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So prägte Jörg Haider den Rechtspopulismus in Österreich

Österreich

Im Nazi-Milieu aufgewachsen: Wie Jörg Haider den Rechtspopulismus erfand

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    Haider, das „große politische Talent“ – so sehen ihn in Österreich bis heute sowohl Anhänger als auch so manche Politikexperten. Der Rechtspopulist starb im Oktober 2008.
    Haider, das „große politische Talent“ – so sehen ihn in Österreich bis heute sowohl Anhänger als auch so manche Politikexperten. Der Rechtspopulist starb im Oktober 2008. Foto: picture-alliance, dpa/epa apa Gindl

    Es gibt Ereignisse, die so fest im kollektiven Gedächtnis verankert sind, dass jeder, der alt genug ist, weiß, wo sie oder er war, als es passierte. Eines dieser Ereignisse ist eine Oktobernacht im Jahr 2008. Ein schwarzer VW Pheaton rast damals mit über 140 Kilometern pro Stunde durch die Dörfer in der Umgebung der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt. Der Fahrer, das stellt sich später heraus, ist sturzbetrunken, er hat fast zwei Promille Alkohol im Blut. Nahe der Ortschaft Lambichl kommt der Wagen in einer Kurve von der Straße ab und zerschellt am Garten eines Einfamilienhauses – mit nur 58 Jahren stirbt Jörg Haider, der Prototyp des rechtspopulistischen Politikers, noch an der Unfallstelle.

    Nach Haiders Siegeszug als Politiker fand sein Politikstil zahlreiche Nachahmer in ganz Europa, seine Karriere markiert den Anfangspunkt für den Aufstieg zahlreicher rechtspopulistischer Parteien. In serieller Regelmäßigkeit betreten in Österreich seit Haider Figuren die politischer Bühne, die mit Erfolg den Typus des Erfinders des Rechtspopulismus kopieren – und deren Werdegang meist erstaunliche Parallelen zu jenem von Jörg Haider aufweist. Haider veränderte die politische Landschaft in der Alpenrepublik nachhaltig, machte Fremdenfeindlichkeit ebenso wie eine rabiate Sprache im Politikbetrieb salonfähig, verschob Grenzen. Ein Vizekanzler Heinz-Christian Strache, die Kanzlerschaft von Sebastian Kurz und schließlich der Aufstieg von Herbert Kickl an der Spitze der FPÖ – sie wären ohne den Mann, der in jener Oktobernacht vor 16 Jahren betrunken in den Tod raste, nicht möglich gewesen.

    Haider wächst im Milieu ehemaliger Nationalsozialisten auf

    Haider wächst in den 50er und 60er Jahren im oberösterreichischen Salzkammergut auf, in einem Milieu ehemaliger Nationalsozialisten, die ihrer Gesinnung auch nach der NS-Zeit treu geblieben waren. Haiders Vater Robert war ein sogenannter „Illegaler“, er engagierte sich in den 30er Jahren nach dem NSDAP-Verbot in Österreich weiter für die Nazi-Partei. Das Salzkammergut blieb in den Nachkriegsjahren Kerngebiet für die österreichischen Nazis, wurde ein Zentrum für die Netzwerke der „Ehemaligen“. Der „Verband der Unabhängigen“ (VdU), in dem sich zahlreiche Nazis ebenso zusammenfanden wie jene, die sich weder den Sozialdemokraten noch der konservativen ÖVP zurechnen wollten, zerlegte sich nach nur wenigen Jahren – schließlich ging der VdU in der 1955 neu gegründet FPÖ auf. Hier findet auch Haiders Vater seine neue Heimat. Zentrale Figur der Partei: Der ehemalige NS-Minister und SS-Offizier Anton Reinthaller.

    Die Partei, die heute in Österreich in allen Umfragen führt, ist in Haiders Jugendzeit weit weg von jeglichem politischen Einfluss und Macht. Die FPÖ ist eine unbedeutende Kleinpartei, getragen von ehemaligen NS-Eliten, meist Juristen, Anwälten, Ärzten oder Unternehmern. Es gelingt der FPÖ in den Nachkriegsjahren kaum, Wähler anzusprechen, die Partei grundelt bei Wahlen im einstelligen Prozentbereich. Das liegt auch daran, dass die beiden großen Lager-Parteien, die Sozialdemokraten der SPÖ und die Konservativen der ÖVP, das Land de facto unter sich aufgeteilt und erfolgreich das Potenzial der ehemaligen Nazis aufgesogen hatten. Rund eine halbe Million mehr oder weniger NS-belasteter „Ehemaliger“ waren bis 1949 vom Wahlrecht ausgeschlossen.

