Nach langem Zögern sowie Kritik und Druck von außen ist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun in die Ukraine gereist. Gemeinsam mit Italiens Regierungschef Mario Draghi und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist Scholz an diesem Donnerstag mit einem Sonderzug in der ukrainische Hauptstadt Kiew eingetroffen. In Kiew ist auch der rumänische Präsident Klaus Iohannis zu den Politikern dazugestoßen. Die vier Staats- und Regierungschefs sind mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Gesprächen zusammengekommen.
Kurz nach der Ankunft wurde in der ukrainischen Stadt Luftalarm ausgelöst. Das bestätigte ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vor Ort. Der Alarm dauerte demnach etwa eine halbe Stunde an und ist mittlerweile aufgehoben. Die Luftalarm-Sirenen tönten auch in zahlreichen weiteren Landesteilen der Ukraine.
Nach einem kurzen Zwischenstopp im Hotel haben Scholz und seine Begleiter zudem das ukrainische Irpin besucht, ein teils zerstörter Kiewer Vorort und Nachbarort des für russische Gräueltaten bekannt gewordenen Ortes Butscha. In Irpin wurden nach dem Rückzug der Russen Ende März knapp 300 teils hingerichtete Zivilisten gefunden. Macron soll laut Medienberichten bei dem Besuch gesagt haben: Dort seien "Massaker und Kriegsverbrechen" begangen worden. "Es ist eine heroische Stadt, gezeichnet von den Stigmata der Barbarei."
Scholz in Kiew: "Nicht nur Solidarität demonstrieren"
Scholz sagte im Zug auf dem Weg nach Kiew: "Es ist wichtig, wenn die Regierungschefs der drei großen Länder, die schon bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dabei waren, nach Kiew fahren und in dieser ganz besonderen Situation des Krieges ihre Unterstützung für die Ukraine den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine zeigen. Wir wollen aber nicht nur Solidarität demonstrieren, sondern versichern, dass die Hilfe, die wir organisieren, finanziell humanitär, aber auch wenn es um Waffen geht, fortgesetzt werden wird." Man werde die Hilfen so lange fortsetzen, wie es nötig für den Unabhängigkeitskampf der Ukraine nötig sei, so Scholz. Gleichzeitig werde man noch einmal klarstellen, dass die verhängten Sanktionen gegen Russland von großer Bedeutung seien. "Denn sie tragen dazu bei, dass die Chance besteht, dass Russland sein Vorhaben aufgibt und seine Truppen wieder zurückzieht. Denn das ist ja das Ziel", unterstrich Scholz.
Scholz, Macron, Draghi: Auch möglicher EU-Beitritt der Ukraine wird besprochen
In der Nacht hatten sich Scholz, Macron und Draghi in der polnischen Stadt Rzeszow getroffen, um die Reise nach Kiew anzutreten. Der Besuch der drei Regierungschefs soll ein politisches Zeichen der Unterstützung für die Ukraine sein. Scholz hatte vor der Reise gesagt, er würde nur nach Kiew fahren, wenn konkrete Dinge zu besprechen wären. Bei den Gesprächen mit der ukrainischen Staatsführung soll um den Kriegsverlauf, einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine und weitere Hilfen für das Land gehen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Scholz schon vor Wochen eingeladen. Doch zuerst gab es Verstimmungen, weil die Ukraine einen Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kurzfristig abgesagt hatte.
Bereits Anfang der Woche war bekannt geworden, dass es Pläne für den Besuch in der Ukraine gibt. Diese wurden offiziell jedoch nicht bestätigt – vermutlich aus Sicherheitsgründen. Über die gemeinsame Reise sollen die drei Regierungschefs bereits seit mehreren Wochen verhandelt haben.
Bürgermeister Klitschko: "Glücklich und stolz"
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko äußerte sich erfreut über Scholz' Besuch: "Ich bin als Bürgermeister glücklich und stolz, dass der deutsche Bundeskanzler zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten und dem italienischen Regierungschef unsere Stadt besucht", sagte Klitschko am Donnerstag der Bild. Das sei ein Zeichen großer Unterstützung in einer Zeit, in der es immer noch ein Risiko sei, Kiew zu besuchen.