Es vergeht kein Tag, an dem Elon Musk nicht für Wirbel sorgt. Nun will sich der Milliardär an eine Abstimmung unter Twitter-Usern halten und wieder zu einem Ort der freien Meinungsäußerung machen. Aber unter den Bedingungen, die er persönlich für angemessen hält. Zu ihnen gehörte auch, dass Ex-US-Präsident Donald Trump und weitere gesperrte Konten – teils von Rechtsradikalen – wieder zugelassen wurden. Musks Entscheidungen sind aus demokratischer Sicht mindestens umstritten. Doch wie problematisch kann sein Vorgehen werden?
. Es ist das nächste bizarre Kapitel seit seiner Übernahme. Mit der wollte Musk Twitter, so sieht er es,Direkt nach der Twitter-Übernahme Ende Oktober begann das Chaos. Zuerst entließ Musk alle hochrangigen Manager, richtete das Unternehmen auf seine Entscheidungen aus. Er kündigte weiten Teilen der Belegschaft – bis zu zwei Drittel der Beschäftigten soll Musk gefeuert oder vergrault haben. Seitdem werden auf Twitter viele Inhalte nicht mehr moderiert – extremistische oder beleidigende Kommentare haben enorm zugenommen, hat die britische Organisation "Center for Countering Digital Hate" herausgefunden. Musk gießt regelmäßig mit seinen Äußerungen selbst Öl ins Feuer. So hetzte er erst kürzlich gegen den amerikanischen Chef-Virologen Anthony Fauci und verhöhnte Trans- und nicht binäre Menschen.
Experte: Datenschutz kein wichtiges Kriterium für Elon Musk
"Es ist wirklich besorgniserregend", findet Gavin Karlmeier. Der Digitalexperte und freie Journalist analysiert im täglichen Podcast "Haken dran – das Twitter Update" gemeinsam mit dem ARD-Journalisten Dennis Horn, was gerade auf Twitter unter Elon Musk passiert. "Ich bin sehr überrascht, wie chaotisch und planlos diese Übernahme abgelaufen ist", sagt Karlmeier gegenüber unserer Redaktion. So seien durch die fehlende Moderation die Übergriffe und die Benutzung des rassistischen "N-Wortes" nach oben geschnellt. Microservices, wie die Zwei-Faktor-Authentifizierung, funktionierten nicht mehr zuverlässig. Bestimmte Hashtags seien "mit Spam geflutet" worden – sodass sich etwa Demonstranten nicht mehr über einen Protest haben austauschen können, weil die relevanten Tweets in all dem Spam untergegangen seien.
In den vergangenen Wochen hat Elon Musk die "Twitter-Files" veröffentlichen lassen. Es handelt sich um interne Dokumente, die unter anderem zeigen sollen, dass Twitter vor der Übernahme die Demokraten in den USA unterstützt habe und die Entscheidung zur Sperrung von Donald Trumps Konto willkürlich getroffen worden sei. Karlmeier sieht Musks Vorgehen kritisch. Es zeige, dass Datenschutz kein relevantes Kriterium für ihn sei.
Gavin Karlmeier: "Twitter ist in der Hand eines autokratischen Herrschers"
Mehr noch: Musk spricht zwar oft vom politisch neutralen Twitter, nutzt seinen Account aber selbst regelmäßig für klare politische Botschaften. Vor den Midterm-Wahlen in den USA hat er eine konkrete Wahlempfehlung für die republikanische Partei abgegeben. Zwar sei Twitter zuvor auch nicht unabhängig gewesen, so Karlmeier, aber "es ist abstrus zu behaupten, dass die Plattform überhaupt noch neutral sein kann". Insbesondere da sie nun einem Einzelnen gehöre und keine unterschiedlichen Aktionäre mehr beteiligt seien.