    Der Wahl-Kärntner inszeniert sich als Vertreter des kleinen Mannes

    Als Jörg Haider, gerade erst zum Doktor jur promoviert, 1976 in Kärnten FPÖ-Parteisekretär wird, gibt es in der FPÖ noch einen kleineren Flügel aus Rechtsliberalen, die mit dem völkisch-deutschnationalen Parteieliten wenig anfangen können. In den 80er Jahren erringen die Liberalen mit dem damaligen Vorsitzenden Norbert Steger die Führung in der Partei, beim Parteitag 1986 putschen die deutschnationalen Burschenschafter in der Partei gegen Steger – und machen Jörg Haider, einen der ihren, zum neuen Parteichef.

    Sofort beginnt Haider, die FPÖ umzukrempeln: Mit der Zurückhaltung der Eliten-Partei FPÖ ist es nun vorbei. Haider wettert gegen den „Filz in Wien“ aus SPÖ und ÖVP, macht sich die erstarrten Strukturen und die für viele Österreicher als erdrückend empfundene Dominanz der beiden großen Parteien zunutze. Der Wahl-Kärntner inszeniert sich als Vertreter des kleinen Mannes, später teilte er im Wahlkampf auch Bargeld an seine Fans aus. Die Party-artig inszenierten Auftritte im Wahlkampf hatte er sich in den USA und dort von rechtskonservativen Kreisen abgesehen. Und er hat Erfolg: Vor allem im SPÖ-dominierten Milieu der Arbeiter verfangen sein rabiater Anti-Ausländer-Kurs und die Parolen vom „Filz“ der großen Parteien. „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“, lässt er auf seine Plakate schreiben. Einer, der endlich sagt, was Sache ist, ein unbestechlicher, neuer Geist, „einfach ehrlich, einfach Jörg“. Haider gelingt es, das fremdenfeindliche Potenzial, das vor allem auch im Arbeitermilieu stets vorhanden war, zur FPÖ, der Partei der ehemaligen Nationalsozialisten, zurückzuholen. Stetig legt die FPÖ in den 90er Jahren zu, bis Haider seine Partei im Jahr 2000 schließlich erstmals in eine Regierung führt – dass er der ersten schwarzblauen Koalition unter dem damaligen ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel selbst nicht angehört, ist den massiven internationalen Protesten gegen die in Teilen rechtsextreme Partei geschuldet.

    Seinen Erfolg hat Haider auch der Faszination der Medien zu verdanken

    Haider, das „große politische Talent“ – so sehen ihn in Österreich bis heute sowohl Anhänger als auch so manche Politikexperten. Seinen Erfolg hatte der Rechtspopulist einer jahrelang ungebrochenen Faszination vor allem der Medien zu verdanken. Haider perfektionierte das Spiel mit dem kalkulierten Tabu-Bruch: Im Wissen, dass jeder antisemitische Spruch, jede NS-Anspielung von den Zeitungen sofort aufgegriffen würde, legte Haider stets nach. „Wie kann einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben?“, sagte Haider in einer Aschermittwochs-Rede 2001 über den damaligen Präsidenten der jüdischen Kultusgemeinde, Ariel Muzikant. Der Autor des antisemitischen Spruchs: Ein gewisser Herbert Kickl, damals Haiders Redenschreiber. Mit nacktem Oberkörper oder im Porsche sitzend grinste Haider von aberdutzenden Magazin-Covers, Haider steigerte die Auflagen, so manches Medium erlebte mit ihm seinen Aufstieg und nicht selten ließen sich auch kritische Analytiker von Haiders rhetorischem Können und seinem Auftreten blenden. Haider, das war auch der Prototyp des „charismatischen Anführers“: Der Parteichef sammelte eine Gruppe von jungen, „feschen“ Adoranten und Mitstreitern um sich, für Frauen war da kein Platz. „Buberl-Partie“ nannte die österreichische Presse diesen Kreis aus jungen Schönlingen bald. Einen davon, Karl-Heinz Grasser, machte Haider unter ÖVP-Kanzler Schüssel zum FPÖ-Finanzminister – später wurde Grasser nach unzähligen Skandalen unter anderem wegen Untreue nicht rechtskräftig zu acht Jahren Haft verurteilt. Eine Gruppe aus machtorientierten jungen Männern, auf Hochglanz getrimmt, die schließlich ebenso tief fallen, wie sie zuvor hochgestiegen waren – einige Parallelen zur Geschichte von Ex-Kanzler Sebastian Kurz sind augenscheinlich.

