Gerüchte gab es schon vor Jahren immer wieder. Der Präsident sei unermesslich reich, besitze eine prächtige Villa am Meer, wurde geraunt. Doch das könnte ein extremes Beispiel für Tiefstapelei sein. Die Kategorien Schloss oder Palast sind adäquater für das Anwesen am Schwarzen Meer, das in dem aktuellen Enthüllungsvideo des russischen Regierungskritikers Alexej Nawalny präsentiert wird. „Es gibt einen Ort, der für all das steht, was man braucht, um Wladimir Putin verstehen zu können“, spricht der Macher des Films den Zuschauer direkt an. Das Dementi aus dem Kreml kam schnell: „Der Präsident besitzt keine Paläste.“
Weit über 25 Millionen Mal wurde das Video „Ein Palast für Putin. Geschichte der größten Bestechung“ angeklickt. Über zwei Stunden wird ein korruptes Finanzsystem seziert, mit dem Putin derartige Reichtümer angehäuft haben soll, dass er sich einen Palast leisten kann, der auf umgerechnet 1,1 Milliarden Euro taxiert wird. Der Film ist mit einer Flut von Daten, Interviews und Bildern gespickt. Einige Sequenzen vor Ort wurden offensichtlich mit einer Drohne gedreht. Der im französischen Stil gehaltene Prachtbau thront auf einem mehr als 17000 Quadratmeter großen Grundstück direkt am Meer. Die Rede ist von viel Marmor, einer vorgelagerten Austernfarm, eigenen Weinbergen und einem Landeplatz für Helikopter. Ein animierter Rundgang zeigt Casino, Kinosaal und luxuriöse Schlafgemächer.
Der Erscheinungstermin des weitgehend während Nawalnys Zeit in Deutschland produzierten Videos erscheint mit Bedacht gewählt. Der Oppositionspolitiker wurde bei seiner Rückkehr am Flughafen in Moskau festgenommen. Seitdem sitzt er im Gefängnis. In Deutschland hatte er sich von einer Vergiftung mit dem Kampfstoff Nowitschok erholt. Für das Verbrechen machen Experten im Westen den russischen Geheimdienst verantwortlich. Für diesen Samstag hat er seine Anhänger zu Protesten gegen die russische Regierung aufgefordert.
Ist das Video auch seriös? Der Russland-Experte Stefan Meister hält den Film Nawlanys für stimmig
Doch ist das Video auch seriös? „Ich halte das Video für weitgehend schlüssig. Es ist auch sehr gut gemacht. Man darf ja nicht vergessen, dass Nawalny ein sehr professionelles, auch internationales Rechercheteam hinter sich hat. Manches basiert auf einem Enthüllungsbuch der früheren Financial Times-Redakteurin Catherine Belton. Vieles ist ja auch schon vorher bekannt gewesen“, sagt der deutsche Russland-Experte Stefan Meister im Gespräch mit unserer Redaktion. Nawalny beschreibe ein System schwarzer Kassen sowie ein ausgeklügeltes Fondssystem, in das Oligarchen einzahlen und auf das er und sein Umfeld Zugriff haben. Nawalny selber nennt sein Werk im Film ein „psychologisches Porträt“, das zeigen solle, wie ein „einfacher Sowjetoffizier zu einem Irren wurde, der auf Geld und Luxus fixiert ist“.
Meister glaubt, dass sich der Westen zu lange Illusionen über die wirkliche Rolle gemacht hat, die Putin spielt. „In Deutschland wird ja oft gesagt, Putin habe Oligarchen wie Chodorkowski entmachtet. Allerdings hat er ein neues Oligarchen-System installiert und ein globales Korruptions- und Geldwäschesystem aufgebaut.“ Ein Prozess, der sich über viele Jahre vollzogen habe. „Spätestens 2004 hatte Putin die Leute seines Vorgängers Boris Jelzin aus Schlüsselpositionen entfernt. Von da an kamen seine eigenen Leute aus Petersburg und dem Geheimdienst an die Fleischtöpfe“, sagt der Politikwissenschaftler, der zurzeit das Kaukasus-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Georgien leitet.
Alexej Nawalny beschäftigt sich immer wieder mit Amtsmissbrauch von Politikern
Der Jurist und Blogger Nawalny thematisiert bereits seit Jahren Amtsmissbrauch und Korruption ranghoher Regierungsmitglieder. Prominentestes Opfer war bisher im Jahr 2017 der frühere Premierminister Dimitri Medwedew. Ebenfalls auf Youtube wurde der Putin-Vertraute als durch und durch korrupter Politiker attackiert, der Villen, protzige Jachten und weitere Reichtümer angehäuft hat.
Nun geht es um die Nummer 1, den Präsidenten. Medien und Experten spekulieren seit Tagen, wie gefährlich Nawalny Putin tatsächlich werden könnte. Meister ist eher zurückhaltend: „Nawalny ist jetzt zwar definitiv der wichtigste Oppositionspolitiker. Er würde in Moskau vielleicht 20 bis 30 Prozent erreichen, wenn die Wahlen wirklich frei wären. Ich sehe im Augenblick nicht, wie Nawalny Putin ernsthaft herausfordern könnte. Der Sicherheitsapparat hat die Lage im Griff.“ Hinzu komme, dass nach wie vor eine große Mehrheit der Russen eher der staatlichen Propaganda als Nawalny glauben würde. Gleichzeitig stehe Putin aber weit schlechter da als noch vor wenigen Jahren. „Seit 2010 sinken die Reallöhne. Die Reform der Pensionen von 2018 habe auch die treueste Klientel Putins – einfache Leute und Rentner – hart getroffen. Meister: „Die Unzufriedenheit wächst.“
Die Staatsmacht in Russland reagiert nervös
Die Staatsmacht reagiert nervös und unsouverän. Nawalny wird durch die brutale staatliche Repression weiter aufgewertet. Für Stefan Meister geschehen die Fehler des Kremls fast zwangsläufig: „Das sind, wie Putin, alles Sicherheitsleute, die zu Paranoia neigen, wenn sie etwas nicht vollständig kontrollieren können.“
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