Als der Bundeskanzler am Donnerstagmorgen in Brüssel vor die Journalisten tritt, wirkt er angeschlagen. Olaf Scholz scheint müde zu sein, und das hat wohl nur am Rande damit zu tun, dass er jetzt einen EU-Gipfel und später noch ein Treffen mit US-Präsident Joe Biden vor sich hat. Solche Termine mit viel Aktion und wenig Schlaf steckt der Kanzler locker weg. Was ihm mehr zu schaffen machen dürfte, ist die Politik im Inland. Der Regierungsbetrieb stockt, die Streitereien zwischen den Koalitionspartnern FDP, Grünen und seiner SPD werden öffentlich ausgetragen. Es ist noch ein Jahr bis zur Bundestagswahl und man fragt sich, ob der Regierungschef genügend Kraft hat, um die Koalition bis dahin zusammenzuhalten. Die Abstimmung über das Sicherheitspaket könnte am Freitag bereits die Antwort liefern.
Tags zuvor hat Oppositionschef Friedrich Merz das Wort „verzweifelt“ auf den Kanzler angewendet. Man kann das so sehen wie der CDU-Vorsitzende, aber völlig hoffnungslos ist Scholz nicht. Immer wieder zeigt er Siegeswillen, der SPD-Politiker ist überzeugt davon, dass er nach der Wahl im September 2025 weitere vier Jahre im Kanzleramt sitzen darf. Die Kanzlerkandidatur von Merz beflügelt ihn dabei. Scholz setzt darauf, dass die schlechten Umfragewerte für den Sauerländer viele davon abhalten werden, ihr Kreuz bei der CDU zu machen. Den „Laschet-Effekt“ nennen sie das im Willy Brandt Haus – der Lacher des Unions-Spitzenkandidaten Armin Laschet inmitten des flutgeschädigten Ahrtals kostete CDU und CSU wohl den Sieg bei der Bundestagswahl 2021.
Die SPD steht in Umfragen bei 16 Porzent – und ist nervös
Doch damit der Plan aufgeht, müsste die SPD noch deutlich zulegen. Bei 16 Prozent steht sie in den Umfragen. Mindestens 25 müssten es sein, damit sie in einer Koalition tatsächlich wieder den Kanzler stellen könnte. In der Fraktion wissen sie, dass die Erreichung dieses Ziels unmittelbar mit der Person Scholz und seiner politischen Performance verbunden ist. Die Genossinnen und Genossen sind ohnehin höchst nervös, weil bei der nächsten Wahl 100 Mandate weniger zu verteilen sind. Scholz muss jetzt führen, am Freitag zeigt sich, ob ihm seine Leute noch zu folgen bereit sind.
Gleich zu Anfang, Sitzungsbeginn ist um 9 Uhr, entscheidet sich womöglich die politische Zukunft von Scholz und der Ampel-Regierung. Das Sicherheitspaket steht zur abschließenden Beratung auf der Tagesordnung, es geht dabei um ein Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems. Scholz hat sich für eine Verschärfung der Migrationspolitik eingesetzt, er reagiert damit auf den Druck der Opposition, die ihrerseits den Druck der öffentlichen Meinung weitergibt. Die Zahl der sogenannten irregulären Einreisen an den europäischen Außengrenzen ist zwar um 42 Prozent zurückgegangen, trotzdem wächst die Furcht vor einer Überforderung.
Wenn das Sicherheitspaket scheitert, würde auch die Ampel scheitern
Der Kanzler hat sich auf die Seite der Hardliner geschlagen, verprellt damit aber viele bei den Grünen und bei der eigenen SPD. Seinen Kritikern fehlt der humanitäre Ansatz im Sicherheitspaket, da geht es zum Beispiel um die Kürzung sozialer Leistungen auf „Brot, Bett und Seife“ für „vollziehbar ausreisepflichtige Flüchtlinge“. In der SPD-Fraktion hat er sich deswegen viel Kritik anhören müssen. Scholz soll Medienberichten zufolge damit gedroht haben, dass er „von seinen Möglichkeiten Gebrauch machen“ wolle. Eine davon ist die Vertrauensfrage, mit deren Hilfe er Neuwahlen herbeiführen könnte.
Die Abstimmung über das Sicherheitspaket könnte die Vertrauensfrage ersetzen: bekäme das Prestigeprojekt keine Mehrheit, wären Scholz und die Ampel vorzeitig am Ende angelangt. Andererseits kann sich die Regierungskoalition 48 Abweichler leisten und würde trotzdem noch die Mehrheit bekommen. Mit maximal zwei Dutzend Widersachern wird bei SPD und Grünen insgesamt gerechnet.
Scholz will erneut Kanzler werden – aber es bleibt eng für ihn
Scholz kann also wohl über den Freitag hinaus weitermachen. Doch das nächste Paket wartet bereits: Der Haushalt 2025 muss verabschiedet werden. Sollte das auch noch klappen, und danach sieht es derzeit aus, ist Scholz immer noch nicht aus dem Schneider.
Er selbst will zwar Spitzenkandidat werden. Aber ob die anderen ihn lassen, ist noch offen. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter etwa hat bereits Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) als Alternative ins Spiel gebracht und rückt davon nicht ab. „Mit Blick auf die Popularität von Boris Pistorius muss eine Partei aus meiner Sicht zumindest diskutieren, welcher Kandidat die beste Option ist“, bekräftigte er am Donnerstag im Gespräch mit unserer Redaktion.
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