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Russland: Menschen in Moskau über Ukraine-Krise: Krieg? Ach, hören Sie mir auf!

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Menschen in Moskau über Ukraine-Krise: Krieg? Ach, hören Sie mir auf!

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    Der anhaltende, eisige Winter in Moskau beschäftigt viele Bewohnerinnen und Bewohner stärker als ein drohender Krieg.
    Der anhaltende, eisige Winter in Moskau beschäftigt viele Bewohnerinnen und Bewohner stärker als ein drohender Krieg. Foto: Itar-Tass, Imago Images

    Es schneit in Moskau. Seit Tagen. Orangefarbene Räumfahrzeuge fahren im Konvoi durch die Stadt. Männer und Frauen in orangefarbenen Jacken ziehen mit Schaufel und Pickelstab durch die Straßen. Eine Akkordarbeit bei Minusgraden. Bürgersteige müssen frei geräumt werden, Spielplätze enteist, Zugänge zu den Supermärkten frei von Schnee sein. Swetlana, Olga und Arina müssen kurz durchschnaufen. Ihre Nachnamen wollen sie nicht nennen, der Arbeitgeber könnte ja schimpfen. Arina packt die Thermoskanne aus, Olga stellt die Schaufeln zur Seite. Die Unterführung am Nowinski-Boulevard, unweit des Weißen Hauses in

    Noch ist es nur Übung: Freiwillige proben unweit der ukrainischen Hauptstadt Kiew den Umgang mit Waffen.
    Noch ist es nur Übung: Freiwillige proben unweit der ukrainischen Hauptstadt Kiew den Umgang mit Waffen. Foto: Efrem Lukatsky, dpa

    Eine Frage, die seit Wochen in der Schwebe ist, die Politikerinnen und Politiker in Ost und West bewegt, die auf allen Kanälen, den diplomatischen und den militärischen, zum Topthema geworden ist. Eine Frage auch, die viele Moskauerinnen und Moskauer für völlig abwegig halten – zu einer Zeit, in der in den deutschen und US-amerikanischen Nachrichten zu lesen ist, wie Russland seine Truppen an der Grenze zum Nachbarland weiter aufstockt. Am Wochenende erst schätzten US-Geheimdienste, dass

    In der Ukraine bereiten sich die Menschen auf Krieg vor

    „Krieg?“, fragt Swetlana, die energischste der drei Schneeräumerinnen. „Ach, hören Sie mir auf. Krieg interessiert die Politiker, die Journalisten und natürlich die Waffenhersteller. Uns einfache Leute interessiert er nicht. Es wird auch nicht dazu kommen“, sagt die 45-Jährige mit ihrer festen Stimme. Arina ist ganz still.

    Aus der Ukraine gehen kurz darauf Bilder um die Welt, die Bürger von Kiew bei freiwilligen Trainings zeigen. Sie wollen lernen sich zu verteidigen, falls die Russen einmarschieren. „Macht euch bereit“, heißt eine dieser Kampagnen.

    Für Olga in Moskau ist das weit weg. Sie gibt sich milde: „Ich glaube, wir leben in Zeiten, in denen die Staatsführungen einen anderen Weg finden sollten, ihre Probleme zu lösen, als dass sich ihre Völker gegenseitig abknallen.“ Sie persönlich beschäftigen ganz andere Sorgen: die steigenden Lebensmittelpreise, der geringe Verdienst, das Leben in und mit der Pandemie. In diesen unsicheren Zeiten zähle vor allem das Private. „Meine Enkelin hat die Aufnahmeprüfung für die Ballettschule bestanden. Das interessiert mich. Aber doch nicht Politik!“, sagt Swetlana und fügt hinzu: „Das Fernsehen liefert ziemlich schlimme Bilder, aber so etwas Negatives schalte ich weg, keine Lust darauf.“

    Im Fernsehen heißt es: "das gute, friedliebende Russland"

    Das Fernsehen zeigt martialische Einspieler von Explosionen in verschneiten Feldern, zeigt Männer wie Frauen in Tarnfleck, die in Schützengräben die Finger an die Abzüge ihrer Gewehre drücken. Der Tenor in den Nachrichtensendungen der staatlichen Sender ist eindeutig: Der böse kriegstreibende Westen wolle das gute friedliebende Russland kleinhalten und versuche, es zu zersetzen, indem er die hilflose ukrainische Führung dazu treibe, Russland in einen Krieg hineinzuziehen. „Die ukrainischen Neo-Nazis sind bis auf die Zähne bewaffnet“, raunt da der Moderator der Talkshow „Die Zeit wird es zeigen“ im staatlichen Ersten Kanal.

    Minusgrade und Kriegsgefahr in Moskau - und trotzdem schlendern Menschen über den Roten Platz.
    Minusgrade und Kriegsgefahr in Moskau - und trotzdem schlendern Menschen über den Roten Platz. Foto: Alexander Zemlianichenko/AP, dpa

    Von russischen Truppen an der russisch-ukrainischen Grenze kein Wort, weder in den Nachrichtensendungen noch in den sogenannten Analyse-Formaten. Stattdessen lassen die Reporterinnen und Reporter immer wieder Kommunisten zu Wort kommen, die dazu aufrufen, die abtrünnigen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk anzuerkennen. „Wir müssen unsere Landsleute dort schützen“, heißt es dazu. Freilich wird auch der russische Präsident Wladimir Putin immer wieder zitiert. Die Nato habe Russland „betrogen“ und „frech getäuscht“, sagt er vom Bildschirm, und seitdem kaum etwas anderes getan, als „jahrzehntelang nur geschwätzt“. Russlands Außenminister Sergej Lawrow wird mit den Aussagen gesendet: „Einen Krieg wollen wir nicht. Aber wir werden es auch nicht zulassen, dass unsere Interessen ignoriert werden.“

