Stille. Seit einer Woche schon. Und dann dieser Satz: „Ein Häftling namens Nawalny wird hier nicht mehr geführt.“ So sollen es Mitarbeiter der Strafkolonie Nummer 6 in Melechowo mitgeteilt haben, schreibt Nawalnys Kira Jarmysch im Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter). Sie ist Sprecherin von Alexej Nawalniy. Hier, knapp 300 Kilometer östlich von Moskau, saß Russlands bekanntester politischer Häftling wegen angeblichen Betrugs ein. Wo aber ist Nawalny nun? Jarmysch und weitere Mitstreiter sind in großer Sorge, zumal der 47-Jährige vor zwei Wochen zusammengebrochen sein soll und sich seitdem kaum mehr ernährt habe.
Gerade liefert sich der Oppositionelle wieder eine Schlacht mit der Justiz. Es geht um Klagen des Politikers gegen die Gefängnisleitung. Doch seit Donnerstag wurde Nawalny nicht mehr wie üblich zu dem Prozess zugeschaltet. Die Gefängnisleitung des Straflagers begründe dies mit angeblichen Problemen bei der Stromversorgung.
Selbst Nawalnys Anwälte sind inzwischen in Haft
Nawalny ist seit Januar 2021 in Haft. Nach seiner Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok im August 2020 und seiner Behandlung in Deutschland war er zurückgekehrt und an der Passkontrolle verhaftet worden. Der Staat warf ihm zunächst Betrug vor, eine Verhandlung folgte auf die andere. Im August wurde Nawalny zu weiteren 19 Jahren verurteilt, nun wegen „Extremismus“. Seine Organisationen sind längst zerschlagen, die meisten Mitstreiter im Ausland oder ebenfalls im Gefängnis.
Selbst Nawalnys Anwälte Alexej Lipzer, Wadim Kobsew und Igor Sergunin sind seit Oktober in U-Haft. Sie sollen sich, so die Erklärung von Russlands Justiz, an „extremistischer Vereinigung“ beteiligt haben, indem sie Nawalnys Mitstreiter „regelmäßig Informationen des Gefangenen“ hätten zukommen lassen. Anwälte sind oft die Einzigen, mit denen sich die Gefangenen austauschen können.
Offenbar wurde Nawalny in ein anderes Lager mit noch strengerem Regime verlegt. Er hatte bereits erwartet, dass er „auf Etappe“ geht, wie es im Russischen heißt: eine entwürdigende Maßnahme in einem ohnehin brutalen Strafvollzug, in dem es um Erniedrigung und Sühne geht, nie um Resozialisierung. Die Verschickung, die wie aus dem Nichts kommt, geht noch auf Zarenzeiten zurück, in denen die Häftlinge etappenweise und oft zu Fuß von Ort zu Ort gebracht wurden, bis sie das Ziel ihrer Verbannung erreicht hatten. Bis heute wissen weder der Häftling noch seine Familie, wann und wohin die „Etappierung“ erfolgt. Erst im Straflager darf der Verurteilte jemanden anrufen. Nawalnys Mitstreiter hoffen auf sein baldiges Lebenszeichen.