet. Höcke will seine völkischen Ideen ausleben und drückt diesen Stempel der Partei immer mehr auf. Wer das nicht merkt, wird ganz schnell der Lackierte sein, in diesem Fall der mit Braun Lackierte. Dann ist es zu spät für dieses Land.
Und noch was zur "unkontrollierten" Migration: Nachdenken würde helfen, um zu verstehen, wie schwierig und komplex das Thema ist: Menschen, die verzweifelt sind, weil Klima und Krieg ihre Lebensgrundlage zerstört, lassen sich nicht einfach auf Zuruf stoppen. Wie Hitler unliebsame Menschen loswerden wollte, sollte zur Genüge bekannt sein. Nun wieder auf eine Partei zu setzen, die immer unverhohlener völkische Ziele verfolgt – nein, keiner kann sagen, er hätte so etwas doch nicht gewollt. Höcke will nicht nur spielen, der macht Ernst mit seinen verschwurbelten Nazi-Ideen. Interessant ist, dass die Anhänger der extremistischen Parteien immer von der "Mehrheit" sprechen. Nein, eine Mehrheit haben sie nicht, aber dennoch können sie der Demokratie und dem Volk schweren Schaden zufügen.
Natürlich ist das Thema komplex, mindestens seit unter Merkel das Tor dazu 2015 weit geöffnet wurde. Trotzdem ist es ein Thema, dass nach Umfragen unter der deutschen Bevölkerung einen hohen Stellenwert hat und wo Antworten bzw. Lösungen bisher von den regierenden Parteien ausgeglieben sind (mit Ausnahme von Lippenbekenntnissen). In einer Demokratie darf man daher auch eine Partei wählen, die dieses Thema vermeintlich angehen möchte, selbst wenn es die AfD sein sollte. Dafür werde ich wahrscheinlich gesteinigt: Aber aus meiner Sicht sollte die AfD ruhig einmal Regierungsverantwortung (mit) übernehmen, dann sieht die Bevölkerung, was passiert, ob sich konkrete Probleme und Ängste abschwächen oder sich sogar verstärken. Bei einer nächsten Wahl kann dann eine Bestätigung oder Abstrafung kommen. Unsere Demokratie sollte das aushalten! Und nein, deshalb wird es kein Viertes Reich, Massenvertreibungen oder KZs geben - oder glauben Sie das allen ernstes?
Unser System funktioniert doch nach Mehrheitsmeinungen, oder etwa nicht? Ohne Mehrheiten im Bundestag, Bundesrat oder auch am Verfassungsgericht läuft nix. Das Mehrheitsprinzip ist in einer Demokratie fest verankert. Oder haben Sie eine andere Demokratievorstellung?
Dass das Thema komplex ist, hat nichts mit Merkel zu tun. Das ist Quatsch. Man kann einen Strom von Geflüchteten nicht einfach ausknipsen. Menschen, die aus Verzweiflung ihre Heimat verlassen, weil ihnen durch Klima, Krisen oder Krieg ihre Lebensgrundlagen verloren gegangen sind, lassen sich nicht durch Zäune oder verweigerte Seenotrettung aufhalten. Wollen Sie meterhohe Grenzzäune und wer drüberklettert, wird erschossen? Oder Internierungslager weiß Gott wo, damit man die Menschen einfach nicht sieht? Die AfD hat Hirngespinste, sonst nichts. Käme sie in Regierungsverantwortung, wäre das in vielerlei Hinsicht ein Desaster. Haben Sie sich einmal mit dem Grundsatzprogramm auseinandergesetzt? Sie sollten es tun – dringend. Denn es bliebe kein Stein auf dem anderen, ein Zurück wäre ein sehr weiter Weg. Höcke hat Leute an seiner Seite mit extrem völkischen Ideen und so benimmt sich die AfD im Osten auch. Einschüchterung Andersdenkender, Aufmärschen, Fackelzüge inklusive. Bereits jetzt.
Sorry Herr Bock, aber wenn Sie schon hier das Märchen von Frau Merkels angeblicher Öffnung in die Runde werfen, dann zeigt das nur, dass Sie recht wenig Ahnung von Politik haben. Denn Frau Merkel hatte nur die Personen am Budapester Bahnhof übernommen, Herr Orban hat das genutzt und gleich alle Flüchtlinge im Land Richtung Deutschland gefahren. Was hätten wohl Sie gemacht, wenn Sie an Stelle von Frau Merkel die Verantwortung getragen hätten? Außerdem hat Deutschland internationale Vereinbarungen mit unterschrieben, in denen es um Menschenrechte und Asyl geht, zudem ist Deutschland Mitglied in der EU und auch da an Verträge gebunden. Das wissen auch die Populisten der AfD, aber dazu schweigen die aus gutem Grund. Denn deren angebliche Lösungen platzen beim näheren ansehen wie die Seifenblasen. Umsetzbar wären die nur, wenn Deutschland geschlossene Vereinbarungen bricht, und ob es dann tatsächlich funktioniert ist mehr als fraglich.
