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Scholz & Melnyk: Im Krieg ist kein Platz für verletzte Eitelkeiten

Kommentar

Scholz und der Botschafter: Im Krieg ist kein Platz für verletzte Eitelkeiten

Michael Stifter
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    Bundeskanzler Olaf Scholz will vorerst nicht nach Kiew reisen.
    Bundeskanzler Olaf Scholz will vorerst nicht nach Kiew reisen. Foto: Lisi Niesner, dpa

    Während Tag für Tag Soldaten sterben und Zivilisten, Frauen, Kinder, Alte teils bestialisch getötet werden, pikiert sich der Kanzler noch immer darüber, dass die Ukraine vor Wochen einen Besuch des Bundespräsidenten abgelehnt hat. Und der ukrainische Botschafter, der jegliche Diplomatie in den Wind geschlagen hat, verunglimpft ihn dafür als „beleidigte Leberwurst“.

    Einen schlechteren Zeitpunkt für derartige Nebengefechte hätten sich die beiden Herren kaum aussuchen können. Ein Krieg lässt keine Zeit für verletzte Eitelkeiten.

    Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk vergreift sich im Ton

    Dass Politprofis wie Olaf Scholz und Andrij Melnyk so unsouverän agieren, zeigt in erster Linie, wie blank die Nerven nach mehr als zwei Monaten des Sterbens liegen. Wie groß die Angst vor dem ist, was als Nächstes passieren könnte. Und wie unterschiedlich der Blick auf die Dinge manchmal ist.

    Melnyk kämpft um das blanke Überleben seiner Landsleute. Da zählt jede Hilfe, jeder Tag, jede Stunde. Scholz muss bei allem, was er tut, die möglichen Risiken durchdenken. Das braucht manchmal Zeit. Zeit, die den Menschen im Stahlwerk von Mariupol und anderen geschundenen Orten davonläuft.

    Bundeskanzler Olaf Scholz agiert wie ein gestrenger Lehrer

    Umso wichtiger wäre es, dass sich die Partner in die Lage ihres Gegenübers hineinversetzen. Selbstverständlich war es eine völlig unnötige Provokation, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier quasi zur unerwünschten Person in Kiew zu erklären. Und natürlich muss man klarstellen, dass Verbündete – und das sind Deutschland und die Ukraine doch ohne jeden Zweifel – anders miteinander umgehen sollten. Die Attitüde eines gestrengen Oberlehrers, mit der Scholz diesen Affront nun in einem Fernsehinterview noch einmal aufgewärmt hat, passt aber eben auch nicht zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe.

    Der Kanzler will erst dann in die Ukraine reisen, wenn die Führung in Kiew sich in seinen Augen angemessen verhält. Das muss für eine Nation, die schuldlos in einen grausamen Krieg gezwungen wurde und deren schiere Existenz bedroht ist, geradezu kleingeistig wirken.

    Es ist im Interesse aller Europäer, Wladimir Putin aufzuhalten

    Wenn sich Deutschland an der Seite der Ukraine Putins Großmachtsfantasien entgegenstellt, ist das doch keine großzügige Geste, für die man Dankbarkeit erwarten darf. Es geht in diesem Krieg schließlich auch darum, die Freiheit und die Sicherheit in ganz Europa zu verteidigen. Gerade deshalb dürfen sich die Verbündeten nicht mit Befindlichkeiten aufhalten. Der Anspruch von Politik muss mehr denn je sein, Türen offenzuhalten, anstatt sie dem anderen vor der Nase zuzuschlagen. Das sollte auch endlich dem ukrainischen Botschafter bewusst werden. Mit seiner brachialen und oft anmaßenden Rhetorik macht er es dem Kanzler immer schwerer, den Eklat um Steinmeier abzuhaken und nach vorne zu schauen.

    Bisweilen entsteht der Eindruck, Melnyk lauere geradezu darauf, die Bundesregierung bloßzustellen und auflaufen zu lassen. Damit produziert er zuverlässig Schlagzeilen. Das bringt Aufmerksamkeit, nur was bringt es für sein Land? Auch Oppositionsführer Friedrich Merz muss sich im Übrigen die Frage gefallen lassen, was er mit seiner Reise nach Kiew eigentlich bezweckt hat – außer den zögernden Bundeskanzler zu düpieren.

    Der Krieg in der Ukraine ist kein normales Politikfeld

    Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto mehr verkommt er zu einem scheinbar normalen Politikfeld, auf dem die Akteure taktieren und versuchen, sich auf Kosten anderer zu profilieren. Wie soll man das bloß den Menschen in der Ukraine erklären, für die es buchstäblich um ihr Leben geht? Zumal es für alle demokratischen Kräfte doch ohnehin nur ein gemeinsames Ziel geben kann: das Ende des sinnlosen Sterbens.

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