Er ist einer der führenden Manager Deutschlands und hat den Weltkonzern Siemens maßgeblich modernisiert. Immer wieder schaltet sich Joe Kaeser in politische Debatten ein. Im Rahmen unserer Gesprächsreihe „Augsburger Allgemeine Live“ stellte sich Joe Kaeser am Mittwochabend vor rund 200 Zuhörerinnen und Zuhörern im Foyer unseres Verlags den Fragen von Digitalreporterin Christina Heller-Beschnitt und Chefkorrespondent Stefan Stahl. Kaeser fand klare Worte zum Standort Deutschland, zur AfD und zu den Limits der deutschen Klimapolitik.
Die Diagnose ist klar. Kaeser sieht die Wirtschaft des Landes in keiner guten Verfassung. „Deutschland ist kein Sanierungsfall“, betonte er zwar. „Wir sind aber etwas bequem geworden und setzen das, was unsere Väter und Mütter erarbeitet haben, zu sehr als garantiert voraus.“ Andere Länder in der Welt versuchen längst, ähnlichen Wohlstand zu erreichen. Damit entstehen in Ländern wie China, Indien oder Indonesien neue Wettbewerber.
Kaeser fordert eine Strategie für Wirtschaftswachstum
Um den Wohlstand zu sichern und mehr Dynamik zu entfalten, fordert Kaeser eine Strategie. „Unser Land braucht einen Plan, eine Agenda“, sagt der 67-Jährige. „Wir brauchen eine Agenda 2030, vielleicht auch 2035.“ Der Fokus müsse dabei darauf liegen, wieder zu mehr Wachstum zu kommen. „Die Marktwirtschaft ist völlig unter die Räder gekommen“, kritisierte Kaeser. „Wir brauchen eine sozial-ökologische Marktwirtschaft. Gleichzeitig muss das Bewusstsein wachsen, dass die Marktwirtschaft das Soziale und das Ökologische finanziert“, lautete seine zentrale These des Abends. Kurz gesagt: Erst muss das Geld verdient werden, das dann für Sozialleistungen oder den Klimaschutz ausgegeben wird.
Wirtschaftsleistung und Sozialstaat sieht Kaeser nicht mehr im Gleichgewicht. „Man kann nur Sachen umverteilen, die man vorher erwirtschaftet hat“, erklärte er. Den Menschen, die arbeiten, Geld zu nehmen, um es denen zu geben, die nichts tun, das sei der falsche Weg. Kaeser schlug stattdessen vor, Bürgergeld in erster Linie für Menschen zu zahlen, die zwar arbeiten, bei denen der Verdienst aber nicht zum Auskommen reicht.
Joe Kaeser wünscht sich Friedrich Merz als Bundeskanzler
Ob Olaf Scholz oder Friedrich Merz besser als kommender Kanzler wäre, wurde Kaeser gefragt. Dieser entschied sich klar: „Merz.“ Merz habe Kompetenz, er habe die Welt gesehen. Nachholbedarf habe er vielleicht, wenn es darum ginge, Menschen mitzunehmen, die nicht gleich seiner Meinung sind.
Mit Blick auf den Klimawandel argumentierte der frühere Siemens-Chef, dass es wichtiger ist, hierzulande klimaschützende Technologien zu entwickeln und diese dann zu exportieren, als sich darauf zu konzentrieren, die deutschen CO₂-Emissionen zu senken. „Der Klimawandel ist real existent“, sagte Kaeser. Die Menschheit habe ein Problem damit. „Deutschland aber ist verantwortlich für 1,8 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen. Wenn wir diese bis 2030 halbieren, reduzieren damit den globalen CO₂-Ausstoß um 0,9 Prozentpunkte. Dafür riskieren wir die industrielle Basis unseres Landes. Ist das gerechtfertigt? Ich sage nein.“ Der Export klimaschonender Technologien dagegen würde helfen, dass auch andere Länder ihre Emissionen senken.
Kaeser: AfD-Forderungen sind eine Gefahr für Wirtschaftsstandort Deutschland
Klare Worte fand Kaeser auch zum Höhenflug der AfD. Die AfD-Überlegung, dass Deutschland aus der EU austreten solle, sieht er sehr kritisch. Rund 50 Prozent des deutschen Exports gingen in die EU. „Die Forderungen sind eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort“, sagte er. Kaeser bezog abermals klar Stellung gegenüber Fremdenfeindlichkeit. „Fremdenhass ist ein hässliches Gesicht von Deutschland“, gab er zu bedenken. „Was sich mit dem Holocaust ereignet hat, darf sich nie wieder wiederholen.“ Extremismus von beiden Seiten, sagte er, führe in den Abgrund.
Umso wichtiger ist dem Manager auch, an den Dingen festzuhalten, die in Deutschland gut funktionieren. Und diese zu pflegen. „Eine unserer großen Errungenschaften ist, dass wir Rechtssicherheit haben“, sagte Kaeser. Gelingt es, die Kraft der Marktwirtschaft wieder zu stärken, dann habe Deutschland alle Karten, um seinen Wohlstand erhalten zu können.