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Sexueller Missbrauch: Missbrauchsbeauftragte: "Skandal, dass immer noch keine verlässlichen Zahlen vorliegen"

Sexueller Missbrauch

Missbrauchsbeauftragte: "Skandal, dass immer noch keine verlässlichen Zahlen vorliegen"

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    Kerstin Claus während ihrer Antrittspressekonferenz am Dienstagvormittag.
    Kerstin Claus während ihrer Antrittspressekonferenz am Dienstagvormittag. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Kerstin Claus, die neue Unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, hat dem Staat ein Versagen im Umgang mit der Missbrauchsproblematik attestiert. Vor Journalistinnen und Journalisten sagte sie am Dienstag in ihrer Antrittspressekonferenz in Berlin mit Blick auf den Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien: In der staatlichen Verantwortungsübernahme für dieses Thema sehe sie ein wichtiges Signal, aber auch ein Eingeständnis – „ein Eingeständnis dafür, dass das Wächteramt des Staates versagt hat. Kinder und Jugendliche wurden nicht geschützt, sie waren sexualisierter Gewalt ausgesetzt.“

    Im Koalitionsvertrag heißt es, die Aufarbeitung struktureller sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Sportvereinen oder Kirchen solle begleitet und aktiv gefördert werden – „wenn erforderlich“ würden „gesetzliche Grundlagen“ geschaffen. Für sie seien das essenzielle Punkte, sagte Claus, „denn Aufarbeitung verschafft heute Sichtbarkeit für vielfältigste sexualisierte Gewalt in der Vergangenheit, die bisher unsichtbar geblieben ist, weil vertuscht, verschwiegen oder beschwiegen wurde – in Familien, in Institutionen.“

    Kerstin Claus schlägt "Kompetenzzentrum Forschung" vor

    Es sei ein Skandal, so Claus, dass im Jahr 2022 noch immer keine verlässlichen Zahlen zum Ausmaß sexualisierter Gewalt vorlägen – und das, obwohl vorliegende Zahlen zum sogenannten Hellfeld nur einen Bruchteil der tatsächlichen Zahlen darstellten. „Wir brauchen Forschung“, forderte Claus daher. Wie sonst könne bemessen werden, ob Aufklärungskampagnen wirkten, ob mehr Fälle gemeldet oder mehr Taten strafrechtlich verfolgt würden, fragte sie.

    Claus schlug ein „Kompetenzzentrum Forschung“ vor, das eine systematische Datenerhebung gewährleisten solle – als Grundlage für ein fortzuschreibendes Lagebild. „Politik braucht Zahlen.“ Wenn bestimmte Ziele auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene verfolgt werden sollen, seien sie Voraussetzung für den Einsatz von Ressourcen für Maßnahmen und Hilfen.

    Zuvor betonte Claus die gesellschaftliche Verantwortung auch für erwachsen gewordene Betroffene. „Traumatherapie ist ein wesentlicher Baustein, und das über die gesamte Lebensspanne hinweg, wann immer erforderlich“, sagte sie – und wies auf die langen Wartezeiten für Psychotherapieplätze hin. Schon vor der Corona-Pandemie hätten diese etwa für Kinder und Jugendliche bei 19 Wochen gelegen; die Situation habe sich weiter verschärft.

    Kerstin Claus hat einiges zu tun – und schon konkrete Ideen

    Claus, selbst Missbrauchsbetroffene, war Ende März auf fünf Jahre in ihr Amt berufen worden. Noch dieses Jahr wolle sie verstärkt den Dialog mit Ländern und Kommunen suchen, kündigte sie an. Zudem arbeite sie an einer Vernetzung Betroffener in Form einer Nichtregierungsorganisation.

    Die Debatte um eine staatlich eingesetzte Aufarbeitungskommission mit weitreichenden Rechten, oft diskutiert unter dem Stichwort „Wahrheitskommission“, nannte sie wichtig. In einem ersten Schritt müsse man zunächst aber eine gesetzliche Grundlage für Aufarbeitung schaffen, sagte Claus. Parallel sollten Institutionen wie die Kirchen den Weg der Selbstverpflichtungserklärungen gehen.

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