    Erstmals spielte Haider erfolgreich das aus, was Politikwissenschaftler später als die Kern-Kriterien von autoritärer, rechtspopulistischer Verführung ausmachten. Der zugespitzte Gegensatz zwischen „Eliten“ – immer angeblich korrupt, unfähig und verlogen – und dem „Volk“, dessen Urteil und „Empfinden“ immer gerecht, ja „natürlich“ ist. Und natürlich der Anspruch, alleine und exklusiv dieses „Volk“ zu vertreten. Die FPÖ stilisierte Haider – ganz so wie später Kurz mit seiner „neuen Volkspartei“ – zu einer „Bewegung“, mitreißend sollte das wirken, niederschwellig und revolutionär. Kein Zweifel: Ohne die jahrzehntelang in Staat und Gesellschaft einzementierte Machtbasis sowohl von SPÖ als auch von ÖVP wäre Haiders Strategie wohl so nicht aufgegangen.

    Haider bediente das Bedürfnis nach Südenböcken

    Haider bediente aber nicht nur das Bedürfnis der Österreicher nach Sündenböcken – Muslimen und anderen Zuwanderern –, er wusste auch um den Jahrzehnte nach der NS-Zeit breit vorhandenen Antisemitismus Bescheid: Indem er antisemitische Sprach-Codes wie jenes der „Ostküste“ bemühte und auch vor SS-Veteranen einschlägige Reden hielt, appellierte er auch an die eingefleischten Rechtsextremen der Kriegs-Generationen und ihrer Nachkommen. Für die weniger Ideologisierten gab es Wir-da-unten-gegen-die-da-oben-Reden – so schaffte Haider den Brückenschlag zwischen der alt angestammten Wählerschaft der „Ehemaligen“ und neuen Wählerschichten. Dass sich heute Herbert Kickl an der NS-Rhetorik bedient, sich als „Volkskanzler“ sieht und kritische Zeitungen als „Systemmedien“ – ohne, dass dies für große Aufregung sorgt – ist ebenfalls Haiders erfolgreicher Grenzverschiebung geschuldet. Und Haider führte die EU als Feindbild der Österreicher in die Politik ein – der Brüssler „Wasserkopf“, der sich über das „gesunde Empfinden“ des österreichischen Volkes hinwegsetzen wolle und dem es zu trotzen gelte – ein Schema, das erfolgreiche Populisten bis heute zu wissen nutzen.

    Kurz nach seinem Tod wurde auch das finanzielle Erbe von Haiders jahrelangem Wirken offenbar. Sein „Laptop und Lederhose“-Projekt für die Hypo Alpe Adria endete in einem Desaster, zurück blieb ein milliardenschwerer Scherbenhaufen. Auf den Schulden blieb sein Bundesland Kärnten sitzen, zahlen musste schlussendlich der Bund - und damit alle österreichischen Steuerzahler.

    Der Gedenkkult setzt sich bis heute fort

    Da, wo Haiders Dienstwagen im Oktober zerschellte, befindet sich heute eine Art Wallfahrtsstätte. Der Gedenkkult, der nach seinem Unfalltot um den Erfinder des Rechtspopulismus entstand, setzt sich bis heute fort – und ist Beweis für die Wirkmacht der Emotionen, die Haider zu entfesseln vermochte, und die die Politik in der Alpenrepublik auch heute noch dominieren.

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    1 Kommentar
    Raimund Kamm

    Danke, für diesen aufschlussreichen Artikel. Das Idol der rechten Undemokraten Haider raste sturzbetrunken mit bis zu 140 kmh durch die österreichischen Dörfer. Gut, dass er nur sich totgefahren hat. Und seine dilettantischen Spekulationen mit der Hypo Alpe Adria kosteten die österreichischen Steuerzahler über eine Milliarde. Solche Rechte handeln rücksichtslos und sind fachlich nicht in der Lage, unser Staatswesen zu führen. Doch etwa ein Drittel der Bürger verstehen das nicht oder billigen es. Alle, die meinen, man sollte mal AFD und BSW es probieren lassen, sollte auch dies eine Warnung sein.

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