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Russland: Kreml-Kritiker Orlow: „Sie wollten den Faschismus, sie haben ihn bekommen“

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Kreml-Kritiker Orlow: „Sie wollten den Faschismus, sie haben ihn bekommen“

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    Ungebrochen: Der russische Menschenrechtler Oleg Orlow steht mit Handschellen in einem Gerichtssaal bei der erneuten Verhandlung wegen wiederholter Diskreditierung der russischen Armee.
    Ungebrochen: Der russische Menschenrechtler Oleg Orlow steht mit Handschellen in einem Gerichtssaal bei der erneuten Verhandlung wegen wiederholter Diskreditierung der russischen Armee. Foto: Alexander Zemlianichenko, AP, dpa

    Noch als die Richterin aus ihrem Urteil liest, knacken die Handschellen. Bewaffnete Gerichtsdiener bringen Oleg Orlow in den gläsernen Käfig hinter ihm. Zweieinhalb Jahre Haft lautet die Strafe. Der 70-Jährige soll mehrfach die russische Armee diskreditiert haben, befindet die Richterin, da hat die Sitzung im Golowinski-Bezirksgericht im Moskauer Norden keine zwei Minuten gedauert. „Das Urteil hat gezeigt, dass mein Text wahr und treffend ist“, sagt Orlow, während er in den Glaskäfig geschoben wird. Manche Prozessbeobachter im Saal und auch draußen im matschigen Schnee weinen.

    Der Text: Oleg Orlow hatte kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine seine Ausführungen zum Krieg, der in Russland nicht Krieg genannt werden darf, in der französischen Internetzeitung Mediapart veröffentlicht. „Sie wollten den Faschismus, sie haben ihn bekommen“ hatte er ihn genannt. Danach publizierte er den Beitrag auch auf Russisch auf seinem Facebook-Profil. „Der blutige Krieg, den das Putin-Regime in der Ukraine entfesselt hat, ist nicht nur der Massenmord an Menschen, die Zerstörung der Infrastruktur, der Wirtschaft und der Kulturgüter dieses wunderbaren Landes. Er ist nicht nur die Zerstörung der Grundlagen des Völkerrechts. Er ist auch der schwerste Schlag gegen die Zukunft Russlands“, heißt es darin. „Das System ist vollendet. Nun können sie offen, ganz ohne zu zögern, die Losung verkünden: Ein Volk, ein Imperium, ein Führer! Jegliche Scham haben sie abgelegt.“

    Es sind die Worte eines Aufrechten, der sich nicht einschüchtern lässt

    Es sind Worte eines Aufrechten, der sich seit den 1980er-Jahren, noch zu Zeiten der Sowjetunion, für das Recht eines Menschen einsetzte, Mensch zu sein. Der in den beiden Tschetschenien-Kriegen Soldaten rettete, der Verhandlungen mit Geiselnehmern führte, der demonstrativ aus dem Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten austrat, weil er den Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja vom Staat für nicht genügend aufgearbeitet hielt. Er war als Beobachter bei Territorialkonflikten im Nordkaukasus, Armenien, Aserbaidschan, Tadschikistan, in der Republik Moldau, auch im Donbass aktiv, beobachtete auch Prozesse gegen Andersdenkende in Russland – und wurde selbst zum politisch Verfolgten.

    Nun, mit knapp 71 Jahren, wurde der einstige Co-Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation „Memorial“, die im Oktober 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, von 16 Gerichtsdienern samt Schäferhund in den Gefangenentransporter am Gerichtsgebäude geführt, als sei er ein Schwerstverbrecher. Laut Ermittlungen heißt es, Orlow habe eine „reale Gefahr dargestellt, dass sich in der Gesellschaft eine falsche Meinung über das Vorgehen der Armee hätte bilden können“. Alle, die in Russland eine „falsche Meinung“ zur Armee haben und Kritik am Regime äußern, sind in den Augen dieses Regimes Verbrecher. Das macht das Urteil gegen Orlow erneut deutlich.

    Worin für die Richter das Strafwürdige in den Texten von Oleg Orlow liegt, bleibt letztlich unklar

    Bereits im Oktober des vergangenen Jahres war der Moskauer vom Golowinski-Bezirksgericht zu umgerechnet knapp 1500 Euro Strafe wegen „Diskreditierung der russischen Armee“ verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft aber legte Berufung ein, warf Orlow vor, sein Text verletze nicht nur die Rechte von Soldaten, sondern eines jeden russischen Bürgers. Mit welchen Sätzen Orlow die Armee diskreditiert haben soll und worin sein Hass liege, wurde während der zweitägigen erneuten Verhandlung nicht deutlich. 

    Nach dem Richterspruch reicht Oleg Orlow seinen Gürtel an seine Frau Tatjana weiter – Gürtel sind verboten in der Haft – und geht, aufrecht. Seine gepackte graue Tasche hält er in der linken Hand. Der Schäferhund der Gerichtsdiener bellt durch den Flur. 

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