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Slowakei: Kaum Hoffnung auf Versöhnung nach Attentat auf Fico

Slowakei

Kaum Hoffnung auf Versöhnung nach Attentat auf Fico

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    Polizisten nehmen einen Mann fest, der den slowakischen Ministerpräsidenten Fico  angeschossen hatte.
    Polizisten nehmen einen Mann fest, der den slowakischen Ministerpräsidenten Fico angeschossen hatte. Foto: Radovan Stoklasa, dpa

    Am Tag nach dem Attentat scheint kein Wölkchen den morgenblauen Himmel über der wuchtigen Bettenburg in der slowakischen Provinzstadt Banska Bystrica zu trüben. Geschäftig bringen die Mitarbeiter nationaler und internationaler TV-Sender vor der Roosevelt-Klinik ihre Kameras in Position. Kurz vor neun Uhr am Donnerstagmorgen verkündet Klinikdirektorin Miram Lapunikova hinter dem Mikrofonwald endlich die erlösende Nachricht: Der Zustand des slowakischen Regierungschefs Robert Fico sei zwar „weiter sehr ernst“, doch er habe sich nach einer fünfstündigen Notoperation „stabilisiert“. 

    Fünf Mal hatte der 71-jährige Juraj C. tags zuvor vor dem Kulturhaus aus unmittelbarer Nähe mit einer Pistole auf den Premier gefeuert – und ihn vier Mal an den Armen und in der Bauchhöhle getroffen. Innenminister Matus Sutaj Estok sprach von einem klaren politischen Motiv, das sich aus den ersten Vernehmungen des Täters ergeben habe. 

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    „Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu“, sagte der benommen wirkende Attentäter mit leiser Stimme in einer von den Medien verbreiteten Filmsequenz eines geleakten Polizeiverhörs. Mit undeutlicherer Stimme nannte er dann Beispiele – allen voran die Medienpolitik der Regierung, vor allem die geplante Auflösung des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens RTVS. Dagegen hatten die liberalen und konservativen Oppositionsparteien seit Wochen Tausende Menschen zu Massendemonstrationen mobilisiert. Sein Vater sei „eher impulsiv“, habe Fico nicht gewählt, aber nie angedeutet, den Politiker angreifen oder gar töten zu wollen, berichtete derweil der schockierte Sohn des Schützen dem Portal aktuality.sk: „Ich habe absolut keine Ahnung, was er vorhatte und warum dies geschehen ist.“

    Das Opfer scheint außer Lebensgefahr. Doch nur im Entsetzen über das Attentat auf den bekanntesten und umstrittensten Politiker des Landes zeigt sich die tief gespaltene Slowakei geeint. Politiker der nationalpopulistischen Regierung fühlen sich in ihrem Feldzug gegen die Opposition und missliebige Medien bestärkt – und machen sie für den Anschlag verantwortlich. Die liberalen Medien und die Opposition hätten schon seit Jahren für Fico einen „Galgen errichtet“, schäumte schon unmittelbar nach dem Attentat Lubos Blaha, der stellvertretende Vorsitzende von Ficos linkspopulistischer Smer-Partei: „Wegen Ihres Hasses kämpfte er heute um sein Leben.“ Noch unversöhnlicher ziehen die Vertreter des ultranationalistischen Koalitionspartners SNS nach dem Attentat gegen missliebige Regierungskritiker vom Leder. Die oppositionellen Progressiven (PS) und die Journalisten hätten „das Blut von Robert Fico an den Händen“, wütete der SNS-Abgeordnete Rudolf Huliak. „Sind Sie nun zufrieden?“, blafft der aufgebrachte SNS-Chef Andrej Danko die vor dem Parlament wartenden Pressevertreter an. Für die SNS beginne nun der „politische Krieg“: „Ich sage der Opposition, sie soll den Mund halten.“

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    Noch weiter geht der frühere Justizminister und Präsidentschaftskandidat Stefan Harabin. Es sei an der Zeit, die „Auflösung“ der PS zu beantragen, fordert der rechtsextreme Jurist das Verbot der größten Oppositionspartei: Neben der Opposition seien „Mainstream-Medien“ und von „ausländischen Agenten“ unterwanderte Bürgerrechtsorganisationen für die Schüsse auf Fico „politisch verantwortlich“.

    Tatsächlich haben sowohl die Opposition als auch alle unabhängigen, von Fico gerne als „feindlich“ geschmähte Medien den Anschlag einhellig verurteilt. Geschockt hat die oppositionelle PS die vor der Europawahl geplanten Kundgebungen ebenso abgeblasen wie die Proteste gegen die von ihr kritisierte Knebelung der Pressefreiheit und die befürchtete „Orbanisierung“ der Slowakei nach ungarischem Vorbild. Allerdings kritisierten auch mehrere Oppositionspolitiker wie etwa der konservative EU-Abgeordnete Ivan Stefanec, die Regierung sei selbst für das Klima des Hasses verantwortlich, das so ein Attentat möglich gemacht habe. 

    Schon länger verrohen in der Slowakei die politischen Sitten

    Die „schreckliche Tat“ habe jeden schockiert, doch sie „sollte keinesfalls eine weitere Welle des Hasses auslösen. Das würde niemandem helfen“, schreibt der Kommentator des Webportals aktuality.sk: „Die Polarisierung der Gesellschaft nimmt enorme Ausmaße an. Gewalt und Obszönitäten dringen immer tiefer in unser Leben ein.“

    Tatsächlich war bereits der Auftragsmord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten 2018 für viele Slowaken ein besorgniserregendes Indiz für die blutige Verrohung der politischen Sitten: Die Welle der öffentlichen Empörung über die Liquidierung des Journalisten, der über Korruption und ein weitverzweigtes Mafianetzwerk bis in hohe Regierungskreise recherchiert hatten, zwang damals selbst Dauerpremier Fico zu seinem zwischenzeitlichen Abtritt.

    Die Chance auf eine Erneuerung nach dem Kulciak-Mord habe die Slowakei vertan und vergeudet, klagen Analysten und Bürgerrechtler in Bratislava. Seit seinem Comeback bei den Parlamentswahlen im letzten Oktober zog Fico noch unduldsamer als zuvor gegen die von ihm als „antislowakische Huren“ beschimpften Medien und die Opposition zu Felde.

    Medien appellieren an die Gesellschaft

    „Lasst uns aufhören, Hass zu verbreiten, der gegen das eine oder andere politische Lager gerichtet ist,“ fordert nach dem Fico-Attentat selbstkritisch Innenminister Estok vom gemäßigten sozialdemokratischen Koalitionspartner HLAS. Derartige Stimmen sind im unversöhnlichen Regierungslager jedoch die Ausnahme: Das Attentat scheint die Risse in der gespaltenen Slowakei eher zu vertiefen als zu glätten.

    Für eine friedliche Gesellschaft müsse man auch etwas tun, mahnt am Donnerstag verzweifelt der Kommentator der liberalen Zeitung Uj Szo: „Wir müssen die verleumderischen, unverantwortlichen und hasserfüllten Rufmordkampagnen eindämmen. Wir müssen dem Hass-Tsunami in den sozialen Medien eine Grenze setzen. Und wir müssen in den Familien und in den Schulen mit den Kindern darüber reden, wie sie Spannungen und Emotionen bewältigen können.“

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