Ich kann Ihnen nur zustimmen, Herr Koenig. Es ist für mich immer wieder schlimm, wie wenig Ahnung die Menschen davon haben, wovon die Dinge abhängen. Aber statt sich kundig zu machen, dreht man sein Fähnchen auf Blau und meint, diese Partei mit dem völkischen Ansatz könnte alle Vereinbarungen und Gesetze mit einem Fingerschnippen kippen und die angebliche "Mehrheitsmeinung" 1:1 durchsetzen.
Es scheint schon gänzlich vergessen zu sein wie sogenannte Mehrheiten vor ca. 90 Jahren eine enorme Katastrophe nicht nur über Deutschland gebracht haben. Der Bürger neigt dazu dort hinzugehen wo die Wurst am niedrigsten hängt und neigt dazu auf Vereinfachungen und bereits erlernte Muster zurückzugreifen. Nachdenken ist oftmals zu schwierig.
Herr König, kennen Sie das Buch 'Die Getriebenen' von Robin Alexander?
Wieso siind dann jetzt auf einmall wieder die Grenzkontrollen möglich, auf die die Frau Faeser so stolz ist? Das hätte Frau Merkel halt anordnen müssen!!! Einfach so, ganz spontan, statt sich mit Selfies, mit wem auch immer zu präsentieren.
"Weil ätzt gegen Habeck: Heizungsgesetz war Schlüsselfehler" - das wäre mit preiswertem Strom genau so wie das E-Auto kein Problem gewesen. Aber man musste ja für den Atomausstieg den Anteil der Atomenergie unbedingt aufs Gesamtjahr klein rechnen und nicht auf den nennenswerten nächtlichen Anteil im Winterhalbjahr abstellen - vorbei, preiswert wird künftig nur der Strom für die Klimaanlage im Sommer sein. Aber jetzt kommt 2025 erst mal aus dem SPD Bauministerium der verpflichtende GEBÄUDERESSOURCENPASS, der das gesamten CO2 aufschreibt - das wirkt sicher - fragt sich nur für oder gegen was.
Atomausstieg und Gebäuderessourcenpass sind kein Grund, eine eindeutig extremistische Partei zu wählen. Nicht alles mag richtig sein, was die Regierungen anschieben, aber der Extremismus ist keine geeignete Form, seinen Frust loszuwerden. Das sollte einem der gesunde Menschenverstand sagen. Unser Parteienspektrum ist breit gefächert, Rechtsextremismus ist unnötig wie ein Kropf.
Wenn man keinen Rückhalt, keine Wählerstimmen mehr in der Bevölkerung hat, so sollte man einem nachdenken, was denn in bzw. mit der eigenen Politik falsch ist. Es wird hier viel spekuliert, viel kommentiert aber die einfachste Gleichung der öffentlichen Unterstützung ignoriert. Werde ich mit Wählerstimmen unterstützt 4,liege ich richtig. Wenn nicht, so liege ich falsch.
Hitler und sein Anhang wurden auch durch Wählerstimmen unterstützt. Lagen sie richtig?
Es ist und bleibt die Frage, warum der Rückhalt in der Wählerschaft sinkt. Vergleiche mit der Vergangenheit bringen hier keinen weiter, denn sie tragen nicht zur Lösung des Problems bei. Und wenn man schon die Vergangenheit bemüht, so sollte man auch wissen, warum damals große Teile des Volkes Hitler und seine Partei unterstützten. Wirtschaftliche Unzufriedenheit, gepaart mit Zukunftsängsten waren eines der Probleme, welche große Teile der Bevölkerung sahen. Was wiederum seinen Ursprung in einem Versagen der damaligen Politik hatte.
Sie haben gerade selbst die Situation geschildert, warum Hitler Zuspruch bekam. Genau aus dem Grund tendiert man wieder zu den Rechtsextremisten? Ich bemühe die Vergangenheit deswegen, weil man aus ihr gelernt haben sollte und man nicht den gleichen Fehler wieder machen bräuchte. Wer Scharlatanen nachläuft, um aus der Misere zu kommen, merkt meist zu spät, dass ihn das falsche Pferd noch tiefer hineingeritten hat.
<<Vergleiche mit der Vergangenheit bringen hier keinen weiter, denn sie tragen nicht zur Lösung des Problems bei.<< Die meisten Menschen lernen aus der Vergangenheit, einige aber lernen nie dazu. Aus der Vergangenheit lernen trägt immer zu einer Lösung bei.
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