Der russische Präsident Wladimir Putin hat gewusst, dass die EU und die USA die Sanktionstexte in der Schublade hatten. Kurze Zeit nachdem er die beiden selbst-erklärten Volksrepubliken im Osten der Ukraine offiziell anerkannt hatte, holten sie US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hervor.
„Die Anerkennung beider separatistischen Territorien ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts, der territorialen Integrität der Ukraine und des Minsker Abkommens“, erklärte von der Leyen über den Kurznachrichtendienst Twitter.
Parallel dazu veröffentlichte die Kommission eine kurze Mitteilung, die einen entscheidenden Satz mehr enthielt: „Die Union wird Sanktionen gegen diejenigen verhängen, die an dieser rechtswidrigen Handlung beteiligt sind“.
Auch die USA kündigen Sanktionen gegen Russland an
Auch die USA werden reagieren. Präsident Biden werde in Kürze ein Dekret unterzeichnen, das Geschäfte in oder mit den beiden von Russland anerkannten Separatisten-Regionen in der Ostukraine verbietet, erklärte das Präsidialamt. Weitere Maßnahmen würden folgen, sagte Bidens Sprecherin.
Welche Strafmaßnahmen das konkret sein werden, blieb bis in den späten Abend offen. Von der Leyen hatte erst am Wochenende erklärt, dass Russland vom internationalen Zahlungsverkehr abgekoppelt werde, wenn russische Truppen eine Invasion der Ukraine starteten. Außerdem soll die russische Erdgas- und Erdölindustrie keine westliche Technik mehr geliefert bekommen. Europäer und Amerikaner hatten mehrere Wochen Zeit, um mögliche Schwachstellen der russischen Wirtschaft zu identifizieren. US-Außenminister Tony Blinken hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz intensiv an der Einigkeit des Westens gegen die aggressive Außenpolitik des Kreml gearbeitet. Die USA hatten Putin mit extrem schmerzhaften Wirtschaftssanktionen gedroht, sollten „die Panzer rollen“.
Die EU-Erklärung deutet daraufhin, dass der Westen noch nicht die schärfsten Strafmaßnahmen verhängen will, um auf Putins Schritt zu reagieren – Sanktionen gegen „diejenigen, die an der rechtswidrigen Handlung beteiligt sind“. Denkbar ist, dass weitere Mächtige aus dem Umfeld des Kremlherren mit Beschneidung ihrer Bewegungsfreiheit und ihres Auslandsvermögens rechnen müssen. Die Börse in Moskau antizipierte die drohende Bestrafung. Während Putins Rede, in der er der Ukraine eine eigene Staatlichkeit absprach, gaben die Kurse deutlich nach.
Außenministerin Baerbock verurteilte die Anerkennung der "Volksrepubliken"
Zu später Stunde meldete sich Steffen Hebestreit, Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), zu Wort: „Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Abend mit US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über die sich zuspitzende Situation gesprochen, nachdem der russische Präsident die beiden so genannten Volksrepubliken Donesk und Luhansk am Montag formal anerkannt hat.“ Alle drei Gesprächspartner seien sich einig, dass dieser einseitige Schritt Russlands ein klarer Bruch des Minsker Abkommens sei. Deutschland, Frankreich und die USA verurteilen die Entscheidung des russischen Präsidenten scharf, hieß es weiter. Dieser Schritt werde nicht unbeantwortet bleiben. Man werde sich nun „nach Kräften dafür engagieren, eine weitere Eskalation der Lage zu verhindern“.
Außenministerin Annalena Baerbock fand ebenfalls deutliche Worte. Sie verurteilte die Anerkennung der beiden abgespaltenen Gebiete und beklagte ein Scheitern des maßgeblich von Deutschland vorangetriebenen Friedensprozesses. „Jahrelange Bemühungen im Normandie-Format und der OSZE werden damit willentlich und ohne nachvollziehbaren Grund zunichte gemacht“, erklärte die Grünen-Politikerin. Damit nehme der Glaube an das Bekenntnis Moskaus an einer diplomatischen Lösung „massiven Schaden“.
Durch die neuerliche Anheizung des Konflikts wird die Zukunft der Gasröhre Nord Stream 2 abermals zum strittigen Thema. Bundeskanzler Scholz hatte sie nun nach einigem Zögern in den Korb möglicher Sanktionen gelegt. Allerdings träfe Deutschland ein „Krieg“ um das Erdgas hart. Schon heute ächzen Unternehmen und Verbraucher unter enormen Preisen.
Verteidigungsministerin Lambrecht: Kraftvolle Antwort auf "Russlands Aggression"
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte eine kraftvolle und deutliche Antwort auf „Russlands Aggression“ an. Der Bruch des Völkerrechts sei völlig inakzeptabel. Militärisch kann Deutschland unterdessen nicht viel aufbieten, das bei Putin Eindruck machen dürfte. Obwohl mit der Afghanistan-Mission der größte Auslandseinsatz beendet ist, kommt die Bundeswehr durch die Unterstützung der Nato-Truppen in Osteuropa an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, wie Lambrecht einräumen musste.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg reihte sich ein in die westlichen Politiker, die Putins Entscheidung verurteilten. „Die Nato unterstützt die Souveränität der Ukraine und der territorialen Integrität“, erklärte Stoltenberg. Das bedrohte Land würde gerne dem Nordatlantikpakt beitreten, was ihm und Georgien die USA 2008 angeboten hatten. Deutschland verhinderte das seinerzeit, um Russland nicht zu erzürnen. Der drohende, große Krieg in Europa resultiert letztlich aus diesem Angebot der USA, das Putin als rote Linie begriff.
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