Frankreichs Präsident Emmanuel Macron übt sich mit aufgestütztem Kopf und weiten Augen als höflicher Zuhörer, Konkurrentin Marine Le Pen blickt mit strahlendem Lächeln in die Kameras.
Beim zentralen und einzigen TV-Duell vor der Endrunde der Präsidentschaftswahl ging es vor dem harten Schlagabtausch in der Sache am Mittwochabend auch um Sympathiewerte. Sowohl für den Liberalen Macron als auch für die Rechte Le Pen hieß es daher, alte Fehler nicht zu wiederholen, nicht arrogant oder unfähig zu wirken.
Viel stand auf dem Spiel
Bei dem medialen Duell stand für die Kontrahenten viel auf dem Spiel. Sagte in einer Umfrage doch ein Viertel der Befragten, die Debatte habe einen Einfluss darauf, wem sie letztlich die Stimme schenken. Das ist auch deshalb so entscheidend, weil für die Stichwahl zwischen den beiden konträren Bewerbern um das höchste Staatsamt am Sonntag noch immer ein eher knappes Rennen vorhergesagt wird, auch wenn Macrons Vorsprung langsam aber sicher wächst. Zuletzt sahen Umfragen den Mitte-Politiker bei 55,5 bis 56,5 Prozent. Auch nach der TV-Debatte, die sich rund 15,6 Millionen Menschen anschauten, fand eine Mehrheit den aktuellen Staatschef überzeugender.
Beim baldigen Gang zu den Wahlurnen treffen die rund 48,7 Millionen Stimmberechtigten eine Schicksalswahl nicht nur für Frankreich. Auch für Deutschland und Europa sowie das internationale Machtgefüge angesichts des Ukraine-Kriegs steht Entscheidendes auf dem Spiel.
Le Pen will EU gründlich ändern
Während Macron sich in der mehr als zweieinhalbstündigen Debatte zur deutsch-französischen Kooperation und zur Verankerung Frankreichs in der Europäischen Union bekannte, stellte Le Pen klar, dass sie die EU gründlich ändern will. Der 53-Jährigen geht es um mehr nationale Kompetenzen und ein Europa, in dem nationales Recht vor EU-Recht steht und Brüssel den Mitgliedsstaaten wenig vorgeben kann. Gleichzeitig wehrte sie sich gegen den Vorwurf Macrons, insgeheim noch immer aus der EU austreten zu wollen. Zu Deutschland sagte Le Pen vor den TV-Kameras kaum etwas. Statt der deutsch-französischen Achse haben für sie Partner wie Großbritannien oder Ungarn Vorrang, ließ sie in der Vergangenheit durchblicken.
Auch für die aktuell geschlossene westliche Front gegen Russland angesichts des Kriegs in der Ukraine dürfte Le Pen zum erheblichen Problem werden. Mehrfach machte die als Freundin des Kremlchefs Wladimir Putin geltende Politikerin in den vergangenen Tagen Russland Avancen für die Zeit nach dem Krieg. Das Land könne wieder zum Partner Europas werden. Einem Embargo von Gas aus Russland erteilte sie bereits eine Absage. Sanktionen dürften Frankreich nicht schaden, meinte sie. Macron indes ließ am geeinten Auftreten der Europäer mit den USA gegenüber Russland keinerlei Zweifel - zudem hält der 44-Jährige dank seiner Telefondiplomatie mit Putin einen Verhandlungskanal offen.
Rente, Wirtschaft und Kaufkraft für Franzosen zentral
In Frankreich aber liegen den Menschen eher andere Themen auf dem Herzen - etwa Rente, Wirtschaftswachstum und allen voran die Kaufkraft, die sich mit den spürbaren Folgen des Kriegs in der Ukraine immer weiter ins Zentrum der Debatten befördert hat. Während Le Pen sich seit Wochen als Fürsprecherin derer inszenierte, die unter den steigenden Strom-, Sprit- und Lebensmittelpreisen leiden, verfehlte sie es im Duell, die Sinnhaftigkeit ihrer Vorschläge stichhaltig zu belegen, und konnte Macrons Kritik nicht kontern.
Doch um jetzt noch Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen, müssen Macron und Le Pen auch persönlich überzeugen. Für Macron bedeutet dies, das Bild von ihm als arroganten Elitepolitiker nicht zu verfestigen. So gab er sich gerade zu Beginn der TV-Debatte betont zurückhaltend, gestand Fehler ein, blickte kritisch statt zu lachen und versuchte so, bloß kein Gefühl der Überlegenheit durchschimmern zu lassen. Durchhalten konnte der gewiefte Redner das aber nicht.
Le Pen wirkt kleinlaut und verloren
Le Pen hingegen, die sich beim TV-Duell 2017 heftig blamiert hatte, wollte zeigen, dass sie Präsidentin kann, eigene Themen hat und nicht nur angreift. Der Verzicht auf Kommando Attacke ließ sie aber eher kleinlaut und verloren wirken. Ihr großer Trumpf: in den vergangenen Monaten suchte sie unermüdlich den Kontakt zu den Franzosen, gab sich menschlicher und volksnäher als ihr Kontrahent. Sie versprach gar, Frankreich wie eine Mutter führen zu wollen.
Die auffallend zarten Töne der früher als rechter Haudegen bekannten Politikerin gehen mit ihrem Wunsch einher, endlich einen Imagewandel zu vollziehen, sich und ihre Partei Rassemblement National zu "entteufeln" und so in weiteren Schichten wählbar zu werden. Eine Charmeoffensive, die in Teilen gelungen ist - so wollen doch ein Viertel der Anhänger der ausgeschiedenen konservativen Kandidatin Valérie Pécresse nun Le Pen ihre Stimme geben. Unter den Wählern des Linken Jean-Luc Mélenchon sind es beachtliche 17 Prozent. Die Rechte Le Pen ist trotz der geschlossenen Aufrufe etlicher Parteien gegen sie für viele in Frankreich längst kein rotes Tuch mehr.
Klarer Sieg Macrons dürfte verbaut sein
Macron hingegen hat in seinen fünf Jahren Amtszeit auch Frust und Enttäuschung auf sich gezogen. Das dürfte einen so klaren Sieg gegen Le Pen in der Stichwahl wie noch vor fünf Jahren nun verbauen.
Wenige Tage vor der Wahl sind in Frankreich noch immer viele Menschen unentschlossen, wen sie wählen. Gerade die große linke Wählerschaft des Drittplatzierten Mélenchon könnte zum Königsmacher werden - und das, obwohl sie mit am eindeutigsten weder Macron noch Le Pen an der Staatsspitze sehen wollen. Sollten die Bewerber es nicht schaffen, die Unentschlossenen im Endspurt für sich zu gewinnen, könnten am Sonntag letztlich auch die leer abgegebenen Stimmzettel entscheidend für den Ausgang der Wahl sein.
© dpa-infocom, dpa:220421-99-991912/2 (Von Rachel Boßmeyer und Michael Evers, dpa)