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Russland: Michail Gorbatschow ist tot – Trauer um einen tragischen Helden

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Michail Gorbatschow ist tot – Trauer um einen tragischen Helden

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    Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, auf einem Bild aus dem Jahr 2018. Nun ist er gestorben.
    Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, auf einem Bild aus dem Jahr 2018. Nun ist er gestorben. Foto: dpa

    Er war so etwas wie der lebende Widerspruch zu Wladimir Putin. Zu all den politischen Angriffen auf die Freiheit der Menschen, die in Russland seit Jahren an der Tagesordnung sind. Zu den Provokationen und Machtdemonstrationen des Kreml gegenüber dem Westen. Ein Politiker, der daran erinnerte, dass es auch anders geht, dass es Zeiten gegeben hat, in denen Ost und West gemeinsam den Eisernen Vorhang niedergerissen haben, statt neue Mauern aufzubauen und Kriege gegeneinander zu führen. Als Michail Gorbatschow am Dienstag die Welt verließ, dann war vor allem in Deutschland die Trauer groß.

    Michail Gorbatschow ist tot: In Europa war er Held, in Russland Verräter

    „Gorbi“, wie er freundschaftlich genannt wurde, galt vielen Menschen als Held – während er in seiner Heimat Russland in Ungnade gefallen ist, ein Verräter, der mit all seinem Wirken für den Niedergang der Sowjetunion steht. Jener Sowjetunion, die Wladimir Putin gerade mit Gewalt versucht wieder aufzubauen.

    Seinen Platz in der Geschichte hat sich der russische Friedensnobelpreisträger längst gesichert. US-Präsident Joe Biden lobte Gorbatschows Engagement für Abrüstung. "Als Führer der UdSSR arbeitete er mit Präsident (Ronald) Reagan zusammen, um die Atomwaffenarsenale unserer beiden Länder zu reduzieren - zur Erleichterung der Menschen weltweit, die für ein Ende des atomaren Wettrüstens beteten."

    Laut Weggefährten verurteilte der gesundheitlich zuletzt extrem geschwächte Gorbatschow auch den Angriffskrieg gegen das Nachbarland. Eine offizielle Reaktion ist aber nicht überliefert. Doch man darf davon ausgehen, dass er die Auferstehung neuer Feindbilder verabscheute. Auch dem Westen gab Gorbatschow in einem Interview Kritik mit auf den Weg. Dieser Konflikt habe eine "globale Unordnung" mit internationaler Kriegsgefahr geschaffen - und Russland sei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht als Partner behandelt worden. Als einen Verrat des Westens an den Zugeständnissen an Moskau bei der deutschen Wiedervereinigung empfand er stets die Osterweiterung der Nato.

    Gorbi wünscht sich "Freundschaft und Unterstützung"

    Und doch galt der 91-Jährige stets als ein Politiker, der den Dialog suchte und nicht die Konfrontation. Was er sich zu seinem Geburtstag wünsche, wurde Gorbatschow im vergangenen Jahr zu seinem 90. Geburtstag oft von Journalisten gefragt. „Frieden erhalten und eine Verbesserung des Lebens der Menschen erstreben!“ Und persönlich? „Freundschaft und Unterstützung.“ Banal klang das, fast schon abgedroschen. Und doch traf Gorbatschow schon damals damit einen Punkt – lange nicht waren Europa und Russland weiter voneinander entfernt. Putin brachte den Krieg zurück nach Europa, lässt seine Söldner auf den Schlachtfeldern dieser Welt gegen westliche Werte wie Demokratie ankämpfen, steht unter Verdacht, mitten in Berlin unliebsame Gegner umbringen zu lassen. Die Welt, die Gorbatschow aufgebaut hat, existiert nicht mehr.

    Zur Welt kam Gorbatschow im Jahr 1931 in der Region Stawropol im Kaukasus. Aus dem Bauernsohn, dessen Familie unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten hatte, wurde ein Parteifunktionär, der seine Privilegien genoss. Als Gorbatschow in den 80er Jahren an die Macht kommt, ist das System des Riesenreichs erstarrt, zementiert für die Ewigkeit. Doch wie das in der Politik so ist: Auch die Ewigkeit kann plötzlich enden. Er stößt Reformen an, die den Menschen Freiheit bringen, die dem sowjetischen Totalitarismus Grenzen setzen, Meinungsfreiheit vorantreiben. Er leitet weitreichende Abrüstungsinitiativen ein, unterschreibt mit US-Präsident Ronald Reagan ein historisches Abkommen.

    Der damalige US-Präsident Ronald Reagan (rechts) und der damalige sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow unterzeichnen im Dezember 1987 in Washington den INF-Vertrag zur Vernichtung atomarer Mittelstreckenraketen.
    Der damalige US-Präsident Ronald Reagan (rechts) und der damalige sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow unterzeichnen im Dezember 1987 in Washington den INF-Vertrag zur Vernichtung atomarer Mittelstreckenraketen. Foto: Photoreporters, dpa

    Glasnost und Perestroika machten Michail Gorbatschow in Deutschland zum Star

    Gorbatschow wird so etwas wie ein Polit-Star, einer, dem die Menschen zujubeln – weil allen klar ist: In diesen Momenten wird Geschichte geschrieben. Mit „Perestroika“ (Umbau) und „Glasnost“ (Offenheit) hat der 91-Jährige die Deutschen zwei russische Worte gelehrt, die noch heute fest im Gedächtnis der Nation verwurzelt sind. Unvergessen die Monate, als er mit Kanzler Helmut Kohl die deutsche Einheit aushandelte und damit den Weg eines ganzen Landes maßgeblich veränderte. Bis heute gilt er als die maßgebliche Figur, ohne die das friedliche Ende der DDR und der Aufbruch der Ostblock-Staaten nicht möglich gewesen wären.

