Es klingt wie ein schlechter Scherz: Ausgerechnet Spaniens bisheriger Staatsfeind, der katalanische Separatistenchef Carles Puigdemont, entscheidet nun über die künftige spanische Regierung. Warum? Weil seine Partei Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien) in Spaniens nationalem Parlament sieben Abgeordnete hat, deren Stimmen ausschlaggebend dafür sind, ob es demnächst einen konservativen oder einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten geben wird.
Puigdemont, der nach einem illegalen Abspaltungsreferendum 2017 vor der spanischen Justiz nach Brüssel flüchtete, zieht aus der Ferne immer noch die Fäden seiner Partei. Der frühere Katalonien-Präsident machte klar, dass er die Stimmen seiner Abgeordneten teuer verkaufen werde. Seine wichtigste Forderung: „Die völlige Abkehr der justiziellen Verfolgung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.“ Kurz gesagt: eine Amnestie.
Eine Amnestie würde Hunderten katalanischen Aktivisten zugutekommen
Eine solche Amnestie würde Hunderten von katalanischen Aktivisten zugutekommen, gegen die immer noch wegen ihrer organisatorischen Beteiligung am gesetzeswidrigen Unabhängigkeitsreferendum ermittelt wird. Auch Puigdemont, gegen den in Spanien weiterhin ein Haftbefehl wegen Ungehorsams und Veruntreuung öffentlicher Gelder besteht, würde profitieren.
Seine neue Macht wird Puigdemont diese Woche erstmals im spanischen Parlament ausspielen: Dort erläutert der Parteivorsitzende der konservativen Volkspartei, Alberto Núñez Feijóo, seit diesem Dienstag sein Programm für eine Regierung. Doch dass Feijóo nach seinem hauchdünnen Sieg in der nationalen Wahl im Juli tatsächlich an die Regierungsmacht kommt, ist mangels ausreichender Mehrheit höchst unwahrscheinlich.
Wenn es also nicht noch eine Überraschung gibt, wird der Konservative bei den ausschlaggebenden parlamentarischen Abstimmungen an diesem Mittwoch und am Freitag scheitern. Und zwar, weil er eine Amnestie für Puigdemont und Co. ablehnt. Nun rächt sich allerdings auch, dass Feijóo mit seinem harten nationalistischen Wahlkampf alle Türen zu anderen wichtigen Regionalparteien aus dem Baskenland und aus Katalonien zuschlug. Die regionalen Bewegungen geben bei der Mehrheitsbeschaffung im Parlament den Ausschlag.
Nach einer Niederlage des konservativen Blocks wird König Felipe dem bisherigen sozialdemokratischen Premier Pedro Sánchez eine Chance zur Regierungsbildung geben. Dieser kann sich dafür bis Ende November Zeit lassen. Sánchez hatte die nationale Wahl im Juli mit 32 Prozent, nur ein Prozentpunkt weniger als Feijóo, verloren. Aber Sánchez konnte mit seiner Mitte-links-Minderheitsregierung mit einer Dialogpolitik die Regionalparteien auf seine Seite ziehen. Dies könnte sich nun für den 51-jährigen Sozialdemokraten auszahlen.
Staatsrechtler streiten, ob eine Amnestie von der Verfassung gedeckt ist
Das Wort Amnestie taucht in der Verfassung übrigens nicht auf. Entsprechend streiten Staatsrechtler darüber, ob eine Amnestie durch die Verfassung gedeckt wäre. Die Juristen des konservativen Lagers beantworten diese Frage mit einem klaren Nein. Die Volkspartei kündigte deswegen an, eine Straffreiheit für Puigdemont vor dem Verfassungsgericht anzufechten. „Puigdemont ins Gefängnis!“, skandierten bei einer Kundgebung der Konservativen in Madrid Tausende Demonstranten.
Progressive Verfassungsrechtler halten eine Amnestie jedoch für juristisch machbar. Und auch Sánchez, der im Wahlkampf eine Straffreiheit für Puigdemont noch ablehnte, kann sich mittlerweile offenbar einen solchen Schritt vorstellen. Allerdings stößt ein Generalpardon auch in Sánchez‘ Partei auf Kritik. Der frühere sozialdemokratische Regierungschef Felipe González sagte: „Wir können uns nicht erpressen lassen.“