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Russland
30.09.2022

Mobilmachung in Russland: "Sag Julchen, dass ich sie liebe..."

Jewgeni musste sich im Moskauer Stadtmuseum, das in ein Mobilisierungszentrum für die Armee umfunktioniert wurde, wegen seiner Einberufung melden.
Foto: Inna Hartwich

Tausende Männer erhalten in Russland ihre Einberufung. Manche versuchen, sich dem durch ärztliche Atteste zu entziehen. Andere wiederum setzen ins Ausland ab.

Timofej sitzt seit zwei Stunden hier auf der Bank. Manchmal springt er auf, raucht. "Ich habe Angst um mich, um meine Freunde. Habe Angst vor dem Tod", sagt Timofej. 23 Jahre alt ist er. Genauso alt wie sein bester Freund Robert, der nur wenige Meter weiter von Militärs und Ärzten überprüft wird, ob er geeignet ist für den Kampf. Für den Krieg in der Ukraine. Timofej weiß, dass es ihn ebenfalls treffen könnte, auch wenn in seiner "Militär-Karte" der Vermerk "ungeeignet" steht. "Aber wer bitte hält sich in unserem Land an irgendwelche Vermerke? Heute bin ich ungeeignet, morgen halten sie mich vielleicht schon für bestens kampferprobt." Er klingt resigniert. Aber weglaufen? Aus dem Land fliehen? "Ich habe doch hier alles, meine Eltern, meine Schwester, meine Freunde. Mein Leben." Er wiederholt: "Hm, mein Leben" und ist ganz still.

Das Moskauer Stadtmuseum ist seit wenigen Tagen ein sogenanntes "Mobilisierungszentrum". Umfunktioniert in ein Einberufungsamt für gleich drei Stadtteile, zu passieren nur nach Polizeikontrolle samt Metalldetektoren. Im Gebäude Nummer drei, wo sich sonst ein Kinderzentrum befindet und Souvenirs verkauft werden, stehen nun Polizistinnen mit Maschinengewehren vor dem Eingang. Drinnen tummeln sich Militärs in Tarnfleck und Männer, junge wie mittelalte, die nicht so recht zu wissen scheinen, was mit ihnen hier passiert. Ein Kriegsfilm läuft über einen Bildschirm, die Männer füllen etliche Zettel aus, legen zahlreiche Bescheinigungen vor, verschwinden hinter Türen.

300.000 Reservisten sollen bei der "Teilmobilmachung" in Russland eingezogen werden

Draußen im kleinen Hof warten Mütter, Väter, Schwestern, Ehefrauen, Freunde. Viele von ihnen haben verweinte, bleiche Gesichter. Manche sprechen leise miteinander, andere schluchzen in ihr Smartphone. "Serjoscha ist jetzt drinnen. Ich weiß nicht, was sie mit ihm machen. Den Nachbarsjungen haben sie ja schon vor einigen Tagen gleich weggebracht. Serjoscha geht nicht ans Telefon. Uns sagt wie immer niemand etwas", meint eine Frau in dunkelblauer Jacke.

Video: AFP

Wie ihr Serjoscha, wie auch Timofejs bester Freund haben hunderttausende Männer und einige Frauen quer durch Russland in den vergangenen Tagen eine sogenannte "Powestka" erhalten, einen Einberufungsbescheid. Nach dem Dekret des russischen Präsidenten Wladimir Putin vom 21. September gilt in Russland die "Teilmobilmachung", 300.000 Reservisten sollen eingezogen werden. Es ist wieder so ein Euphemismus – so, wie auch die "militärische Spezialoperation" einer ist oder die "Referenden" in der Ostukraine. Alle in Russland wissen, dass die Einziehung in die Armee jeden treffen kann, egal, wie alt er ist und wie kampferprobt.

Ärztliche Atteste sollten eigentlich vor der Einberufung schützen

Timofej holt sich einen Kaffee, bringt auch Roberts Eltern einen mit. Es ist kühl in Moskau. "Robert hat ihnen eine Bescheinigung von einem Psychologen vorgelegt. Er kann in so einem Zustand nicht eingezogen werden. Das ist alles ein Wahnsinn. Ein Fehler", sagt der 23-Jährige. Sie kennen sich lange, sie drehen zusammen Filme. Robert sei der Kopf dieser Projekte, Timofej sei für das Licht zuständig. "Man ist sich nicht einmal selbst im Klaren, was man mit seinem Leben anfangen kann – dann kommt der Staat und nimmt dir dieses Leben. Einfach so", sagt Timofej.

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Derweil geht eine Glastür auf, ein Mann mit kurz geschorenen Haaren stürmt auf eine Frau auf einer Bank los. "Hier, hier, schau, es steht nun drin in der Militär-Karte!", ruft er und hält ihr diese vor die Nase. Die Frau versteht nichts, lächelt gar kurz. Sie nimmt das rote Heftchen, Tränen laufen ihr nun übers Gesicht. In seiner Militär-Karte steht: „Nach Dekret des russischen Präsidenten mobilisiert“, Stempel, Unterschrift. Verzweiflung.