    „Er hat Europa und der Welt ein neues Gesicht gegeben“, sagte Theo Waigel, einer seiner Wegbegleiter, im vergangenen Jahr im Gespräch mit unserer Redaktion. Immer wieder hatte der CSU-Politiker und frühere Bundesfinanzminister Gorbatschow im Laufe der Jahre getroffen, zuletzt im Jahr 2011 bei einer Preisverleihung in München. Ein „Weltgestalter“ ist er für Waigel, einer, der Ideale und Visionen verfolgte. „Gorbatschow war sehr offen, sehr freundlich, sehr gut informiert – er war von sich und seiner Idee überzeugt“, betontTheo Waigel. Zum 90. Geburtstag hat er ihm einen Brief geschickt. Darin schreibt er: „Ihre politische Zeit war geprägt von Vertrauen in die Zukunft, weniger Waffen in der Welt, ein friedlicheres Zusammenleben der Völker und der Hoffnung auf den ewigen Frieden, den Immanuel Kant beschrieben hat.“

    Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel begleitete die Karriere des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow über viele Jahre.
    Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel begleitete die Karriere des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow über viele Jahre. Foto: Archiv

    Doch selbst Gorbatschows politisches Ende war schließlich eines für die Geschichtsbücher: 1991 übernahm Boris Jelzin nach einem gescheiterten Militärputsch die Macht in Moskau. Die wirtschaftliche Lage im Land war katastrophal, der Umschwung misslungen – von Wirtschaft soll Gorbatschow nur wenig verstanden haben. Der Wandel war für viele Menschen im Land zu hart, er weckte die Sehnsucht nach einer Führungsfigur, die nicht die Welt, sondern das eigene Volk rettet. Selbst die Mangelwirtschaft der Sowjetunion schien auf einmal wie die gute alte Zeit im Vergleich zu den massiven Problemen, mit denen die Russen nun in ihrem ganz persönlichen Alltag konfrontiert wurden. „Ich habe bis zum Ende gekämpft, habe getan, was ich konnte“, sagte Gorbatschow selbst in einer ZDF-Dokumentation zu seinem 90. Geburtstag. „Aber es sind einfach zu viele Dinge auf einmal passiert.“ Er wirkte gebrechlich und zugleich aufgedunsen, litt an Diabetes, verbrachte die meiste Zeit im Krankenhaus. Die Frau Raissa war früh an Krebs gestorben, die Tochter lebt in Deutschland.

    Theo Waigel erinnert sich an Michail Gorbatschow und emotionale Momente

    Waigel war 1991 einer der ersten westlichen Politiker, der Gorbi nach dem Putsch in Moskau besuchen konnte. „Ich traf ihn tieftraurig, abgekämpft, blass“, erinnerte sich Waigel. „Ich habe ihm gesagt: Herr Präsident, in diesen Tagen haben viele in Deutschland um sie gebangt und für sie gebetet – da sind ihm die Tränen über das Gesicht geronnen.“ Tragisch sei das Leben des politischen Freundes verlaufen. Denn die Sowjetunion, diese Klarstellung ist Waigel wichtig, sei in ihrer damaligen Form nicht länger zu halten gewesen – sie wäre wohl auch ohne Gorbatschow untergegangen. Der Wille zur Abrüstung sei auch aus dem Gedanken geboren gewesen, mehr Geld in die Wirtschaft zu stecken. „Er war sich der strukturellen Probleme der Sowjetunion vollkommen bewusst“, sagt Waigel. „Deshalb ist es eine fehlgeleitete Nostalgie – auch von Putin –, wenn man heute glaubt, man hätte die Sowjetunion bewahren können.“ Gorbatschow habe auch nie zum Ziel gehabt, das riesige Reich aufzulösen, er wollte es auf eine föderalistische Grundlage stellen und aus der Erstarrung lösen. „Die Undankbarkeit, die ihm in Russland entgegenschlägt, hat er nicht verdient und kommt aus der völlig falschen Vorstellung, dass man das alte Reich hätte retten können.“ Umso höher seien seine Verdienste zu werten. „Niemand wird bestreiten können, dass seine Politik zu mehr Freiheit, zu mehr Souveränität geführt hat“, sagt Waigel. Dass der wirtschaftliche Transformationsprozess nicht gelungen sei, habe auch am Oligarchen-System gelegen, das damals seinen Aufstieg erlebt hatte.

    Und Gorbi selbst? Er gab seinem Nachfolger Putin und auch den Europäern noch einen guten Rat mit auf den Weg. „Nur Verhandlungen, nur die Treffen auf allen Ebenen – vor allem auf höchster – können positive Ergebnisse bringen. Ich glaube daran“, sagt er in einem Interview mit Interfax. Putin hat nicht auf ihn gehört.

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