Ab Mitte Oktober zahlt der Staat nicht mehr die Coronatests für jeden. Schon in wenigen Wochen gelten weitreichende Testpflichten: Wer im Innenraum eines Restaurants essen, ein Fitnessstudio besuchen oder einen frischen Haarschnitt will, der muss künftig geimpft, genesen oder negativ getestet sein. Weil sich jeder kostenlos impfen lassen kann, sei es "nicht angezeigt", dass die Allgemeinheit die Kosten für die Tests Ungeimpfter zahle, begründen das Kanzlerin Angela Merkel sowie die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in ihrem Beschluss.
Medienberichten zufolge haben die Tests die öffentliche Hand bislang 3,7 Milliarden Euro gekostet. Wer sich nicht impfen lassen will, muss für Tests zahlen, es bleibe eine freie Entscheidung. Wie frei aber entscheiden diejenigen, die das Geld für mehrere Tests im Monat nicht haben? Haben sie am Ende die Wahl zwischen einer Impfung auf der einen Seite und dem Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben auf der anderen?
In der Grundsicherung ist kein Geld für Corona-Tests enthalten
Wer länger arbeitslos ist, zu wenig Rente erhält oder vom Lohn seiner Arbeit nicht leben kann, kann Grundsicherung beantragen. Je nach Lebenslage erhält der- oder diejenige unterschiedlich viel Geld: Alleinstehende und Alleinerziehende erhalten mit 446 Euro den höchsten Betrag unter den Erwachsenen, Volljährige unter 25 Jahren, die bei ihren Eltern leben, mit 357 Euro den niedrigsten. Kindern stehen je nach Alter 283 bis 373 Euro zu.
Für Freizeit, Unterhaltung und Kultur sind bei einem Alleinerziehenden nach den Vorgaben 43,52 Euro vorgesehen. Ein Corona-Test wurde bislang vom Staat mit 11,50 Euro vergütet. Wie teuer er künftig sein wird, ist ungewiss. In den meisten europäischen Ländern kosten Antigen-Tests, sofern sie nicht kostenlos sind, 15 bis 50 Euro. Würden die Tests auch in Deutschland 15 Euro kosten, wäre das Freizeitbudget schon mit drei Tests im Monat aufgebraucht – für den Eintritt ins Kino oder andere Aktivitäten bliebe da nichts übrig. Auch mit dem Budget für Gesundheitspflege kommen Grundsicherungsempfänger nicht weit. Dafür sind nur 17,02 Euro monatlich vorgesehen.
Die neue Testpflicht setzt Menschen unter Druck, die wenig Geld haben
Damit wird deutlich: Wer wenig Geld hat, den werden die neuen Testpflichten – verbunden mit dem Ende der kostenlosen Tests – besonders unter Druck setzen, sich impfen zu lassen. Ist das gerecht? Sollte eine so tief greifende, gesundheitliche Entscheidung vom eigenen Geldbeutel abhängen?
Nein, meint Gesine Lötzsch, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Links-Fraktion im Bundestag. "Wer jetzt die Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte spaltet, gefährdet den sozialen Frieden in unserem Land." Die Pandemie sei eine Naturkatastrophe, die die Gesellschaft solidarisch finanzieren müsse, wenn sie nicht auseinanderbrechen solle, sagt die Oppositionspolitikern unserer Redaktion. "Die Bundesregierung hat mit ihrer Corona-Politik unsere Gesellschaft weiter gespalten", fügt sie hinzu. "Die Einführung der Kostenpflicht für Corona-Tests ist die Fortführung der Zwei-Klassen-Medizin mit anderen Mitteln."
Die Folgen einer Verweigerung müssen Ungeimpfte selbst tragen
Die Bundesregierung plant indes keinen Ausgleich sozialer Härten für das Ende der kostenlosen Corona-Tests. "Es bleibt weiterhin uneingeschränkt der individuellen Entscheidung überlassen, ob Erwachsene sich gegen das SARS-CoV2-Virus kostenfrei impfen lassen oder nicht", sagte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf Anfrage. Dies gelte auch für erwachsene Grundsicherungsempfänger. "Für die gesellschaftliche Teilhabe ist es gut, dass es kostenlose Impfangebote gibt." Die Sprecherin des von Hubertus Heil (SPD) geführten Hauses verweist auf Ausnahmeregelungen etwa für Personen, die nicht geimpft werden können. Sie erhalten weiterhin kostenlose Tests. Das Ministerium behalte "Menschen in schwierigen sozialen Lagen weiterhin fest im Blick und prüft, ob weiterer Anpassungsbedarf besteht".
Lötzsch kritisiert, die Regierung müsse vor der Wahl offenlegen, wer für die Pandemie bezahlen soll. Die Linke fordere eine moderate Vermögensabgabe. "Doch es deutet sich an, dass die Bundesregierung die kleinen Leute zur Kasse bitten will." Das sei sozial ungerecht und gesundheitspolitisch gefährlich. Drohungen würden nicht weiterhelfen, sondern ein einfacher Zugang zum Impfstoff. "Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen die Pop-up-Impfzentren vor Ort nutzen", betont die promovierte Philologin. Ärmere Menschen würden nach dem Ende der kostenlosen Tests weniger testen lassen, die Zahl der unentdeckten Corona-Fälle wird zunehmen, prognostiziert sie. "Damit schaden wir uns allen."