    Die Interessen Russlands liegen vor allem darin, die Nato-Osterweiterung für immer zu stoppen. Russische Moderatoren werden nicht müde zu betonen, dass der Westen diese russischen Interessen nicht anerkennen wolle. Europa sei ohnehin „gesichtslos und stimmlos“, wie Dmitri Kisseljow, der Motor der russischen Propagandamaschine, in seinem scharfzüngigen Wochenrückblick im Staatssender Rossija 1 sagt. Es sei doch „niveaulos und einfach“: Die Ukraine wolle ihr Scheitern im Feuer eines Krieges ausblenden – die bodenlose Korruption, die hohen Schulden, alles. „Und das eigene Versagen dann auf Russland schieben.“ Der Puppenspieler in diesem Spiel seien die USA. „Dümmlich wie unkultiviert“, meint Kisseljow und bezeichnet das „Getöse um die Ukraine“ wahlweise als „Hysterie“ oder „Massenpsychose“ – gern gebrauchte Begriffe auch in den russischen Nachrichten.

    Wladimir Putin wirft dem Westen vor, in der aktuellen Krise Russlands Sicherheitsinteressen zu ignorieren.
    Wladimir Putin wirft dem Westen vor, in der aktuellen Krise Russlands Sicherheitsinteressen zu ignorieren. Foto: Yuri Kochetkov/Pool EPA/AP, dpa

    Der Begriff „Krieg“ ist alltäglich geworden im TV. Das Konzept eines Krieges wird nach und nach zum notwendigen Übel erklärt. Zu einer Normalität, gegen die sich vor wenigen Tagen dutzende russischer Aktivisten, Journalisten, Kulturschaffender, Menschenrechtlerinnen, Juristinnen, Lokalpolitiker, Professoren in einem offenen Brief an die russische Führung ausgesprochen haben. „Russische Bürger werden zu Geiseln des kriminellen Abenteurertums, zu dem Russlands außenpolitische Linie sich derzeit verwandelt“, heißt es darin. „Wir hassen Krieg, und Sie halten ihn für zulässig. Sie belügen und benutzen Menschen für Ihr politisches Spiel. Haben Sie vergessen, dass unser Land in den vergangenen Kriegen Millionen von Menschen verloren hat?“ Es ist eine bittere und flehende Anklage der eigenen Führungsriege.

    Eine junge Mutter in Moskau hat Angst

    „Mir machen diese ganzen Nachrichten vom möglichen, ja baldigen Krieg einfach nur noch Angst“, sagt Alina Grigorjewa in der verschneiten Moskauer Fußgängerzone am Alten Arbat. Die 28-Jährige schiebt langsam einen Kinderwagen durch den Schneematsch, ihr Morgenspaziergang mit ihrem Sohn. „Ich will einfach, dass Jarik in Frieden aufwächst“, sagt sie leise. Ihr vier Monate altes Kind schläft. „Ich will auch nicht, dass mein Mann irgendwo kämpfen muss. Es kann doch nicht sein, dass man heutzutage auf Mittel der Gewalt setzt!“ Das Thema Ukraine-Konflikt ist kein vorherrschendes in den Gesprächen der Russen. Spricht man sie allerdings explizit darauf an, sagen viele: „Ein Krieg ist unvorstellbar.“ Egal, ob es ein Moskauer Physiotherapeut ist oder ein Kindermädchen mit Verwandten in der Ukraine, ob man einen IT-Mann aus dem russischen Süden fragt oder eine Erzieherin vom Ural.

    Einen Konflikt zwischen Russland und der Nato hält laut Umfragen des unabhängigen Moskauer Meinungsforschungsinstitutes Lewada-Zentrum ein Drittel der Bevölkerung für möglich. Viele seien des Ukraine-Themas allerdings auch überdrüssig, heißt es dabei. Die Abstumpfung führe oft dazu, dass die Menschen die Botschaften der Machthaber wiederholten. „Der Westen hat uns umzingelt, wir müssen uns wehren. Wir wollen das natürlich nicht, aber was sollen wir tun, wenn man uns da so hineinzieht?“, sagt Wlad am Moskauer Neuen Arbat, der sowjetischen Prachtmeile mit den typischen Hochhäusern in Buchform. Viele wollen sich mit dem Thema gar nicht erst befassen. „Wir sind genug vom Leben gebeutelt“, sagen sie dann. Aber auch: „Wenn es zum Krieg kommen sollte, können wir es dem Westen auch zeigen.“ Es ist eine die Sowjetunion überdauerte Formel: „Angst verbreiten heißt, sich Respekt zu verschaffen.“

    Der ausgerufene Weg funktioniere nicht

    „Die Nato-Osterweiterung stellt weder heute noch in Zukunft eine militärische Bedrohung für Russland dar“, schreibt der russische Militärexperte Alexander Golz im Online-Analyse-Magazin Republic. Russland habe das transatlantische Bündnis als Geisel genommen, natürlich verhandle man in dieser Situation mit den Geiselnehmern. Die Beziehung aber werde danach eine gestörte sein.

    Kiews Pläne, der Nato beitreten zu wollen, stießen Moskau deshalb so vor den Kopf, weil der von der russischen Führung ausgerufene besondere Weg aufgrund gemeinsamer Geschichte und Kultur nicht funktioniere. Die Ukraine wolle den Weg der Demokratie gehen. Damit jedoch wolle sich der Kreml nicht abfinden und erfinde deshalb das Szenario von der Bedrohung eigener Sicherheit. „Es gibt keine militärische Bedrohung. Die Bedrohung ist politischer Art.“

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