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Selbstfahrendes Auto: Wenn ein Weihbischof im Auto das Lenkrad loslässt

Selbstfahrendes Auto

Wenn ein Weihbischof im Auto das Lenkrad loslässt

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    In nicht allzu ferner Zukunft könnte der Computer das Fahren übernehmen – und der „Autofahrer“ zum Beispiel ein Buch lesen.
    In nicht allzu ferner Zukunft könnte der Computer das Fahren übernehmen – und der „Autofahrer“ zum Beispiel ein Buch lesen. Foto: Daniel Naupold, dpa

    Herr Weihbischof, Sie sind bekannt dafür, dass Sie gerne und durchaus auch mal zügig Auto fahren.

    Anton Losinger: Ich komme leider selten zum Selberfahren. Für viele Menschen und auch für mich bedeutet es aber durchaus Lebensfreude, wenn sie mit einem schönen Auto fahren dürfen.

    Aber?

    Losinger: Damit geht auch eine große Verantwortung einher.

    Sie sind kürzlich mit einem selbstfahrenden Audi auf der Autobahn 9 in Richtung Nürnberg unterwegs gewesen. War das eine Freude für Sie?

    Losinger: Ich hatte zwei Gefühle: Ich war wirklich erstaunt und überrascht über das, was technisch bereits möglich ist. Zugleich machte es mich nachdenklich. Ich fragte mich: Was wird die Zukunft schon sehr bald alles bringen? Wird es den im Wortsinne gesteuerten Menschen geben?

    Sie sind also in den Prototypen des selbstfahrenden Autos eingestiegen...

    Losinger: Ja, und bin dann in Begleitung von zwei Technikern zunächst selbst zur Autobahnauffahrt gefahren. Auf dem Lenkrad sind zwei blaue Knöpfe. Als ich die Autobahn erreicht hatte, meldete sich das System und bot an, jetzt zu übernehmen. Dann ein Druck auf die Knöpfe: Das Lenkrad fährt zurück. Das Auto fährt selber. Ich hätte aber jederzeit wieder übernehmen können.

    Wie schnell waren Sie unterwegs?

    Losinger: Das Auto orientiert sich an der Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern.

    Haben Sie während der Fahrt gelesen?

    Losinger: Das hätte ich können.

    Hätten Sie es sich denn getraut?

    Losinger: Ja. Wenn man sieht, auf welch souveräne Weise sich das Auto durch den Verkehr bewegt, kann man durchaus Vertrauen in die Technik fassen. Einmal setzte das Auto zum Überholen an, blinkte und wollte ausscheren. Plötzlich merkte es, dass von hinten auf der Überholspur ein sehr schnelles Fahrzeug kam. Es blinkte also selbstständig wieder rechts und ließ das andere Auto vorbei. Danach blinkte es links und setzte den Überholvorgang fort.

    Die Technik ist Ihrer Ansicht nach schon ziemlich ausgereift?

    Losinger: Es ist faszinierend und macht nachdenklich zugleich. Ich denke jedenfalls: Der Straßenverkehr kann mithilfe der Digitalisierung in weiten Bereichen verbessert, entlastet und sicherer gemacht werden.

    Weil die Technik den Verkehr von der emotionalen auf eine sachliche Ebene bringt?

    Losinger: Richtig. Wir sind ja schon mitten in diesem Prozess. Wer von uns fährt heutzutage denn noch gerne ohne ein digitales ABS-Bremssystem in seinem Auto? Oder denken Sie an die schweren Auffahrunfälle an Stau-Enden auf Autobahnen, an denen Lkws beteiligt sind – die könnten durch eine digitale, vernetzte Steuerung von Lkws verhindert werden. Der entscheidende Faktor, der zu den meisten Verletzungen oder Tötungen im Straßenverkehr führt, ist statistisch nachweislich menschliches Versagen.

    Sie sind von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in eine Ethik-Kommission berufen worden, die sich mit den moralischen Problemen des autonomen Fahrens befasst.

    Losinger: Und man muss sich klarmachen: Auch das autonome Fahren wird nicht verhindern können, dass es zu Unglücken kommt. Technik ist anfällig für Fehler und wird es immer sein. Man muss nur die ADAC-Mängelliste durchlesen, um zu bemerken, dass die Autoelektronik-Fehler oft diejenigen Fehler sind, die überwiegen. Eine fehlerfreie Technik gibt es genauso wenig wie einen von Sünde freien Menschen. Damit entstehen entscheidende ethische Verantwortungsfragen.

    Zum Beispiel die Frage: Wer wird schuld sein, wer wird zur Verantwortung gezogen werden, wenn es zu einem Unfall mit einem selbstfahrenden Auto kommt?

