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Sozialsystem vor Kollaps: Was muss sich jetzt ändern?

Kommentar

Der Sozialstaat muss abspecken

Rudi Wais
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    Deutschland altert langsam, aber sicher - das stellt den Sozialstaat vor große Probleme.
    Deutschland altert langsam, aber sicher - das stellt den Sozialstaat vor große Probleme. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Mehr netto vom Brutto? So schön das für Millionen von Beschäftigten wäre – ein Blick in die jüngsten Prognosen für die Sozialversicherungen lässt eher das Gegenteil befürchten. Danach steigen die Beiträge, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer an Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegekassen abführen, bis zum Jahr 2035 von gegenwärtig rund 41 Prozent auf annähernd die Hälfte eines Bruttoeinkommens. Das belastet nicht nur die Wirtschaft, weil es Arbeit weiter verteuert – es nutzt auch den Versicherten nichts, die für ihre Absicherung immer mehr bezahlen müssen, dafür aber keine besseren Leistungen erhalten, zum Beispiel in Form höherer Renten.

    Mehr als ein Jahrzehnt hat die kritische Marke gehalten, nach der die Sozialbeiträge in ihrer Addition nicht über 40 Prozent steigen sollen. In diesem wirtschaftlich prosperierenden Jahrzehnt aber haben alle Regierungen die Warnungen von Wirtschaftsweisen, Bundesbank oder Rechnungshof in den Wind geschlagen, dass unser Sozialstaat so eines Tages nicht mehr finanzierbar sein wird. Im Gegenteil: Union und SPD haben die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren eingeführt und die Mütterrente erhöht, die Ampel hat Hartz IV durch das deutlich teurere Bürgergeld ersetzt und eine neue Grundsicherung für Kinder in Arbeit, die ebenfalls Milliarden kosten wird. Die Frage, ob der Sozialstaat nicht abspecken muss, anstatt immer noch mehr Fett anzusetzen, hat seit Gerhard Schröders Sozialreformen vor mehr als 20 Jahren niemand mehr ernsthaft gestellt.

    Höhere Bundeszuschüsse werden die Lücken nicht schließen können

    Umso größer ist der Druck auf die Beiträge nun. Die Krankenkassen steuern bereits auf Sätze von mehr als 20 Prozent zu, die Beiträge der Rentenkassen werden in der nächsten Wahlperiode ebenfalls über diese Marke steigen, und wie eine immer älter werdende Gesellschaft das zunehmende Pflegerisiko halbwegs allgemeinverträglich absichert, steht trotz der jüngsten Beitragserhöhungen noch in den Sternen. Daran ändern auch die immer höheren Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt nichts, die die Sozialkassen entlasten und den Anstieg der Beiträge abfedern sollen. Um unseren Sozialstaat, eine der größten Errungenschaften der jüngeren deutschen Geschichte, krisenfest zu machen, werden ganz andere Operationen nötig sein.

    Sozialreformen sind selten populär – aber nötig. Die Rentenversicherung etwa müsste sich stärker über den Kapitalmarkt finanzieren, als die Ampel das bisher plant, und die Riester-Rente mit ihren dünnen Renditen durch ein profitableres Modell ersetzt werden. Die als „Rente mit 63“ populär gewordene abschlagsfreie Rente könnte abgeschafft und das Rentenalter an die steigende Lebenserwartung angepasst werden. In der gesetzlichen Krankenversicherung könnten Instrumente der privaten Kassen wie Selbstbeteiligungen und Beitragsrückerstattungen Versicherte zur Kostendisziplin ermuntern. Und wer sagt eigentlich, dass Frauen und Kinder von Gutverdienern in den gesetzlichen Kassen beitragsfrei mitversichert sein müssen?

    Der Ampel fehlt die Kraft für eine große Sozialreform

    Was Schröder im März 2003 in seiner berühmten Agenda-Rede verlangte, gilt heute unter etwas anderen Vorzeichen wieder: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem einzelnen abfordern müssen.“ Nur ein solide und nachhaltig finanzierter Sozialstaat ist ein verlässlicher Sozialstaat. Die Ampel hat nicht mehr die Kraft, mit dem gegenwärtigen Vollkasko-Denken zu brechen, die nächste Bundesregierung allerdings wird sie aufbringen müssen – auch um den Preis, sich unbeliebt zu machen.

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    3 Kommentare
    Gerold Rainer

    Ja klar private Vorsorge funktioniert ja vor allen in den untersten Gehaltsklassen fantastisch, wenn man schon alleine ein Drittel des Gehalts für die Kaltmiete ausgeben muss, (Sarkasmus). Weitere 25% gehen dann für einen PKW drauf, den man unbedingt braucht, weil der Arbeitgeber, um Kosten zu sparen, seine Produktionshalle irgendwo auf einem ehemaligen Acker errichtet hat. Dann rentenversichert man sich am besten bei einem privaten Anbieter, der sich dann an der Börse verzockt und alles ist weg. Ein finanzieller Befreiungsschlag hingegen wäre es schon mal, die ganzen Pensionen, Ehrensolde und sonstiges auf ein vernünftiges Maß zu kappen.

    Maria Reichenauer

    "Die Frage, … hat seit Gerhard Schröders Sozialreformen vor mehr als 20 Jahren niemand mehr ernsthaft gestellt." Diese Frage hat deshalb niemand mehr gestellt, weil sie unsinnig und dumm ist. So einfach ist das. Für mich stellt sich eher die Frage, ob der Kommentator amerikanische Verhältnisse möchte. Wer durchs Netz fällt, schlägt halt hart auf. Ist es das, was Rudi Wais immer wieder antreibt, die soziale Schiene zu fahren? Zuerst das Bürgergeld, jetzt die Sozialversicherung. Was kommt morgen? Wie wäre es mit einer Bürgerversicherung, in die Millionär und Arbeiter einzahlen? Wie wäre es mit der Reduzierung der 450-Euro-Jobs? Jeder, der in einer solchen Beschäftigung tätig ist, zahlt minimal Beiträge, der Arbeitgeber spart sich ebenfalls die volle Sozialversicherung und am Ende gibt es minimal Rente, Aufsstocken und Tafelberechtigung. Was Rudi Wais meint, sind Daumenschrauben für den Normalverdiener, die unsinnig sind und den Frust in dr Bevölkerung erhöhen. Sonst gar nichts.

    Klara Rasper

    Lt.Statista Entwicklung von 2010 bis 2023: Steuereinnahmen 172%, Sozialausgaben 162%. Der groesste Sprung mit 27% 2010 nach 5 Jahren Unionsregierung. Herr Wais: 1. Woher nehmen Sie Ihre Zahlen ? 2. Was ist Ihr Problem ? 3. Was wuerde die Union anders oder gar besser nachen ? Hauptsache auf die Ampel geschimpft.

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