Noch am vergangenen Donnerstag hatte Sergej Schoigu mit finsterer Miene die Militärparade auf dem Roten Platz angeführt. Ihn, der mit Russlands Präsident Wladimir Putin immer wieder durch die Taiga streifte, der aber nicht die erwünschten Erfolge in der Ukraine einbrachte, schien nichts erschüttern zu können. Nun kam es zu einer brisanten Entscheidung: Putin enthob Schoigu seines Amtes als Verteidigungsminister. Eingebettet war der Beschluss in die Regierungsumbildung nach Putins Amtseinführung vor einer Woche. Sein Nachfolger soll der bisherige Vizeregierungschef Andrej Beloussow werden, ein Zivilist und Wirtschaftsexperte, der als Ideologe der Staatsökonomie gilt. Schoigu soll derweil den Posten des Sekretärs im Nationalen Sicherheitsrat übernehmen und dem Putin-Vertrauten Nikolai Patruschew nachfolgen, dabei weiterhin für Rüstungsfragen verantwortlich sein. Was aus Patruschew wird, ist noch nicht bekannt. Das Parlament muss die Entscheidungen noch bestätigen, das gilt allerdings als Formsache.
Sergej Schoigu ist nicht mehr Verteidigungsminister
Die Absetzung ist überraschend, und zugleich auch wieder nicht. Überraschend ist sie deshalb, weil keiner derer, die in den vergangenen Wochen innerhalb und außerhalb Russlands Putins Personalpolitik vorherzusagen versucht hatten, Beloussows Aufstieg vorhergesehen hätte. Ein promovierter Ökonom, der nicht gedient hat – auch Schoigu hat im Übrigen nicht gedient – und nie damit aufgefallen ist, sich in Armeefragen auszukennen, wird plötzlich der Mann der Stunde. Kreml-Chef Dmitri Peskow sprach von einer bewussten Entscheidung, die Armee in zivile Hände zu geben, um diese innovativer zu machen. Der Schritt, den früheren Wirtschaftsberater Putins, der in den vergangenen gut vier Jahren Russlands Wirtschaftspolitik koordiniert hat, zum Armeechef zu machen, zeigt aber auch, dass der Krieg gegen die Ukraine mittlerweile die Basis für die russische Wirtschaft ist. Der 65-jährige Beloussow soll das Ministerium offenbar effizienter machen und die Kosten an der Front optimieren. Für militärische Entscheidungen dürften weiterhin der Generalstabschef Waleri Gerassimow und Putin selbst zuständig sein.
Nicht unerwartet kommt die Absetzung, weil Schoigus Stuhl praktisch seit der Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 gewackelt hat. Der bald 69-Jährige, der die Armee gerne als modernen und effizienten Apparat darstellt, lieferte nicht das, was Putin gehofft hatte: die Einnahme Kiews innerhalb von drei Tagen. Schoigu stand immer wieder in der Kritik der Soldaten und der sogenannten Militärblogger. Jewgeni Prigoschin, der mittlerweile umgekommene Chef der Söldnertruppe Wagner, hatte ihn praktisch täglich angegriffen. Dessen verbal entgleisende Attacken hatte Schoigu genauso überlebt wie Prigoschins gescheiterte Rebellion im Juni 2023 und die Wechsel in der Generalität. Dass ein Damoklesschwert über ihm schwebt, zeigte die Festnahme seines Stellvertreters Timur Iwanow vor drei Wochen. Wegen Korruption in Millionenhöhe sitzt Schoigus langjähriger Vertrauter in U-Haft. Das war auch ein Zeichen an Schoigu, der dem Militär über Jahre hinweg zum Ansehen in der russischen Gesellschaft verholfen hatte.
Mit dem Verteidigungsminister-Austausch verändern sich auch die Pläne Putins
Schoigu stammt aus der ärmlichen Region Tuwa an der Grenze zur Mongolei. Von dort rekrutiert der Staat nun vielfach seine Soldaten für den Krieg in der Ukraine. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war der studierte Bauingenieur nach Moskau gekommen. Unter Boris Jelzin wurde er Minister für Katastrophenschutz, ein nahbarer, wenn auch wortkarger Problemlöser. 2012 machte ihn Putin zu seinem Verteidigungsminister. Er war es, der für die Eroberung der ukrainischen Halbinsel Krim zuständig war und auch für die Intervention in Syrien ein Jahr später. Die einst rückständige Truppe erhielt unter Schoigu echte Schlagkraft. Unter Schoigu verlor sie diesen Status auch wieder.
„Alles läuft nach Plan“, sagt Putin immer wieder. Sein Umbau im Verteidigungsministerium offenbart gleichwohl, dass der Plan nun ein anderer sein muss. Welcher, wird sich unter Beloussow zeigen. Der sagte bereits im ersten Kriegsjahr, dass die Gesellschaft sich endlich darüber bewusst werden müsse, dass alles den Nöten der "militärischen Spezialoperation" unterliege. Die Ernennung Beloussows als Schoigus Nachfolger deutet für einige Experten darauf hin, dass Putin den Krieg vor allem mit der Produktion in den Rüstungsbetrieben gewinnen wolle. "In seiner Denkweise ist das logisch, weil sich der wirtschaftliche Block in dem Krieg als effektiver erwiesen hat als der Sicherheits- und Militärapparat", sagte der Journalist Alexander Baunow, der jahrelang als politischer Analyst am Moskauer Carnegie-Institut gearbeitet hat und mittlerweile beim Carnegie Russia Eurasia Zentrum in Berlin leitender Wissenschaftler ist. Putins Strategie sei es folglich, Druck auf die Ukraine nicht durch die Mobilmachung neuer Soldaten auszuüben, sondern durch die Kapazitäten des Rüstungskomplexes.