So konnte Musk vergangene Woche etwa die umstrittene Entscheidung treffen, Journalisten bei Twitter auszusperren, die über ihn berichtet hatten – um sie später wieder zuzulassen, nachdem er eine Umfrage dazu auf Twitter abgehalten hatte. Künftig sollen auch keine Links zu anderen sozialen Netzwerken mehr erlaubt sein. "Twitter ist in der Hand eines autokratischen Herrschers", kommentiert Karlmeier. Für viele sei mit den willkürlichen Sperrungen eine rote Linie überschritten worden. Gerade unter Journalistinnen und Journalisten seien viele besorgt, ob Redefreiheit auf Twitter noch gegeben sei, so der Digitalexperte.
Der Einfluss, den sich Musk durch Twitter erkauft hat, kann nicht beziffert werden. Aber: "Twitter hat schon eine gewisse Relevanz für den gesellschaftlichen Diskurs", sagt Karlmeier. Zwar werden mit rund 230 Millionen täglichen Nutzerinnen und Nutzern weltweit deutlich weniger Menschen als bei Instagram oder Facebook erreicht. Viele Multiplikatorinnen und Multiplikatoren – also Politikerinnen, Tech-Milliardäre oder Prominente – seien aber auf der Plattform aktiv, die die Meinungen und Schlagzeilen prägten, so Karlmeier. Selbst wenn Musk nicht mehr Chef bei Twitter sein sollte, behielte er als Besitzer hinter den Kulissen weiter das Sagen.
Wissenschaftler: "Wir sind nicht auf Twitter angewiesen"
Dass Musk eine Bedrohung für die Demokratie werden könnte, hält Professor Andreas Jungherr, Politikwissenschaftler der Universität Bamberg, dennoch für unwahrscheinlich. "Die Demokratie ist glücklicherweise robust gegen sowas. Wir sind auf Twitter nicht angewiesen und können andere Dienste nutzen." Viel von dem, was Musk über Redefreiheit sage, sei "Vulgärliberalismus". Es sei ein Code für: "Ich will sagen können, was ich will, egal, wen es stört." Das sei so aber nicht zu realisieren, so Jungherr.
Moderation sei etwa ein ganz entscheidender Punkt auf Twitter. Werde sie von den Usern als unzureichend empfunden, gehe auch die Nutzung der Plattform zurück. Falle Twitter aus, wäre "der funktionale Schaden eher gering". Gefahren sieht Jungherr aber dennoch – insbesondere für Individuen. So sei unklar, was mit den Datensätzen der Menschen auf der Plattform passiere, erklärt er. Ob beispielsweise Direktnachrichten tatsächlich privat blieben. Gerade Minderheiten könnten Opfer von Verfolgung und Belästigung auf der Plattform werden.
Elon Musk könnte Twitter zu sicherem Hafen für Extremisten machen
Auch hält der Politikwissenschaftler es für möglich, dass Musk mit seinen Provokationen Twitter zu einem "sicheren Hafen" für Leute machen könnte, die beleidigende oder extremistische Kommentare abgeben. Mittelfristig korrigiere sich das aber, ist sich Jungherr sicher. Die anderen Nutzer würden dann eine andere Plattform aufsuchen.
Der Politologe vermutet, dass Musk seine provokanten Tweets instrumentell nutzt, um Twitter in der Debatte zu halten. "Aufregung ist eine gute Währung", so Jungherr. Das Verhalten sei vergleichbar mit dem von Donald Trump: ein permanentes Störfeuer. Ob das für das Unternehmen Erfolg versprechend sei, so Jungherr, sei aber eine andere Frage.
In Europa könnte Musk mit seinen Ideen ohnehin an seine Grenzen stoßen, etwa beim Datenschutz. Jungherr erklärt, dass die Europäische Union amerikanische Tech-Milliardäre in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder habe "erziehen" müssen, indem sie diese daran erinnerte, dass staatliche Regulierungen eingehalten werden müssten. Auch Elon Musk wird sich wohl dem europäischen Recht beugen müssen.