Väter müssen sich von ihren Frauen und Kindern verabschieden

Der Mann, Jewgeni heißt er, läuft mit einer Zigarette hin und her, tippt ins Telefon und schreit: "Waleritsch, du bist ein Verräter! Ich habe gut für dich gearbeitet, ich hätte noch weiter gern für dich gearbeitet. Warum nur hast du meinen Namen auf diese verdammte Liste fürs Einberufungsamt gesetzt? Warum? Du hast mich verraten." Auch ihm kommen nun die Tränen. In seinem Rucksack finden sich ein paar persönliche Sachen. Seine Frau und seine Schwester haben ihm ein kleines Mobiltelefon und eine neue SIM-Karte besorgt. Umständlich versucht Jewgeni, das Telefon einzurichten, seine Hände zittern. "Wie soll ich mit diesem Ding überhaupt umgehen? Ich habe gar nicht alle wichtigen Nummern irgendwo aufgeschrieben." Jewgeni blättert nervös in seiner Militär-Karte, starrt den Stempel an.

Video: dpa

Ein Armeeangehöriger drängt nun, mitzukommen. Jewgeni sagt: "Es ist doch nicht wahr". Er nimmt seinen olivgrünen Rucksack, umarmt seine Frau. "Flennt nicht rum. Es geht doch gar nicht an die Front", schreit der Militär. Jewgenis Frau läuft schluchzend davon. "Sag’ Julchen, dass ich sie liebe", ruft ihr Jewgeni hinterher. Dann wird er von dem Militär zu einem Bus gebracht. Dort sitzen bereits andere Männer mit Rucksäcken. Einer hat einen blauen Anzug an und trägt eine Aktentasche, ein Mann im roten Sportanzug hält einen Thermobehälter fest. Sie sollen nach Naro-Fominsk fahren, 70 Kilometer südwestlich von Moskau. Ins Militärcamp. Was danach ist? "Krieg? Tod? Ich weiß es nicht", sagt Jewgeni. "Ich weiß nichts mehr. Ich wollte denen hier nur meine Arztbescheinigung zeigen, damit sie mich nicht einziehen."

"Eine Arztbescheinigung? Die will auch Robert hier abgeben"“, sagt Timofej und seufzt laut. Eine Stunde später steht Robert tatsächlich vor der Tür. Bleich, zitternd, das Gesicht voller Entsetzen. "Nervenzusammenbruch" haben ihm die Ärzte im Museum bescheinigt, ihn an einen Psychiater überwiesen. Seine nächste „Powestka“ ist auf den 8. Oktober ausgestellt. Doch der Termin ist ja schon bald. Roberts Eltern stützen den 23-Jährigen, geben ihm zu essen. Timofej sagt: "Es ist ein kurzes Durchatmen. Nun müssen wir weiterschauen."

Viele Russen sind bereits ins Ausland geflohen, auch nach Deutschland

Szenenwechsel. Von der russischen in die deutsche Hauptstadt. Eigentlich weit weg. Doch auch dort ist das Thema präsent. Artjom und Dima haben es beide noch aus Russland heraus geschafft, bevor sie einberufen wurden. Obwohl die beiden 26-Jährigen, die in Wirklichkeit anders heißen, aus St. Petersburg auf dem gleichen Weg ihre Heimat verlassen, zeigen ihre unterschiedlichen Erfahrungen, wie schnell sich die Situation in Russland innerhalb weniger Tage ändern kann. Jetzt sitzen sie in der Wohnung von Artjoms Bruder Leonid in Berlin auf der Couch und erzählen. Während Artjom schon in gebrochenem Deutsch sprechen kann, muss Leonid, der bereits seit fünf Jahren in Deutschland wohnt und studiert, für Dima übersetzen. Die Ausreise von Artjom war demnach schon länger geplant. Er hat sogar zwei Visa, ein reguläres Touristen-Visum für den Schengenraum, das neunzig Tage gilt – und eines, das bis Ende des Jahres gilt für einen Deutschkurs. Um das zweite Visum hatte er sich bereits im Sommer beworben. Er zahlte etwa sechzig Euro für einen Bus von Petersburg nach Helsinki, von dort aus flog er nach Deutschland und kam vergangenen Samstag in Berlin an. Er hofft nun dringend, dass er von Berlin aus sein Visum verlängern kann.

