US-Präsident Joe Biden verzieht keine Miene. Seine Augen bilden dünne Schlitze. Auf der anderen Seite postiert sich der Präsident Russlands, Wladimir Putin. Der Herrscher aus Moskau starrt ebenso ausdruckslos in die Kameras. In der Mitte steht Guy Parmelin, der Bundespräsident der Schweiz. Parmelin, ein jovialer Weinbauer aus dem französischsprachigen Teil Helvetiens, begrüßt die beiden Staatsmänner. Die drei Landesfahnen hängen schlaff neben ihnen in der Hitze des Juni-Tages.
Parmelin verlässt die Szene. Putin und Biden gehen aufeinander zu. Die beiden Staatslenker, die eine lange gegenseitige Abneigung verbindet, schütteln die Hände, lachen. Zum ersten Mal treffen sich die zwei in ihrer Funktion als Staatsoberhaupt. Biden und Putin beginnen ihren Gipfel in Genf, den einige Medien zum Showdown stilisiert haben, mit deutlicher Körpersprache.
Biden und Putin versuchen in Genf, sich etwas näherzukommen
Trotz ihrer Ressentiments und geringer Erwartungen, so scheint die Botschaft zu lauten, versuchen die Rivalen es wenigstens, sich gegenseitig etwas näherzukommen. Schauplatz ist die Villa La Grange, ein schmuckes Schlösschen aus dem 18. Jahrhundert, inmitten eines feudalen Parks. Die Planer aus Washington und Moskau hatten Genf mit Bedacht ausgewählt: Liegt die Diplomatenstadt doch auf neutralem Boden, eben in der Schweiz.
In der Bibliothek der Villa treffen sich Biden und Putin zu ihrem ersten Austausch, flankiert von ihren Außenministern. Ein Globus steht zwischen den Staatschefs der beiden Militärmächte, die zusammen über mehr als 90 Prozent aller Atombomben verfügen. Putin sammelt sich, dankt Biden „für die Initiative, sich zu treffen“. Biden scherzt, sagt: „Es ist immer besser, sich von Angesicht zu Angesicht zu treffen.“
Dann verscheuchen Security-Leute die Kameramänner und Journalisten: „It’s over, go away please.“ Die Türen schließen sich. In den nächsten vier bis fünf Stunden, oder länger, oder kürzer, wollen vor allem die US-Amerikaner Tacheles reden. Dass es dabei in der Villa betont nüchtern zugehen sollte, daran hatte das Biden-Team keinen Zweifel gelassen. Während der Sitzungen seien keine Mahlzeiten geplant, hielt ein Topbeamter der US-Administration fest.
Am Ende, nach mehr als drei Stunden, inklusive Pausen, fällt das Ergebnis der Konferenz zwar mager aus. Aber es gibt, wie Putin sich ausdrückt, einen „Hoffnungsschimmer“. In seiner Pressekonferenz nach dem Gipfel lässt er wissen, dass der russische Botschafter in Washington und der amerikanische Botschafter in Moskau wieder auf ihre Posten zurückkehren sollten. Es handele sich um eine „rein technische Frage“, versichert Putin.
Beide Posten sind derzeit im Zuge der bilateralen Unstimmigkeiten vakant. Zudem kündigt Putin russisch-amerikanische Gespräche über Sicherheit im Cyberspace an. Und der russische Präsident lobt seinen US-Kollegen nahezu überschwänglich als konstruktiven, ausgeglichenen und erfahrenen Politiker. Fast gerührt zeigt sich der sonst so harte Mann aus dem Kreml, als er darüber berichtet, wie Biden über seine Mutter sprach. Das zeige Bidens „moralische Werte“.
Der US-Präsident und seine Leute hören sich die Ausführungen Putins genau an, sie werden live im Netz übertragen, mit Übersetzung. Das US-Team feilt an dem Statement, das Biden nun gegenüber den Medien vorträgt. Dabei schlägt auch der Mann aus dem Weißen Haus versöhnliche Töne an, lobt das soeben beendete Treffen als geradeheraus. „Es existiert eine wahre Aussicht, dass wir unsere Beziehungen verbessern“, sagt er mit Blick auf das angespannte Verhältnis der beiden Staaten. „Für eine Zusammenkunft von Angesicht zu Angesicht gibt es keinen Ersatz“, fügte Biden hinzu – er hatte die Sitzung mit Putin angeregt.
