Mit einem Interview in der Zeitung Times of India hatte Olaf Scholz seinen Staatsbesuch atmosphärisch gut vorbereitet. Er sei dankbar, in Indien zu sein, und freue sich, Premierminister Narendra Modi wiederzusehen, erklärte der SPD-Politiker. Drei Mal sind sich die beiden Politiker bereits begegnet. Sein Besuch in Neu-Delhi war nicht nur das vierte Aufeinandertreffen – Scholz begegnete sich auch ständig selbst: Dutzende Plakate mit seinem Konterfei säumten die Straßen und hießen den Staatsgast willkommen.
Den Einwohnerinnen und Einwohnern von Neu-Delhi, wo Scholz nach durchflogener Nacht am Samstagmorgen Ortszeit mit der Regierungsmaschine landete, bescherte der Staatsbesuch lange Staus. Zahlreiche Straßen waren komplett gesperrt, um der Kolonne des Kanzlers freie Fahrt zu garantieren. Bewaffnete Sicherheitskräfte blockierten Ausfahrten von Häusern, ein in Deutschland kaum vorstellbarer Vorgang.
Staatsbesuch von Scholz: Harmonie zwischen Indien und Deutschland
Der Ton zwischen den beiden Politikerin ist herzhaft, man lacht viel, Modi nennt Scholz „meinen Freund“. Der Premierminister ist den Deutschen aber vor allem als ernsthafter Gesprächspartner bekannt. Er gilt als einer, der genau zuhört und zu seinem Wort steht. In diesen unruhigen Zeiten kommt es darauf gerade besonders an.
Der Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen sind bei der zweitägigen Indienreise des deutschen Regierungschefs allgegenwärtig. Indien hat sich in der UN-Vollversammlung bei der Abstimmung über eine Resolution zum Rückzug Russlands der Stimme enthalten. Das Land verhält sich seit dem Einmarsch der Russen neutral, die Enthaltung war nicht anders erwartet worden. Scholz kann das nicht kritisieren, er würde damit die Bemühungen unterlaufen, Indien in der Russland-Frage auf die Seite Deutschlands zu ziehen. Der Kanzler bleibt deshalb diplomatisch. Das Vorgehen der Russen werde auch von den Ländern als Angriffskrieg bezeichnet, die sich in New York der Stimme enthalten hätten, stellt er fest. Tatsächlich spricht Modi bei einem gemeinsamen Pressestatement in der englischen Übersetzung von „Krieg“.
Rüstungsexporte: Indien wünscht sich U-Boote
Diplomatisch geschickt agiert Scholz auch beim Thema Rüstungsexporte. Indische Medien berichten von sechs U-Booten, die das Land kaufen möchte. Ein Stückpreis von einer Milliarde Euro wird kolportiert. ThyssenKrupp Marine Systems käme dafür in Frage, der Konzern ist in der Wirtschaftsdelegation vertreten, die Scholz begleitet. Doch noch stehen viele Fragezeichen hinter dem Deal, unterzeichnet wird in Neu-Delhi nichts. Die Inder wollen dem Vernehmen nach erreichen, dass die U-Boote in ihrem Land gebaut werden. Das könnte schwierig werden, und dann ist da auch noch die Koalition in Berlin. Die Grünen stehen Rüstungsexporten an Drittstaaten mindestens skeptisch gegenüber. Neue Richtlinien soll es geben, sie hätten eigentlich schon auf dem Kabinettstisch liegen sollen, doch die Sache kommt nicht so recht voran.
Scholz bestätigt die U-Boot-Frage indirekt, erklärt, man habe „über die Sicherheitszusammenarbeit“ gesprochen und „auch über konkrete Dinge geredet“. Ob es am Ende tatsächlich einen Vertrag über die Tauchboote geben wird, bleibt abzuwarten. Dem indischen Wunsch nach Rüstungsexporten wird sich der Kanzler kaum verschließen. Noch bezieht Indien den größten Teil seiner Waffen von Russland. Wenn Berlin möchte, dass sich das ändert, muss es Alternativen anbieten.
Kanzler Scholz ist auf Socken unterwegs
Über die politisch schwierigen Fragen hinaus wird die Routine abgearbeitet. Der Fachkräfteaustausch spielt eine Rolle, es gibt ein deutsch-indisches Migrations- und Mobilitätsabkommen. In Bangalore, der zweiten Station seiner Reise am Sonntag, trifft Scholz drei Fachkräfte, die bald nach Deutschland ausreisen. Sie werden dort auf mehr als 200.000 indische Staatsangehörige treffen, die bereits im Land sind. Bei SAP Labs India lobt Scholz später die High-Tech-Kompetenz des Landes. „Deshalb ist eine gute wirtschaftliche Zusammenarbeit wichtig für Deutschland“, sagt der SPD-Politiker.
Der Terminplan von Scholz und seiner Delegation ist eng getaktet. Zwischen den Gesprächen geht es in Neu-Delhi mit Blaulicht etwa zur Gedenkstätte Mahatma Gandhis, die nur barfuß oder auf Socken betreten werden darf. Scholz wählt die Socken, legt einen Kranz nieder. Schnellen Schrittes geht es bei 30 Grad durch das Mausoleum des Humayun, ein Touristenmagnet, der für seinen Besuch komplett gesperrt wird. In Bangalore besucht der Kanzler die Damenmannschaft der Royal Challengers, Kricket steht auf dem Plan, die mit Abstand beliebteste Sportart des Landes. Auf zwei Dinge sind die Gastgeber besonders stolz: Bei den Profis werden Männer wie Frauen gleich (gut) bezahlt, das Stadion ist solarbetrieben.
Bei der Abreise sieht Scholz sich wieder ständig selbst. Fleißige Hände haben in der Zwischenzeit die Plakate an den Straßenrändern so umgedreht, dass sie auch auf der Rückfahrt sichtbar sind. Sobald die Regierungsmaschine durchstartet, werden sie umgehend abgehängt und durch Bilder des nächsten Gastes ersetzt: Der dänische Kronprinz Frederik hat sich angekündigt.