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Sharm el-Sheik: Macht eine Klimakonferenz überhaupt Sinn?

Sharm el-Sheik/Augsburg

Machen Klimakonferenzen überhaupt Sinn?

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    Klimaschützerin Luisa Neubauer: „Die Klimakonferenz kann im besten Fall einen kleinen Teil leisten.“
    Klimaschützerin Luisa Neubauer: „Die Klimakonferenz kann im besten Fall einen kleinen Teil leisten.“ Foto: Marcus Brandt

    Luisa Neubauer hastet durch Belgrad und ist dabei hörbar kurzatmig. Deutschlands führende Klimaaktivistin kommt gerade aus einem Revolutionszentrum, gleich folgt ein zweites Treffen. Dazwischen bedauert sie auf Twitter den Hirntod einer Berliner Radfahrerin, der in Zusammenhang mit Straßenblockaden der „Letzten Generation“ gebracht wird, soll dieses Telefoninterview hier geben, und ja, überhaupt, Belgrad, diese Reise.

    Fünf Tage ist Neubauer gerade mit einer kleinen Aktivistengruppe unterwegs, um an der UN-Klimakonferenz in Ägypten teilzunehmen. Berlin, Warschau, Budapest, Belgrad, Sofia, Istanbul, Sharm el-Sheik. Dreimal Zug, zweimal Bus, am Ende ein Flug, ihr erster seit vier Jahren, sagt sie. Die 26-Jährige hätte in fünf Stunden auch direkt von der Hauptstadt nach Ägypten schweben können. Aber sie habe gerechnet: halbe Flugzeit heißt halbe CO²- Emission. Deshalb also diese Odyssee. Nur: Ist sie das auch wert?

    Greta Thunberg hat abgesagt. Luisa Neubauer nicht. Aber sie hat mit sich gerungen

    Fast zwei Wochen lang werden sich geschätzt 30.000 Menschen, darunter gut 110 Staats- und Regierungschefs, in ein riesiges Kongresszentrum am Roten Meer drängen. Es ist der 27. Weltklimagipfel der Vereinten Nationen (UN), der 27. Anlauf, die Erde vor der Klimakatastrophe zu bewahren. Nur findet er diesmal ohne die weltbekannteste Erdbeschützerin statt. Greta Thunberg hat abgesagt. Das liegt zum einen an der politisch-repressiven Lage in Ägypten. Und zum anderen am Konzept des Gipfels an sich. Er sei „nicht wirklich dazu gedacht, das ganze System zu ändern“, sondern würde Machtmenschen vielmehr die Gelegenheit bieten, sich gegenseitig einen grünen Anstrich zu verleihen, sagte die Schwedin.

    Luisa Neubauer hat lange darüber nachgedacht. Am Ende ist sie dennoch in den Zug gestiegen. „Wenn wir in irgendeiner Weise dafür sorgen wollen, dass die primär vom Klimawandel betroffenen Regionen Gerechtigkeit erfahren, dann muss es irgendwo diese Besprechungsräume geben“, sagt sie. „Und aktuell ist der prominenteste und erfolgversprechendste Verhandlungsraum – so tragisch es ist – die Klimakonferenz.“

    Wie klimaverträglich ist eigentlich der Klimagipfel?

    Ernst Rauch sieht es ähnlich. Der Chefklimatologe der Rückversicherungs-Gesellschaft Munich Re war schon auf mehreren Klimakonferenzen. Egal ob Glasgow, Madrid oder Sharm el-Sheik, von seiner Umgebung sei man ohnehin abgeschirmt. Aber: „Die Klimakonferenzen sind die einzige Möglichkeit, sowohl Regierungen als auch andere Interessensvertreter zusammenzubringen, die dort eine Stimme haben. Das ist ein sehr demokratischer Prozess. Dafür gibt es kein anderes Forum.“ Nicht mal online, im pandemischen Zoom-Zeitalter, Herr Rauch? „Ein klares Nein. Im Verhandlungsprozess wird über jeden Punkt und jedes Komma lange diskutiert, weil viele NGOs sich immer wieder einbringen.“ Das sei virtuell nicht umsetzbar.

    Also steigt er bald in den Flieger nach Ägypten, genauso wie Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag, Außenministerin Annalena Baerbock, Entwicklungsministerin Svenja Schulze, Umweltministerin Steffi Lemke, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und als Robert-Habeck-Vertretung aus dem Klimaministerium Staatssekretär Stefan Wenzel. Alle zu unterschiedlichen Zeitfenstern. Und bei all der Fliegerei bleibt die Frage kleben: Wie klimaverträglich ist eigentlich der Klimagipfel?

    102.500 Tonnen CO2 stieß allein die letztjährige Konferenz in Glasgow aus, ein Großteil davon wegen Flugreisen. So viel emittieren 8800 Deutsche im gesamten Jahr. Die UN brüstet sich mit einem „klimaneutralen“ Gipfel, auch jetzt wieder in Sharm el-Sheik: grüner Strom, aufbereitetes Wasser, Papier statt Plastik. Die Gäste sollen in 260 elektrisch oder gasbetriebenen Bussen vom Airport abgeholt – und alle CO2-Ausstöße kompensiert werden. Auch die Bundesregierung gleicht ihre Emissionen bei Dienstreisen seit 2014 aus.

    „Das ist ein Hilfsinstrument, ein statistisches Konstrukt“, sagt Klimatologe Rauch. „Man entschärft das Problem, das man generiert hat, nur an einer anderen Stelle. Perfekt ist das nicht.“ Perfekter wäre zu fragen: Wie bekommen wir die Treibhausgase aus der Atmosphäre. Und dafür wiederum gibt es den Weltklimagipfel. Oder?

    Die Ziele sind klar. Aber um die Maßnahmen wird noch gerungen

    Zwei wegweisende Vereinbarungen sind aus den 27 Konferenzen bisher hervorgegangen: das Kyoto-Protokoll, in dem sich Industrienationen auf die Reduktion ihrer ausgestoßenen Treibhausgase verständigten. Und das Übereinkommen von Paris 2015, nach dem die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden soll.

    Das sind die Ziele. Um die Maßnahmen wird gerungen. Jahr für Jahr. Ein Beispiel: Beim Gipfel 2013 in Warschau wurde erstmals über einen Mechanismus namens „Loss and Damage“ gesprochen. Die Idee: Reiche Industriestaaten sollen Haftung für die Klimaschäden übernehmen, die sie in Schwellenländern verursacht haben. Eine Einigung ist auch neun Jahre später nicht in Sicht. Jetzt veröffentlichte die UN einen neuen Bericht. Der Subtext: Mit den aktuellen Maßnahmen kann das 1,5-Grad-Ziel nicht erreicht werden.

    Ernst Rauch sagt: „Es ist nicht zu erwarten, dass das, was an Emissionsreduktion notwendig ist, auf dem Gipfel erreicht wird. Für einen Durchbruch fehlen mir die Signale.“ Luisa Neubauer sagt: „Die Klimakonferenz kann im besten Fall einen kleinen Teil leisten. Der Großteil der Arbeit wird vor Ort gemacht, von den Menschen.“ Dennoch werden beide hinfahren, hinfliegen, wie auch immer. 2023 findet die Klimakonferenz in Dubai statt. Dann soll ein erstes Fazit zum Pariser Abkommen gezogen werden. Es sieht nicht gut aus.

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