Wer in Deutschland den Bau eines Windrades beantragen will, muss sich dafür in der Regel einen Kleintransporter mieten. Der baden-württembergische Energieversorger EnBW veröffentlichte vergangenes Jahr ein Foto seines Antrags für den Bau dreier Windanlagen: Eine 4,8 Meter lange Reihe aus 60 Leitzordnern mit insgesamt 36.000 Blatt Papier und acht digital gebrannten DVDs. Insgesamt 22.000 Euro kostete das in 15 Umzugskisten verpackte Antragspaket inklusive aller vorschriftsgemäß 15-mal kopierten Genehmigungsunterlagen den Konzern.
Bund und Länder machen 28 Seiten Vorschläge für Bürokratieabbau
Anfang der Neunzigerjahre reichte für den Antrag eines Windrades noch ein 20 Seiten dünner Schnellhefter. Doch nicht nur in der Windkraftbranche, auch beim Wohnungsbau oder im Verkehrswesen explodierte in den vergangenen 30 Jahren die Bürokratie und die Dauer der Genehmigungsverfahren. Im Schatten der hart umkämpften Flüchtlingspolitik wollen Bund und Länder bei der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin das Bürokratie-Rad ein weites Stück zurückdrehen: Es geht um den Kern des von Kanzler Olaf Scholz angekündigten Deutschlandpakts, die Beschleunigung zahlreicher Planungs- und Genehmigungsverfahren in der Republik.
Auf 28 Seiten Vorschläge haben sich Bund und Länder bereits im Vorfeld der Konferenz geeinigt. Der Bürokratieabbau heißt auf Behördendeutsch: „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“. Was die Aktenordnerberge angeht, solle in Zukunft eine „Umkehr des Regel-Ausnahme-Prinzips“ gelten und statt Papier „digitale Tools“ eingesetzt werden, die am besten im 16-Bundesländer-Staat Deutschland einheitlich sein sollen.
Viele Punkte für das Deutschlandtempo bergen politischen Sprengstoff
Insbesondere den angesichts hoher Zinsen und Kosten kriselnden Wohnungsbau hemmen je nach Bundesland unterschiedliche Bauordnungen zusätzlich. Hier sollen vorübergehend Vorschriften außer Kraft gesetzt werden: „Für die Schaffung von zusätzlichem, preisgebundenem und bezahlbarem Wohnraum in angespannten Wohnungsmärkten sollen bauplanungsrechtliche Regelungen für einen begrenzten Zeitraum ausgesetzt werden“, heißt es in der Beschlussvorlage. Beim „seriellen Bauen“ sollen einmal erteilte Typengenehmigungen bundesweite Gültigkeit erhalten
Andere wesentliche Punkte beinhalten politischen Sprengstoff: Nach dem Vorbild des Baus der Tesla-Fabrik in Grünheide sollen öffentliche Planfeststellungs- und Erörterungsverfahren künftig parallel stattfinden können, statt den Baubeginn lange zu verzögern. Ohnehin sollen von Umweltverbänden und jeweiligen Projektgegnern geschätzte öffentlichkeitswirksame „Erörterungstermine“ bei vielen Projekten nicht mehr verbindlich sein, sondern digital abgehalten werden. Fristen sollen gestrafft werden. Zum Ärger der Umweltverbände haben Bund und Länder dabei vor allem ihre eigenen Verkehrsprojekte beim Ausbau von Straßen und Schiene im Blick: „Durch die Digitalisierung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturprojekten kann ein deutlicher Zeitgewinn erreicht werden“, heißt es in dem Plan.
Umweltverbände sprechen von ernsthafter Gefahr für den Rechtsstaat
Ebenso sollen im Umgang mit dem Artenschutz, der in der Vergangenheit viele Bauvorhaben ausgebremst hat, bundesweite Standards und einheitliche Vorgehensweisen erstellt werden. Mobilfunkmasten in bis zu 20 Metern Höhe sollen „verfahrens- und genehmigungsfrei“ errichtet werden können. In bestimmten Fällen sollen Projekte als genehmigt gelten, wenn Behörden nicht rechtzeitig widersprechen oder entscheiden.
Umweltschützer haben bereits Widerstand angekündigt: Die Pläne seien „eine ernsthafte Gefahr für Umwelt und Rechtsstaat“, erklärten der Bund Naturschutz, Greenpeace und andere Verbände.