Es ist genau 30 Jahre her, da wünschte der damalige Kanzler Helmut Kohl bei einer Begegnung von deutschen und französischen Jugendlichen seinen jungen Gästen „die Chance, ein ganzes Leben in Frieden und Freiheit zu leben“. Im Beisein des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand fuhr der CDU-Politiker fort: „Aber niemand soll sich täuschen: Die bösen Geister der Vergangenheit sind in Europa nicht für alle Zeiten gebannt.“
Seit Putin den russischen Angriffskrieg befahl, stellen sich neue Fragen
Ein böser Geist hat die europäische Sicherheitsarchitektur auf den Kopf gestellt. Seit Wladimir Putin den Angriff Russlands auf die Ukraine befahl, stellen sich viele neue Fragen. Antworten darauf zu finden, hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Ziel gesetzt. Sie richtet – in einem parlamentarisch bislang einmaligen Vorgang – eine Fraktions-Enquete zum Thema „Frieden und Sicherheit in Europa“ ein.
Enquete-Kommissionen (französisch „enquete“, also Befragung, Untersuchung) bereiten Entscheidungen zu wichtigen Themen vor. Üblicherweise werden sie vom Bundestag auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder eingesetzt, die Unionsfraktion macht es allein. Es sei dies eine noch nicht angewandte Methode, um übergreifende Themenfelder zu bearbeiten, erklärte Norbert Röttgen vor Journalisten in Berlin. Der CDU-Politiker wird der Fraktions-Enquete vorstehen, sein Stellvertreter ist der CSU-Abgeordnete Thomas Silberhorn. Beide Transatlantiker eint eine langjährige außenpolitische Expertise, elf weitere Abgeordnete werden sie begleiten. Hinzu kommen Expertinnen und Experten wie etwa Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität in München oder Haya Schulmann, Professorin für Cybersicherheit in Frankfurt am Main.
Komplexe Sicherheitsfrage: Was macht etwa Trump im Falle seiner Wahl?
Am 26. Juni geht es los, ein Jahr soll die Arbeit dauern, die Ergebnisse werden in einem Buch zusammengefasst. Die Themenfelder lassen erahnen, dass wohl ein großes Werk zu drucken ist. Der Ukraine-Krieg, China, Migration als Waffe, die hybride Bedrohung in Deutschland oder auch die Auswirkungen der Achse Nordkorea-China-Russland sind die großen Überschriften darin, die sich zu zahlreichen Unterkapiteln auffächern. Es geht um den Zivilschutz, es geht um die Frage, wie Europa ohne geopolitische Abhängigkeiten wachsen kann. Und um vieles, vieles mehr.
![Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen.](https://images.mgpd.de/img/102685649/crop/c1_1-w100/1631803048/2025074385/norbert-roettgen.jpg)
Denn die Sicherheitsfrage werde „nach dem Krieg eine andere sein als vor dem Krieg“, erklärte Röttgen. Was sich einfach anhört, ist in Wahrheit überaus komplex, da reicht schon der Blick über den Atlantik. In den USA ist eine erneute Wahl von Donald Trump zum Präsidenten nicht unwahrscheinlich. Macht der dann einen Ukraine-Deal mit Putin, lässt er die Europäer in Zukunft allein für ihre Sicherheit sorgen?
Putin könnte 2029 ein Nato-Land angreifen
Es sei nicht das Ziel, erklärte Röttgen, mit der Enquete-Arbeit Angst zu verbreiten. Eine Handlungsempfehlung soll entstehen, eine Art Leitfaden für die nächste Regierung. Wer auch immer sie führt – sie hat keine Zeit, sich erst mit dem Start der neuen Legislaturperiode Gedanken über Frieden und Sicherheit zu machen. Die Zahl ist mittlerweile anerkannt: 2029 wird Putin mithilfe Chinas und Nordkoreas so viel Munition und Kriegsgerät angehäuft haben, dass er ein Nato-Land angreifen könnte.
![Der CSU-Außenexperte Thomas Silberhorn, hier im Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Der CSU-Außenexperte Thomas Silberhorn, hier im Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU).](https://images.mgpd.de/img/102800608/crop/c1_1-w100/963969032/642060802/thomas-silberhorn-parlamentarischer-staatssekretaer-im-bundesverteidigungsministerium-und-ursula-von-der-leyen-cdu-ehemalige-bundesverteidigungsministerin-foto-joerg-carstensen.jpg)
Diplomatisch geschickt erklärte Röttgen, es sei nicht die Absicht der Fraktions-Enquete, „irgendeine Abrechnung mit der Regierung vorzunehmen“. Es wäre wohl die erste Opposition, die komplett darauf verzichten würde. Aber in der Tat ist der Eindruck da, dass es hier nicht um politische Scharmützel gehen soll. Die „überragende Fragestellung“, sagte Silberhorn, sei die der Sicherheit in Europa.