"Ich habe niemals im Militär gedient", sagt Artjom. Grund dafür seien gesundheitliche Probleme gewesen. Trotzdem hat er Angst, dass er, wenn er nach Russland zurückkehrt, einberufen wird. "Das Risiko ist ziemlich hoch", sagt sein Bruder Leonid – und deckt sich in seinen Aussagen mit jenen, die man in Moskau vor dem Mobilisierungszentrum hört. Derzeit würden nicht nur Reservisten oder Menschen, die eine spezielle Ausbildung beim Militär hatten, wie Scharfschützen oder Panzerfahrer, "es werden einfach alle eingezogen. Alle Männer von 18 bis 50." Der Vater der beiden Brüder ist bereits über 50 Jahre alt und nicht betroffen, aber er hat den beiden erzählt, dass immer wieder Arbeitskollegen von ihm verschwinden. "Obwohl sie nur den obligatorischen Wehrdienst vor zwanzig Jahren gemacht haben."

Es werden auch Menschen ohne Militär-Erfahrung eingezogen

"Mein Kollege hat drei Kinder und musste sich jetzt beim Militäramt melden", erzählt Artjom weiter. Dieser berichtete, dass es beim russischen Militär erhebliche Materialengpässe gebe. Warme Kleidung, Medikamente oder sogar Schutzwesten müssten sich die neu eingezogenen Soldaten zum Teil von ihrem eigenen Geld kaufen.

Dimas Familie ist ebenfalls von dieser weitreichenden Einberufung betroffen. Sein 43-jähriger Schwager wurde bereits eingezogen. Sein 19-jähriger Bruder macht derzeit eine Ausbildung, aber er fürchtet, dass er danach zur Armee muss. Dima selbst ließ seine Frau und seine drei Kinder zurück, als er ins Ausland ging. Seine jüngste Tochter ist gerade einmal eineinhalb Jahre alt. "Ich habe Angst, dass ich meine Familie nicht wiedersehen werde", sagt er. Aber er musste rasch fliehen, denn anders als Artjom hat er seinen Wehrdienst abgeleistet. Und ist dadurch noch viel gefährdeter, eingezogen zu werden.

Video: dpa

Seine Flucht war nur wenige Tage später wesentlich teurer als die von Artjom. Um nur allein mit einem Bus bis zur finnischen Grenze zu kommen, zahlte er den sechsfachen Preis – etwa 360 Euro. Dort stieg er in ein Auto mit finnischem Kennzeichen ein. An der Grenze seien Polizisten gestanden, erzählt Dima. Diese hätten geprüft, ob die Tickets von denen, die mit dem Bus ausreisen, vor Beginn der Mobilmachung gekauft worden waren.

Es wird immer schwieriger und teurer, Russland zu verlassen

Auch Dima reiste dann über Helsinki nach Deutschland und kam am Dienstagabend in Berlin an. Wie lange er bleiben kann, ist noch unklar. Er hat derzeit ein griechisches Schengen-Visum, das am 8. Oktober ausläuft. Wie es dann weitergehen soll, weiß er noch nicht. "Falls das in Russland so bleibt, möchte ich meine Familie hierherholen", sagt er. Obwohl die drei Russen ihre Verwandten und Freunde derzeit nicht treffen können, helfen die Dienste Whatsapp, Zoom und Telegram, dass der Kontakt nach Hause nicht abreißt. Für Russen, die im Ausland leben, gilt eigentlich, dass sie nicht eingezogen werden können. "Laut den Erläuterungen des russischen Verteidigungsministeriums sind russische Staatsbürger, die ihren ständigen Wohnsitz außerhalb Russlands haben, nicht als wehrpflichtige Personen gemeldet und unterliegen nicht der Einberufung im Rahmen der Mobilmachung", teilte die Pressestelle der russischen Botschaft in Deutschland gegenüber unserer Redaktion mit. Doch was hilft das, wenn die Aufenthaltserlaubnis etwa in Deutschland abläuft? Und die Betreffenden wieder nach Russland zurückmüssten? Denn bislang haben sich die EU-Länder nicht auf eine einheitliche Linie geeinigt, wie sie mit russischen Kriegsdienstverweigerern umgehen wollen.

"Russische Staatsangehörige, denen politische Verfolgung droht, können in Deutschland Asyl beantragen", teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) unserer Redaktion nun mit. Deserteure, die von schweren Repressionen bedroht sind, erhalten in der Regel internationalen Schutz in Deutschland. Die Entscheidungspraxis des Bamf sei dahingehend bereits angepasst worden. Selbstverständlich bleibe jedoch die Erteilung von Asyl eine Einzelfallentscheidung. Und: Um einen Asylantrag in Deutschland stellen zu können, muss man sich in Deutschland aufhalten, betont die Behörde. "Eine Antragstellung aus dem Ausland ist nicht möglich." So lautet aktuell die deutsche Position. Doch natürlich wird trotzdem eine gemeinsame unionseuropäische Linie gesucht. Nachdem ein Krisentreffen der 27 EU-Botschafter in Brüssel ohne Einigung verlief, ist nun die EU-Kommission am Zug. Doch das kann dauern. Für Dima und Artjom – wie für viele andere Russen – bedeutet das: weiter bange Tage.

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