Bei der Rüstungskontrolle haben USA und Russland gemeinsame Interessen
Nach Bidens Angaben wollen die beiden nuklearen Schwergewichte Konsultationen über „strategische Stabilität“ führen. Damit solle etwa ein unbeabsichtigter Konflikt vermieden werden. Immerhin verfügen die beiden Militärmächte zusammen über mehr als 90 Prozent aller Atomwaffen, weltweit. Aber andere, ernste, aktuelle Konflikte zwischen Washington und Russland lodern auch nach Genf weiter – eine Lösung ist nicht in Sicht. So prangern die Amerikaner weiter die aggressive auswärtige Destabilisierungspolitik Moskaus an, etwa in der Ukraine. Und sie beschuldigen die Moskauer Führung, die Menschenrechte mit Füßen zu treten, wie im Fall des eingesperrten Regimekritikers Alexei Nawalny. Während Putin seinen Widersacher Nawalny in Genf als einen rücksichtslosen Gesetzesbrecher hinstellt, betont Biden: „Menschenrechte werden immer diskutiert werden.“
Der Schweizer Präsident nahm Biden in Empfang, Putin dagegen nicht
Als erster der Widersacher hatte Biden und seine 600 Begleiter den Tagungsort Genf erreicht: Am Dienstag gegen 16.20 Uhr setzte die Air Force One auf der Rollbahn des Flughafens Cointrin auf. Der Schweizer Präsident Parmelin ließ es sich nicht nehmen, den mächtigsten Politiker der westlichen Welt persönlich zu empfangen – trotz Corona-Pandemie mit Händedruck. Später zog sich Biden in die edelste Suite des schwer bewachten Hotels Intercontinental zurück, das von außen einen leicht vergammelten Eindruck hinterlässt. Putin schwebte mit seinem Tross erst am Tag des Gipfels ein, kurz nach Mittag. Der Schweizer Bundespräsident erschien nicht auf dem Rollfeld. Handelte es sich um einen diplomatischen Fauxpas, dass Parmelin den US-Präsidenten, nicht aber Putin in Empfang nahm?
Der Gast aus Moskau ließ sich nichts anmerken, winkte kurz und nahm in einer überdimensionierten Staatskarosse Platz, die ihn durch leere Straßen zur Villa la Grange chauffierte. Die Stadt, in der sonst das Leben rund um den Genfer See pulsiert, präsentierte sich im Ausnahmezustand.
Militärflugzeuge und Helikopter patrouillierten in einem strahlend blauen Luftraum, der für normale Maschinen weitgehend gesperrt war. Auf dem Genfer See kreuzten Polizeiboote und auf dem Boden des Kantons Genf boten Armee und Sicherheitskräfte tausende Uniformierte auf. Sie postierten sich an strategisch wichtigen Kreuzungen, kontrollierten Passanten und verrammelten selbst mit Verkehrsbussen Zufahrtsstraßen. „Monsieur Putin und Monsieur Biden bringen alles durcheinander“, ärgerte sich ein Anwohner, als ein Gitter auf der Mont-Blanc-Brücke ihn zum Umkehren zwang. Die beiden so Gescholtenen selbst debattierten derweil in der hermetisch abgeschirmten Villa La Grange. Bei ihnen stand Weltpolitik auf dem Programm.
Norbert Röttgen sieht Entspannungssignale
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bewertet das Treffen als Positives Entspannungssignal „Das ist der Anfang von Rückkehr diplomatischer Normalität, mehr war von diesem Treffen nicht zu erwarten“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses unserer Redaktion. „Beide Präsidenten beschrieben das Treffen als konstruktiv und sahen davon ab, den jeweils anderen direkt zu kritisieren“, erklärte er. Dass die Botschafter der USA und Russlands beide an ihren Einsatzort zurückkehren sollen, spreche für die gegenseitige Bereitschaft, am Verhältnis zu arbeiten, sagte Röttgen.
„Meine Hoffnung vor dem Treffen von Joe Biden und Wladimir Putin war, dass die beiden wieder ins Gespräch kommen“, erklärte der CDU-Außenexperte. „Das ist scheinbar geglückt und erst einmal eine gute Nachricht, auch wenn die zahlreichen Konflikte alle weiter bestehen bleiben.“