Im Irak brennt die schwedische Botschaft, im Iran gehen erzürnte Demonstranten auf die Straße, in Saudi-Arabien betont der Außenminister, dass er die Gefühle von Millionen von Muslimen auf der ganzen Welt verletzt sieht. Der pakistanische Premierminister Shehbaz Sharif spricht von einer „finsteren, abscheulichen und verabscheuungswürdigen Agenda“. Die islamische Welt ist in Aufruhr, seit in Schweden zum wiederholten Mal der Koran verunglimpft wurde. Ausgelöst wurde die Empörung von Salwan Momika. Der Exil-Iraker spielte am Donnerstag vor der irakischen Botschaft in Stockholm mit dem heiligen Buch der Muslime Fußball und trampelte darauf herum. Es war nicht das erste Mal. Schon Ende Juni brachte er viele Muslime gegen sich auf, als er einen Koran verbrannte. Doch was steckt hinter den Aktionen? Und warum finden sie ausgerechnet in Schweden statt?
Eine liberale Gesetzgebung schützt den Provokateur. Die schwedische Polizei hatte die Versammlung in Stockholm explizit genehmigt. Verbrannt wurde die heilige Schrift des Islam bei der Aktion in dieser Woche letztlich nicht: Momika, selbst Christ, trampelte zwar auf einem Exemplar des Buches herum und versuchte mit einem Mitstreiter auch, es anzustecken. Das Feuer entzündete sich aber nicht richtig. Einige Buchseiten wiesen Bildern zufolge aber kleine Brandspuren auf. In Schweden ist die Meinungsfreiheit sehr weit gefasst, der Staat gilt als Musterland der Redefreiheit, die Politik kann einzelne Taten deshalb nicht verhindern – verurteilt sie aber öffentlich als „islamfeindlich“. Zudem versucht die Justiz, den Exil-Iraker wegen Verstoßes gegen ein Feuerverbot zu bestrafen. Kritik an Religionen ist in Schweden von der Meinungsfreiheit gedeckt. Inwieweit das Anzünden des Korans als Volksverhetzung betrachtet werden kann, ist in dem skandinavischen EU-Land bislang aber noch nie von einem Gericht geprüft worden. Die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit ist auch in Deutschland ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht, allein das Verbrennen eines heiligen Buches wäre nicht strafbar.
Was ist das Ziel der antimuslimischen Aktivisten?
Momika begründet seine Taten mit Kritik am Islamischen Staat und an Muslimen im Allgemeinen. Er wolle die Schweden „wachrütteln“, Muslime würden ihre Gesetze dem skandinavischen Königreich aufzwingen. Und doch dürfte die Schändung des Korans in Schweden nicht nur ein Signal für die Meinungsfreiheit gewesen sein, sondern ein bewusster politischer Akt. Das skandinavische Land ist gerade dabei, seinen Beitritt in die Nato vorzubereiten. Ob das gelingt, hängt unter anderem am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Zwar hat der bereits eine Ratifizierung des Beitritts zugesagt, umgesetzt werden soll dies jedoch erst im Oktober. In der Türkei werden deshalb die Vorkommnisse in Stockholm genau beobachtet. Das Außenministerium schrieb am Donnerstagabend, man erwarte von Schweden, „dass es im Einklang mit seiner internationalen Verantwortung“ abschreckende Maßnahmen ergreife, „um dieses Hassverbrechen gegen die Religion des Islam und seine Milliarden von Gläubigen zu verhindern“.
Profitieren würde von einem Stimmungswechsel in Ankara die Führung in Moskau, die verhindern will, dass mit Schweden ein bislang unabhängiger Staat in die Nato strebt. Und Hinweise auf einen russischen Einfluss auf die Aktion gibt es durchaus. Zu den Hintermännern der Koran-Verbrennung gehört neben Momika auch der dänische Politiker Rasmus Paludan. Beide haben Verbindungen zu einem Mann namens Chang Frick. Der 39-Jährige mit osteuropäischen Wurzeln ist Chefredakteur von Nyheter Idag („Die Nachrichten des Tages“), einer Internetzeitung, die der rechten Partei „Schwedendemokraten“ nahesteht. Aber auch zu Russland zeigt er eine persönliche und politische Nähe. So trat Frick, der mit einer Russin verheiratet ist, schon mit Putin-Shirt auf und kokettiert gerne mit seinen entsprechenden Kontakten. Den Vorwurf, ein russischer Agent zu sein, wies er gegenüber der Zeitung Expressen zurück. Schon im Januar hatte Paludan bei einer Demonstration in Stockholm einen Koran verbrannt. Paludan ist Chef der rechtsradikalen dänischen Partei „Strammer Kurs“. Die schwedische Organisation „Paliscope“, die sich mit digitaler Kriminalität befasst, hat Kontakte zu Wagner-Soldaten auf der russischen Facebook-Alternative „vt.com“ nachgewiesen.
Rechtsruck in Schweden
Schweden, dem oft ein Bullerbü-Image angedichtet wird, erlebt einen deutlichen Rechtsruck. Bei der Parlamentswahl 2022 wurden die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) mit über 20 Prozent der Stimmen erstmals zweitstärkste Kraft hinter den abgelösten Sozialdemokraten. Die Partei hat Wurzeln in der Neonazi-Szene der 90er Jahre. Zudem hat Schweden ein großes Problem mit organisierter Bandenkriminalität. 2022 gab es fast 400 Schusswaffenvorfälle, 62 Menschen wurden dabei getötet, so viele wie noch nie in einem Jahr. Es geht in erster Linie um die Markthoheit im Drogengeschäft. Und immer wieder sind junge Einwanderer involviert.