    Losinger: Das ist eine hoch spannende Frage. Was ist, wenn eine Oma mit ihrer Krücke über den Gehsteig läuft und auf der anderen Straßenseite eine junge Mutter mit ihrem Kind – wie soll sich das Auto entscheiden, wenn es ein Ausweichmanöver starten muss?

    Soll es eine Gefährdung des Autofahrers, der Oma oder der Mutter mit Kind in Kauf nehmen?

    Losinger: Genau. Wie soll es für solche Dilemma-Situationen programmiert werden? Hier sagen wir als Mitglieder der Ethik-Kommission grundsätzlich: Sachschaden geht immer vor Personenschaden. Und es dürfen in tragischen Konflikt-Fällen wie dem genannten niemals Menschen aufgrund ihrer persönlichen Merkmale bewertet und gegeneinander aufgewogen werden.

    Technisch wäre es gewiss kein Problem, dass das Auto Oma und Mutter mit Kind „erkennt“ und seine Entscheidung zum Beispiel nach den Merkmalen „Alter“ oder „Anzahl möglicher Unfallopfer“ trifft. Sollte so etwas verboten werden?

    Losinger: Ein klares Indiz findet sich hier bereits in Artikel 1 unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Eine Programmierung, die Menschen gezielt nach persönlichen Merkmalen für eine Tötung auswählt, darf es nicht geben. Wer Menschen in ihrer Würde und in ihrem Lebensrecht nach Merkmalen oder Zahl bewertet, gerät in eine Falle und in eine Endlosschleife, aus der man nicht mehr herauskommt. Ich glaube aber gar nicht, dass heute ein digitales System – ebenso wie ein selbstfahrender Mensch – in Sekundenbruchteilen genau identifizieren könnte, was in einer solchen Dilemma-Situation vor sich geht und dann in Sekundenbruchteilen handeln könnte.

    Bleibt die Frage: Wer trägt bei einem Unfall mit einem selbstfahrenden Auto die Verantwortung?

    Losinger: Es müsste geklärt werden: Wer ist gefahren? War es der Mensch? War es das digitale System? Und was war der Fehler? Wenn es das System war, müsste das nachgewiesen werden. Wir werden also eine umfassende Datenaufzeichnung, Blackboxes, in selbstfahrenden Autos brauchen, die sämtliche Daten aufzeichnen. Die Daten müssten dann wohl in einer Cloud im Internet auflaufen, um sie mit den Daten anderer Autos abgleichen zu können. Damit hätten wir aber ein neues Problem: Autofahrer würden gläsern, da sie zahllose Datenspuren hinterließen. Ganz abgesehen davon, dass Daten – die heute ja bereits in vielen Lebensbereichen erfasst werden – nicht vor Hackerangriffen sicher wären.

    Wie wollen Sie also das Problem der Schuldfrage lösen?

    Losinger: Ich meine, wir werden letztlich zu einer Art allgemeinen Haftpflichtversicherung kommen müssen – für alle, die am autonomen, vernetzten Fahren beteiligt sind.

    Das heißt im Klartext: Egal, wer den Unfall verursachte, die Versicherung wird für den Schaden aufkommen.

    Losinger: Der Schaden muss abgegolten werden, das ist Teil unserer Rechtsordnung. Wenn man nach dem Verursacher fragt, wird der Sachverhalt sehr komplex. Ist der Fahrer schuld? Der Käufer? Der Autoproduzent? Der Programmierer? Oder ein simpler Elektronikfehler? Um hier nicht in eine endlose Debatte zu geraten, muss wohl ein allgemeines Haftpflichtsystem angedacht werden.

    Wird sich das autonome Fahren überhaupt durchsetzen?

    Losinger: Nicht, wenn man den Menschen das Gefühl gibt, dass man ihnen Freiheit oder die berühmte Freude am Fahren wegnehmen will. Auf der anderen Seite kann ein solches System Belastung und Stress im Verkehr abnehmen und Sicherheit erhöhen. Aber es wird wohl ohnehin noch einige Zeit ins Land gehen, bis Autos nicht nur auf Autobahnen, sondern auch im Stadtverkehr voll autonom fahren können, und bis die Technik Serienreife erlangt. Ich bin übrigens der Meinung: Man darf die Digitalisierung, von der das autonome Fahren ein Teil ist, unter keinen Umständen Juristen und Technikern überlassen. Ethische Leitplanken sind fundamental notwendig, sonst landet man in Teufels Küche.

    Interview: Daniel Wirsching und Josef Karg

    Zur Person: Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger, 59, ist der einzige Theologe in der neuen Verkehrsethik-Kommission der Bundesregierung. Das Gremium unter Leitung des früheren Bundesverfassungsrichters Udo Di Fabio wurde von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) eingesetzt, am 10. Oktober traf es sich zum ersten Mal. In die Kommission wurden 14 Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft berufen. Sie sollen ethische Dimensionen bei der Zulassung selbstfahrender Autos ausloten und Leitlinien erarbeiten.

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