Inmitten der Verhandlungen über eine große Koalition ist Sigmar Gabriel als SPD-Chef wiedergewählt worden. Auf dem Bundesparteitag in Leipzig musste er am Donnerstag mit 83,6 Prozent Zustimmung allerdings einen deutlichen Dämpfer hinnehmen. Die gesamte SPD-Spitze warb bei den Delegierten um Unterstützung für einen möglichen Gang in eine Koalition mit CDU und CSU.
Bei der ersten Wahl über 90 Prozent
Bei seiner ersten Wahl an die SPD-Spitze im Jahr 2009 hatte Gabriel 94,2 Prozent erzielt, bei seiner Wiederwahl vor zwei Jahren waren es 91,6 Prozent. Gabriel dankte den Delegierten am Donnerstag für ein "in dieser Situation außerordentlich ehrliches Wahlergebnis". Er fügte hinzu: "Auch das ist gut für einen solchen Parteitag." Von 572 gültigen Stimmen waren 478 Ja-Stimmen, 76 Nein-Stimmen und 18 Enthaltungen.
Gabriel nannte ein Bündnis mit CDU und CSU eine "befristete Koalition der nüchternen Vernunft". Allein die angestrebten Verbesserungen für Arbeitnehmer und die doppelte Staatsbürgerschaft seien aber "die Mühe der Verhandlungen wert". Hunderttausende Migranten warteten seit Jahrzehnten auf einen Doppelpass. Die SPD dürfe nicht "diese Chancen für sie verpassen". Und die Gewerkschaften erwarteten, dass die SPD alles dafür tue, "dass in der kommenden Bundesregierung endlich wieder die Arbeitnehmerinteressen im Mittelpunkt stehen".
Vertrauen vieler Arbeitnehmer in die CDU eine Hauptursache
Die SPD müsse ihr Augenmerk stärker auf die Wirtschaft richten, sagte Gabriel: "Es bedarf neben der sozialen Kompetenz der SPD auch einer deutlich stärkeren Wirtschaftskompetenz unserer Partei. Ohne die werden wir nicht erfolgreich sein." Das größere Vertrauen vieler Arbeitnehmer in die CDU in diesem Bereich sei eine Hauptursache für das schlechte Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl.
Gabriel bekräftigte die SPD-Kernforderungen für eine große Koalition. Es müsse "gleichen Lohn für gleiche Arbeit" sowie einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro geben. Der "inzwischen massenhafte Missbrauch von Werkverträgen" müsse beendet werden. Zudem müsse es "einen fairen Ausstieg in die Rente nach 45 Versicherungsjahren" geben. Er sicherte zu, die Parteispitze werde "nur gute und keine faulen Kompromisse akzeptieren".
Auch Nahles stellt Bedingungen
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte, die SPD werde unter den Koalitionsvertrag "nur einen Haken machen, wenn wir die Energiewende zum Erfolg führen" und ein Mindestlohn durchgesetzt werde. Fraktionsvize Ulrich Kelber und weitere Debattenredner pochten darauf, ein Klimaschutzgesetz zu vereinbaren und einen Deckel für den Ausbau von Ökostrom zu verhindern.
Parteivize Hannelore Kraft sagte, es gehe nicht um "Pöstchen und Dienstwagen". "Wenn die Inhalte stimmen, dann müssen wir es machen", sagte sie und bat um das Vertrauen der Basis: "Das ist nicht einfach, was wir da gerade unternehmen."
Gabriel bekräftigte die künftige Offenheit
Gabriel bekräftigte die künftige Offenheit der SPD bei Koalitionen. Es gehe darum, neue gesellschaftliche Reformbündnisse zu schließen, "auch mit der Linkspartei". Der Parteitag soll am Donnerstagabend über einen Leitantrag mit dem Passus abstimmen: "Für die Zukunft schließen wir keine Koalition (mit Ausnahme von rechtspopulistischen oder -extremen Parteien) grundsätzlich aus." Voraussetzungen seien eine "stabile und verlässliche parlamentarische Mehrheit", ein "verbindlicher und finanzierbarer Koalitionsvertrag" und eine "verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik".
In der Debatte erhielt die Öffnung nach links viel Unterstützung. Der schleswig-holsteinische Landeschef Ralf Stegner nannte diesen Schritt "klug und richtig". (AFP)