Die Begebenheit liegt neun Jahre zurück und gilt als Paradebeispiel für das rüstungspolitische Gebaren einer Bundesregierung. Beim Besuch der damaligen Kanzlerin Angela Merkel in Angola plauderte der mitgereiste Reeder Friedrich Lürßen am Rande eines wasserlosen Swimmingpools in brütender Hitze mit Journalistinnen und Journalisten. Der Bremer erklärte den erstaunten Medienleuten, dass es bei dem Besuch auch um die Lieferung von Patrouillenbooten für die angolanische Armee gehen solle. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Merkel darüber kein einziges Wort verloren, die Schlagzeilen fanden schnell den Weg nach Deutschland. Der Vorgang zeigte zweierlei: Einerseits das Bestreben der Regierung, Rüstungsgeschäfte möglichst unter dem Deckel zu halten. Zweitens den unbedingten Expansionswillen der deutschen Rüstungsindustrie – dass ein armes Land wie Angola unbedingt Patrouillenboote braucht, lag bis dahin nicht im Fokus der Militärexperten.
Das Ereignis rückte damals vieles in den Hintergrund, dabei ist das familiengeführte Unternehmen Lürssen nur ein vergleichsweise kleiner Spieler im Konzert der großen Rüstungskonzerne. Das Unternehmen baut an der Nordseeküste schnittige Yachten, kann aber auch Militärschiffe vom Stapel lassen. Der Konzernabschluss für das Jahr 2021 wurde gerade vorgelegt, demnach erzielte das Unternehmen unter anderem mit der Auslieferung von drei Yachten, einer Fregatte, fünf Patrouillenbooten sowie der Abwicklung verschiedener andere Aufträge einen Umsatzerlös von 1,26 Milliarden Euro.
Pistorius betont "gemeinsame Interessen"
Andere Rüstungsbauer sind da ungleich größer. Airbus etwa fuhr 2022 einen Rekordgewinn von 4,2 Milliarden Euro ein – der Umsatz war um 13 Prozent auf 58,8 Milliarden Euro gestiegen. Etwa ein Fünftel davon entfällt auf die Militärsparte. Neben Airbus zählt Rheinmetall zu den Rüstungs-Riesen in Deutschland. Die Düsseldorfer werden ersten Zahlen zufolge für 2022 einen Rekordgewinn verbuchen, nachdem sie bereits 2021 ein Allzeithoch erzielt hatten: Der Konzernumsatz stieg damals um 4,7 Prozent auf 5,66 Milliarden Euro.
Rheinmetall stellt unter anderem Waffensysteme und Munition her, am Montag erst hatte der Konzern Verteidigungsminister Boris Pistorius zu Gast. Wer die Zeitenwende gestalten wolle, "der braucht Partner, der braucht alle Akteure im koordinierten Vorgehen und dazu gehört natürlich die Rüstungsindustrie", erklärte der SPD-Politiker. Rheinmetall-Chef Armin Papperger stand daneben, mit unbewegter Miene zwar, doch innerlich dürfe er wohl frohlockt haben. Denn die Regierung hat nicht nur ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aufgelegt, von dem ein großer Teil in die Rüstungsindustrie fließen wird, sie will auch die regulären Ausgaben für die Truppe dauerhaft erhöhen und damit die Auftragsbücher weiter füllen. "Die Industrie hat Interessen, wir haben Interessen, aber ein gemeinsames Interesse besteht eben darin, die Bündnis- und Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr auf den Stand zu bringen, den wir brauchen", fasste Pistorius die Gemengelage zusammen.
Ukraine-Krieg bringt Unsicherheiten
Doch der Verteidigungsminister weiß, dass der Weg zu neuen Panzern und Fregatten ein beschwerlicher ist. Der Ukraine-Krieg hat Lieferketten auseinandergerissen, es fehlt an Material. Die Industrie hat damit zu kämpfen, betont aber, dass sie zu liefern in der Lage sei. Man arbeite bereits mit Volldampf, versicherte etwa Rheinmetall-Chef Papperger, könne aber noch problemlos eine Schicht mehr einrichten. Ralf Ketzel, Geschäftsführer des Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann (KMW), lenkte den Blick in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa auf das für die Industrie eigentliche Problem: Die Bundesregierung hat wichtige Aufträge noch überhaupt nicht erteilt.
KMW gehört ebenfalls zu den Großen der Rüstungsbranche, produziert unter anderem den Kampfpanzer Leopard 2 sowie die Panzerhaubitze 2000. Davon wurden einige bereits an die Ukraine geliefert – in deren Besitz sie nach Regierungsangaben im Übrigen verbleiben – andere sollen folgen. Das reißt Lücken in der Bundeswehr. Um die zu schließen, muss die Produktion hochgefahren werden und dafür reicht es nicht, nur einen Schalter umzulegen. Ein bis zwei Jahre veranschlagte Ketzel dafür. Dabei sind die Belange der Zulieferer noch nicht eingerechnet.
Nur wenige Bestellungen
Der Spezialgetriebebauer Renk in Augsburg etwa fertigt für unterschiedliche Panzer und Kettenfahrzeuge in vielen Armeen weltweit die Getriebe. Auch der Leopard 2 rollt nur mit Renk-Getrieben. Firmenchefin Susanne Wiegand beklagte bereits, dass der Bestelleingang aus dem Sondervermögen bis heute verschwindend gering sei.
Die genannten deutschen Rüstungsschmieden und andere – Thyssenkrupp, Heckler & Koch, der Triebwerkshersteller MTU aber auch MAN oder Siemens beispielsweise – dringen auch wegen der internationalen Konkurrenz auf einen politischen Konsens der Ampel-Koalition. Wenn es in Deutschland und Europa nicht schnell genug frisches Material gibt, könnten vor allem amerikanische Waffenhersteller zum Zuge kommen. Boing zum Beispiel, oder der Branchenprimus Lockheed Martin. Der machte allein 2021 einen Umsatz von 67 Milliarden US-Dollar.