Mit Beginn des Syrienkonflikts im Jahr 2011 wurde Deutschland für inzwischen fast eine Million Syrerinnen und Syrer zur neuen Heimat. Diktator Baschar al-Assad übernahm damals die Kontrolle und terrorisierte das Land und seine Menschen mit Mord, Folter und Entführungen. „Eine Rückkehr oder ein Besuch unter Assad waren völlig ausgeschlossen“, erzählt Samer Al-Hakim, der bereits 2009 nach Deutschland kam, um Elektrotechnik zu studieren. Doch der Sturz des Regimes vor wenigen Wochen hat für den 39-Jährigen und viele andere neue Hoffnung geweckt.
Die islamistische Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und verbündete Milizen marschierten in Damaskus ein und übernahmen die Macht. Die Nachricht kam für viele überraschend. „Am Tag, als das Regime gefallen ist, konnte ich keine einzige Minute schlafen,“ sagt Al-Hakim, der nach dem Studium eine Arbeit aufnahm, heiratete, und jetzt mit Frau und Kind in Düsseldorf lebt. Die Gefühle in der syrischen Diaspora waren gemischt, berichtet er: Erleichterung und Freude über das Ende einer brutalen Diktatur, aber auch Trauer über die Opfer des Konflikts. „Ich habe geweint, weil Syrien insgesamt 54 Jahre unter der Diktatur gelitten hat. Es ist eine riesige Erleichterung, aber ich kann es nicht wirklich zelebrieren, weil ich an die vielen Opfer denke. Weil wir ganz vieles verloren haben.“ Es sind die Erinnerungen an chemische Angriffe und Foltergefängnisse, die sich in die Köpfe der Menschen eingebrannt haben.
Viele Syrer wollen bleiben
In Deutschland leben derzeit rund 975.000 Syrerinnen und Syrer. Die Integrationslage zeigt ein gemischtes Bild: Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind rund 42 Prozent von ihnen berufstätig. Sprachbarrieren und bürokratische Hürden erschweren demnach vor allem in der Anfangszeit den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Trotz dieser Herausforderungen tragen syrische Beschäftigte dem Institut der Deutschen Wirtschaft zufolge massiv dazu bei, den Fachkräftemangel in Deutschland abzufedern. Demzufolge arbeiten 62 Prozent in systemrelevanten Bereichen wie Gesundheit oder Logistik.
Mit dem Sturz des Diktators entbrannte in Deutschland eine politische Debatte: Sollen syrische Geflüchtete nun zurückkehren? Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Alexander Throm (CDU), forderte etwa bereits kurz nach Bekanntwerden der Nachrichten eine Überprüfung des Schutzstatus und die Unterstützung freiwilliger Rückkehrer. „Die Lage in Syrien hat sich durch den Sturz von Machthaber Baschar al-Assad grundlegend geändert,“ erklärte er. Hingegen mahnte beispielsweise Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) im ZDF zur Zurückhaltung. „Wir wissen noch nicht, wie es in Syrien ausgehen wird. Wir sollten nicht als Erstes darüber reden, was mit den Geflüchteten hier ist, sondern wie man dort unterstützen kann, dass es ein stabiles System gibt.“
Besuch in der Heimat
Al-Hakim zeigt Verständnis für die Diskussion, kritisiert jedoch auch das Timing: „Es ist jetzt wirklich sehr verfrüht, an eine Rückkehr zu denken. Der Sturz des Regimes ist nicht das Ende, sondern der Anfang eines sehr langen Weges.“ Er vermutet, dass die aktuelle Debatte auch von populistischen Motiven getrieben wird. „Wir wissen alle genau: Die Wahlen kommen bald, und es ist alles Teil des Wahlkampfes. Sie wollen dieses Thema ausnutzen, weil genau die Flüchtlingsfrage eine große Rolle spielt.“ Für ihn sollte die Stabilisierung des Landes oberste Priorität haben. „Es liegt im Interesse von allen – der Nachbarn Syriens, Europas und der Welt – dass sich die Lage so schnell wie möglich stabilisiert.“
Eine breite Rückkehrstimmung scheint in der syrischen Gemeinschaft hierzulande nicht zu bestehen. Das zeigt eine IAB-Bamf-SOEP-Befragung - einem Kooperationsprojekt des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dem DIW Berlin und dem Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Demnach wollen 94 Prozent der zwischen 2013 und 2019 eingereisten syrischen Geflüchteten dauerhaft in Deutschland bleiben.
„Vorher war es für mich so hoffnungslos, solange Assad an der Macht blieb. Jetzt gibt es zumindest eine Chance auf etwas Besseres, auf eine bessere Zukunft“, sagt Al-Hakim und ergänzt: „Es muss das Ziel sein, dass alle Gesellschaftsgruppen, alle Minderheiten, Ethnien und Religionen sich an einen Tisch setzen.“ Wer nicht dauerhaft zurückkehren will oder kann, plant zumindest einen Besuch. „Es ist sehr berührend für mich: Ich kann endlich meiner Frau und meinem Kind das Land zeigen, wo ich aufgewachsen bin,“ sagt der Syrer. Ganz zurückkehren will er jedoch vorerst nicht.
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